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Bgm. Reichsrats-Abg. LAbg. RA Dr. Karl Lueger

Bgm. Reichsrats-Abg. LAbg. RA Dr. Karl Lueger

Ehrenmitgliedschaften: Norica, Rudolfina, Austria Innsbruck, Marco-Danubia

Geboren: 24.01.1844, Wien
Gestorben: 10.03.1910, Wien
Bürgermeister (Wien), Reichsratsabgeordneter, Landtagsabgeordneter und Landmarschall-Stellvertreter (Niederösterreich), Obmann der Christlichsozialen Reichspartei, Obmann der Christlichsozialen Vereinigung im Abgeordnetenhaus des Reichsrats, Rechtsanwalt

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Lueger wurde als Sohn eines Laboratoriumsgehilfen („Kabinettsaufseher“) am Polytechnischen Institut Wien (später Technische Hochschule) auf der Wieden geboren. Sein Großvater väterlichseits war in Neustadtl an der Donau (Bezirk Amstetten, Niederösterreich) ein kleiner Bauer und Steinmetz, sein Großvater mütterlichseits war Tischlermeister in Lichtental (Wien-Alsergrund). Seinen Vornamen erhielt er vom hl. Karl Borromäus, dessen Kirche (Karlskirche) nicht unweit seiner Geburtsstätte liegt.

Lueger besuchte die Volksschule in der Margaretenstraße 52, die damals „Taubenschule“ hieß und dessen Gebäude heute nicht mehr existiert. Sein Lehrer war übrigens der Vater des späteren k. k. Ministers und Bürgermeisters von Wien (Nachnachfolger Luegers) Richard Weiskirchner (AW EM). Luegers Vater verletzte sich während des Militärdienstes – er war u. a. im österreichischen Kontingent in der Bundesfestung Mainz eingesetzt – und galt als Invalider. Daher erhielt Lueger ein Stipendium, das ihm ermöglichte, das Theresianum („Theresianische Ritterakademie“) zu besuchen, wo er 1862 mit Auszeichnung maturierte. Sein Vater ging wegen seiner Invalidität früh in den Ruhestand und erhielt eine Tabaktrafik auf der Landstraße zugewiesen – eine solche Übung hielt sich bis weit nach 1945 – , die nach dessen Tod seine Mutter übernahm.

Nach der Matura studierte Lueger an der Rechtwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (abs. iur. 1866, Dr. iur. 1870) und mußte sich sein Studium teilweise selber finanzieren. Er schlug danach die Rechtsanwaltslaufbahn ein und war seit 1867 Advokaturskonzipient, zuletzt bei Karl Kienböck, dem Vater des späteren christlichsozialen Finanzministers Viktor Kienböck. Nebenbei schrieb er seine Dissertation, die damals im Jus-Studium noch notwendig war, zum allgemeinen Wahlrecht, welches Thema ihn in den kommenden Jahren noch politisch beschäftigen sollte. Nach Ablegung seiner Advokatenprüfung eröffnete Lueger im März 1874 in der Postgasse (Innere Stadt) eine eigene Kanzlei als k. k. Hof- und Gerichtsadvokat. Schon damals zeigte sich sein außergewöhnliches Rednertalent.

Es war dies die Zeit kurz nach dem Börsenkrach des Jahres 1873, durch den viele ihr Vermögen und daraufhin manche ihr Leben (durch Selbstmord) verloren hatten. Ein Jahr später komponierte Johann Strauß die Operette „Die Fledermaus“, wo in der Arie „Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu retten ist“ ironisch auf dieses Ereignis Bezug genommen wird. In Folge dieser fatalen Finanzkrise formierte sich eine diffuse antiliberale Bewegung, die vom Handwerk bzw. Kleingewerbe ihren Ausgang nahm. Lueger blieb anfänglich von dieser Bewegung unberührt, denn er und seine Familie hatten ja nichts zu verlieren gehabt.

EINSTIEG IN DIE POLITIK

Eine erste Spur zu einer politischen Äußerung Luegers führt in das Jahr 1870. Am 1.. Dezember fand das Gründungsfest des „Akademischen Lesevereins“ im Dianasaal statt, das zu einer Siegesfeier der Preußen gegen Frankreich ausartete. Dort sprach u. a. der Angehörige der Wiener Burschenschaft Silesia, Max Hößlinger, und Vater von Guido Hößlinger (Nc): „Ich begrüße jene Fahne, die siegend vor Paris gezogen ist, die schwarzweißrote Fahne. Unter diesem Banner werden wir uns alle wiederfinden.“ Der ebenfalls anwesende Lueger erhob sih daraufhin, und begann zu sprechen: „Eine Fahne ist gefeiert worden, die schwarzweißrote, das Produkt despotischer Willkür.“ Weiter kam er nicht, weil er niedergebrüllt wurde.

Aufgrund seiner Anwaltstätigkeit kam Lueger sehr rasch mit der Politik in Kontakt, war zuerst „bürgerlicher Demokrat“, wechselte dann 1872 zum liberalen Bürgerclub in Wien-Landstraße, war dann 1878 Mitglied der Vereinigten Linken und dann 1882 des österreichischen Reformvereins. Bei den Wiener Gemeinderatswahlen des Jahres 1875 wurde er vom liberalen Bürgerclub der Landstraße nominiert und vom sog. zweiten Wahlkörper dieses Bezirkes gewählt. 1876 hat er dann mit dem liberalen Bürgerclub gebrochen und auf das Gemeinderatsmandat verzichtet.

Lueger wandte sich nun verstärkt dem „kleinen Mann“ zu und versuchte die Bevölkerung, die von der liberalen Herrschaft genug hatte, über deren Mißwirtschaft und Korruption aufzuklären. 1878 wurde er dann vom sog. dritten Wahlkörper der Landstraße wieder in den Gemeinderat gewählt und gehörte diesem dann bis zu seinem Tod an. Er wurde dann immer vom selben Wahlkörper desselben Bezirks wiedergewählt. 1880 bis 1882 war er Obmann der Vereinigten Linken im Gemeinderat.

Der Wiener Gemeinderat hatte bis 1900 drei Wahlkörper, die je ein Drittel der Sitze stellten. Die Stimmberechtigung wurde jeweils nach der Steuerleistung aufgeteilt (ähnlich dem Dreiklassenwahlrecht zum Abgeordnetenhaus des preußischen Landtags). 1885 wurde aufgrund der Initiative Luegers die Wahlberechtigung für den dritten Wahlkörper auf fünf Gulden Jahressteuerleistung gesenkt (sog. „Fünf-Gulden-Männer“). 1900 kam dann ein vierter Wahlkörper hinzu, in der alle Männer ohne Unterschied zusätzlich wählen konnten. In diesem erreichten übrigens die Sozialdemokraten 1912 erstmals die absolute Mehrheit.

Als Gemeinderat lenkte Lueger zuerst sein Augenmerk auf die damals weit verbreitete Korruption und wurde ein Gegner des liberalen Bürgermeisters Cajetan Felder, dessen Abgang auch auf Luegers Wirken zurückgeht. Er erkannte bald, daß er den Kampf gegen die Liberalen nur mit Unterstützung der einfachen Wähler gewinnen konnte, die aber vom damaligen Wahlrecht benachteiligt wurden, denn dieses begünstigte die Liberalen. Ebenso erkannte er auch die Notwendigkeit der politischen Agitation und zog von Wirtshaus zu Wirtshaus, wo er leidenschaftliche Reden hielt. Dadurch und durch seine Anwaltstätigkeit lernte er die Nöte und Sorgen der Menschen kennen, für die er sich einzusetzen begann.

In diesen Wählerversammlungen feierte der „schöne Karl“, wie Lueger auch genannt wurde, wahre Triumphe. Er konnte die Massen – nicht zuletzt auch Frauen – begeistern, war ein begnadeter Rhetoriker und stilisierte sich zum Volkstribun. Er war – wie man heute oft unreflektiert sagen würde – ein Populist. Es verwundert daher nicht, daß auf ihn am 17. Mai 1893 ein Attentat versucht wurde.

Nach Ende einer Wahlversammlung wollte Lueger mit einer bestellten Kutsche nach Hause fahren. Diese war jedoch zur Verwunderung nicht erschienen, und Lueger wollte schon zu Fuß gehen. Da kamen plötzlich zwei elegant gekleidete und unbekannte Herren und boten Lueger ihre Kutsche („Einspänner“) an. Lueger nahm ohne Mißtrauen das Angebot an. Als der Kutscher losfuhr, begann das Pferd wild darauf los zu galoppieren. Der Kutscher wurde an einer Kurve vom Bock geschleudert, so daß das Gefährt ohne weitere Führung dahinraste. Die Fahrt endete am Naschmarkt, wo der Wagen gegen einen Laternenpfahl geschleudert wurde. Lueger fiel aus dem zertrümmerten Wagen, der jedoch über seinen Fuß weiterfuhr und ihn dabei schwer verletzte. Polizeiliche Ermittlungen ergaben, daß das Pferd unter Alkohol gesetzt wurde (ebenso auch der Kutscher) und unter seinem Schwanz einen brennenden Feuerschwamm befestigt hatte. Die beiden unbekannten Herren konnten aber nicht ausfindig gemacht werden.

1885 kandidierte Lueger erstmals für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Reichsrats, wurde gewählt und gehörte diesem nach Wiederwahlen vom 22. September 1885 bis zu seinem Tod an (VII. bis XI. Wahlperiode). Am Anfang wurde er vom Bezirk Margareten in das Abgeordnetenhaus gewählt. Bei den ersten Wahlen nach dem allgemeinen Wahlrecht im Jahr 1907, das Einer-Wahlkreise (ähnlich wie derzeit in Großbritannien und Frankreich) vorsah, kandidierte er im Wahlkreis Hietzing und wurde bei einer Wahlbeteiligung von 88,6 Prozent gleich im ersten Wahlgang mit 57 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt. Der sozialdemokratische Gegenkandidat erhielt 36,6 Prozent.

Im Abgeordnetenhaus des Reichsrates trat Lueger nicht nur für eine Verallgemeinerung des Wahlrechts ein – eine Grundforderung der Christlichsozialen – , sondern bekämpfte auch den Ausgleich des Jahres 1867, der seiner Meinung nach Ungarn übergebührlich begünstigte. In seiner Argumentation gegen die Ungarn verknüpfte er diese mit seiner antisemitischen Agitation (siehe unten). Aufgrund seiner kritischen Einstellung zu Ungarn förderte er die dort lebenden Rumänen (Siebenbürgen), die aufgrund der restriktiven Nationalitätenpolitik der Ungarn von diesen als Minderheit unterdrückt wurden. Lueger war daher bei den Rumänen besonders beliebt.

LUEGER UND DIE CHRISTLICHSOZIALE BEWEGUNG

Im Abgeordnetenhaus des Reichsrates bildete Lueger bereits 1885 mit Alois Prinz zu Liechtenstein (AW EM), der mit dem christlichsozialen Theoretiker Karl Frhr. von Vogelsang (AW EM) in Kontakt stand, einen eigenen Klub (Fraktion). Lueger fand über die in Wien kommunalpolitisch agierenden „Vereinigten Christen“ in der von ihm zwar nicht gegründeten, aber erst durch ihn zur Bedeutung gelangten Christlichsozialen Bewegung eine neue politische Heimat. 1887 wandte er sich endgültig vom Liberalismus ab und wurde 1889 Mitglied der Christlichsozialen Vereinigung im Reichsrat. Diese wurde somit zur parlamentarischen Keimzelle der Christlichsozialen Partei.

Ende April/Anfang Mai 1889 hielt Lueger auf dem 2. allgemeinen österreichischen Katholikentag in Wien eine Rede, wo er sich zum ersten Mal eindeutig und klar als Katholik bekannte. Nach den Reichsratswahlen 1891 konnte Lueger mit zwölf Gleichgesinnten im Abgeordnetenhaus einen Klub (Fraktion) bilden und wurde deren Klubobmann und später auch Parteiobmann (diese Funktion war damals noch wenig bedeutend), was er dann bis zu seinem Tod blieb. Unter seinem Parteivorsitz und mit Hilfe seines „Generalstabschefs“ Albert Geßmann (AW EM) wurden die Christlichsozialen zur stärksten politischen Kraft in Wien und Niederösterreich.

Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts kam es zu Konflikten zwischen den jungen aufstrebenden und manchen Zügen durchaus auch radikal auftretenden Christlichsozialen und den im Politischen Katholizismus ursprünglich dominierenden Katholisch-Konservativen. Diese schwärzten die Christlichsozialen in Rom an, wurden aber – nicht zuletzt durch das Votum des Wiener Nuntius Antonio Agliardi (Nc EM) – schließlich von dort unterstützt. Die Sympathie Roms bzw. Papst Leos XIII. gegenüber den Christlichsozialen wurde u. a. auch dadurch dokumentiert, daß das Bild Luegers auf dem Schreibtisch des Papstes gestanden hat

1894 kam es erstmals zu einer Begegnung zwischen den Exponenten der beiden Flügel des parteipolitischen Katholizismus, nämlich Lueger und Alfred Ebenhoch (AIn), dem Führer der Katholisch-Konservativen, womit eine Entspannung begann. (Näheres siehe weiter unten.) Diese führte schließlich nach den Reichsratswahlen des Jahres 1907 zur Bildung eines gemeinsamen Klubs (Fraktion) im Abgeordnetenhaus, wodurch dort die Christlichsozialen stärkste Partei wurden. Die Zusammenführung der in den Kronländern sich sehr differenziert gebenden Parteiorganisationen dauert lange und war letztendlich auch 1933 noch nicht abgeschlossen.

Noch konnte Lueger aber Differenzen durch seine Person überdecken, doch nach seinem Tod 1910 – mit dem sich eine schmerzliche Lücke auftat – traten diese wieder auf. Es gab sogar Abspaltungen, wie z. B. Raimund Neunteufel (AW). Die Folge waren u. a. zum Teil erhebliche Verluste bei den Reichsratswahlen 1911, als christlichsoziale Kandidaten aufgrund des damaligen Mehrheitswahlrechts durch ein Zusammenwirken der Sozialdemokraten mit den Deutschnationalen bei der Stichwahl das Nachsehen hatten, obwohl sie im ersten Wahlgang relativ die meisten Stimmen erhielten („Lieber rot, als schwarz!“).

Neben Alfred Ebenhoch (AIn), Alois Prinz Liechtenstein (AW EM) und Albert Geßmann (AW EM) war Lueger die bedeutendste politische Figur bei der Formierung des parteipolitischen Katholizismus im damaligen deutschsprachigen Österreich. Durch sein Charisma und sein politisches Konzept gelang es, die „kleinen Leute“ für sich und die Partei zu gewinnen, indem er die ersten Ansätze zu einer sozialen Integrationspartei schuf. Dies geschah dadurch, daß er nicht nur die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, sondern auch die Gesellen und die katholische Arbeiterschaft unter Leopold Kunschak (Nc EM) wie vor allem dann in Niederösterreich die Bauern für sich gewinnen konnte. Dabei wurde er auch vom Klerus, vor allem dem jüngeren, unterstützt.

Lueger war sowohl eine Alternative zu den Radikalismen auf der Rechten – etwa die Alldeutschen unter Georg von Schönerer – als auch zu der vom Marxismus inspirierten Linken. Diese beiden wollten letztlich die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung je auf ihre Weise transformieren. Lueger hingegen erwies sich in den letzten Jahren für die Monarchie doch als Stabilitätsfaktor. Er ist von Kindheit an österreichisch-patriotisch erzogen worden. Seine große politische Leistung war die Schaffung einer antiliberalen bürgerlichen Bewegung, die christlich (katholisch) motiviert war. Ihr positives Programm war das Christentum, im speziellen die Katholische Soziallehre, die 1891 in der Enzyklika „Rerum novarum“ Papst Leos XIII. ihren Ausgang nahm, ihre negatives Programm der Antisemitismus (siehe unten).

Allerdings beobachtete man bei Lueger nicht selten ein Durcheinander von Gesinnungen und Meinungen. Der Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“, Friedrich Austerlitz, charakterisierte ihn anläßlich seines Todes nicht unrichtig, wenn er feststellte: „Das Gefäß zur Aufbewahrung dieser ganz kontroversen Gedanken war für Lueger die ‚Wiener Gemütlichkeit’. In diesem geräumigen Wurstkessel fand alles Platz: Demokratie und Hofdienst, Hausherrn- und Arbeiterfreundlichkeit, Judenfreundschaft und Antisemitismus. Deutschnationalismus und Klerikalismus und noch ein Schock sonst unvereinbarer Gegensätze.“

Nach seinem Tod zeigte sich rasch, wie eine derartige politische Bewegung wie die Christlichsoziale von einer Person und dessen vielfältigem Charisma abhängig gewesen war. Der „kleine Mann“, d. h. der untere Mittelstand, hatte nicht nur einen herausragenden politischen Führer verloren. Es gab auch niemanden mehr, der dessen Anliegen und Bedürfnisse artikulieren konnte. Das Debakel der Christlichsozialen bei den Reichsratswahlen 1911 ein Jahr nach seinem Tod machte das deutlich. Erst mit Ignaz Seipel (Nc EM) und Engelbert Dollfuß (F-B) wurde dieses Defizit teilweise wieder aufgefangen.

LUEGER ALS BÜRGERMEISTER

Im kollektiven Gedächtnis Österreichs bleibt Lueger vor allem als Bürgermeister von Wien in Erinnerung. Seit 1875 Gemeinderat wurde er 1890 Stadtrat. Zusätzlich engagierte er sich auch im niederösterreichischen Landtag, dem er ab 14. Oktober 1890 bis zu seinem Tod angehörte. Seit dem 17. Mai 1905 war er auch Landmarschall-Stellvertreter von Niederösterreich. In Niederösterreich hieß in der Monarchie der Landeshauptmann Landmarschall, wobei in diesem Amt der Vorsitz im Landesausschuß (Vorform der Landesregierung) wie im Landtag (Landtagspräsident) vereinigt war. Der Landmarschall-Stellvertreter war lediglich der Vertreter des Landmarschalls in seiner Funktion als Landtagspräsident.

Neben Reichsrat und Landtag lag aber Luegers Schwerpunkt eindeutig in der Kommunalpolitik. 1895 erreichten die Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat erstmals die absolute Mehrheit. 1895/96 wurde Lueger dreimal zum Bürgermeister gewählt, jedoch verweigerte Kaiser Franz Joseph jedes Mal die Zustimmung, so dass sich Lueger vorerst (ab 14. Mai 1895) mit der Position eines ersten Vizebürgermeisters zufrieden geben mußte. Die Verweigerung der kaiserlichen Sanktion war aber nicht der willkürliche Akt eines absoluten Monarchen. Der k. k. Ministerrat hatte zwar mehrheitlich für eine Bestätigung votiert, doch der damalige k. k. Ministerpräsident Kasimir Graf Badeni ignorierte aber diesen Beschluß und empfahl dem Kaiser die Ablehnung. Dessen Sanktion war aber nur mit Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten wirksam. Hingegen setzte sich der Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand für Lueger ein.

Erst nach seiner fünften Wahl am 8. April 1897 erfolgte am 16. April 1897 die kaiserliche Bestätigung, weil Badeni seinen Widerstand aufgab, und Lueger wurde Bürgermeister. In den folgenden dreizehn Jahren bis zu seinem Tod setzte er maßgebliche kommunalpolitische Akzente, die Wien zu einer modernen Großstadt machte und von denen Wien noch heute vielfach zehrt. Am Ende seines Lebens war Wien mit über zwei Millionen Einwohnern nach London und Paris die drittgrößte Stadt Europas (Berlin lag knapp unterhalb Wiens) und die fünftgrößte Stadt der Welt (New York und Tokyo lagen vor Wien).

Luegers erstes wichtigstes Ziel war die Kommunalisierung der Gasversorgung, die zu seinem Amtsbeginn in den Händen einer englischen Firma lag. Lueger kündigte die Lizenz und ließ parallel ein städtisches Gaswerk bauen, wofür eine Investitionssumme von 30 Millionen Gulden – für damalige Verhältnisse ein großer Betrag – benötigt wurde. Da die Liberalen die Engländer unterstützten, war auf dem heimischen Kapitalmarkt nichts zu holen. Lueger versprach aber den Auftrag für die Elektrifizierung der Wiener Straßenbahn der deutschen Firma Siemens & Halske. Diese war aber gesellschaftsrechtlich mit der Deutschen Bank verbunden, die nun den Kredit für das Gaswerk bereitstellte.

Mit der Elektrifizierung der Straßenbahn war auch die Übernahme deren Betriebs durch die Stadt verbunden. Ebenso wurde das Elektrizitätswerk „verstadtlicht“. Beide – Gaswerk und E-Werk – bildeten ein eigenes Viertel im Grenzbereich zwischen den Bezirken Landstraße sowie Simmering und sind heute noch durch die Gasometer städtebaulich optisch präsent.

Aufgrund des Wachstums der Stadt Wien war die 1873 errichtete erste Hochquellwasserleitung, die das Wasser aus den Quellen des Schneebergs und der Rax bezog, nicht mehr ausreichend. Lueger gab den Bau einer zweiten Hochquellwasserleitung in Auftrag bzw. ließ diesen vom Gemeinderat beschließen. Er wurde im Jahr 1900 begonnen und Ende 1910 – Lueger war bereits verstorben – feierlich eröffnet. Ein Charakteristikum dieser Wasserleitung sind die rund 100 Aquädukte, die auf der Strecke vom Hochschwab in der Steiermark, wo das Wasser bezogen wird, bis Wien gebaut werden mußten und die betreffenden Landstriche optisch prägen. Während die erste Wasserleitung täglich 65.000 Liter nach Wien brachte, schaffte nun die zweite Wasserleitung 200.000 Liter. Im internationalen Vergleich ist Wien für sein Trinkwasser nach wie vor beneidenswert.

In Luegers dreizehnjähriger Amtszeit wurde 100 Schulen erbaut, die in städtischer Trägerschaft standen bzw. noch stehen. Das waren in der Hauptsache Volks- und Hauptschulen (letztere hießen damals Bürgerschulen). Aber es waren auch einige Realschulen dabei, die damals nicht nur in staatlicher Trägerschaft standen. Sie existieren größtenteils auch jetzt noch in ihrer ursprünglichen Funktion.

Nach heutigen Wertmaßstäben fast schon als visionär zu bezeichnen war Luegers Anliegen, in Wien zahlreiche Grünflächen zu schaffen. Zahlreiche größere und kleinere Parkanlagen („Beserlpark“) sind unter seiner Ägide ausgebaut und angelegt worden. Als Beispiele seien genannt der Arenbergpark, der Wertheimsteinpark, der Schweizergarten (damals Maria-Josefa-Park genannt), der Türkenschanzpark, der Schönbrunner Vorpark, die Grünanlagen am Praterstern sowie die Grünanlagen entlang des Gürtels, des regulierten Wienflusses und des Donaukanals.

Luegers Idee war auch die Erschließung des Grüngürtels im westlichen Wien an den Abhängen des Wienerwaldes, der unverbaut bleiben sollte. Hier wollte er eine Straße von Hütteldorf bis Heiligenstadt bauen. Dieses Vorhaben wurde aber erst 1935 unter Bürgermeister Richard Schmitz (Nc) realisiert (Höhenstraße). Auch die Lobau wollte er als Naherholungsgebiet erschließen lassen und in diesem Gebiet neben Reichsbrücke (hieß damals Kronprinz-Rudolf-Brücke) und Floridsdorfer Brücke (hieß damals Kaiser-Franz-Joseph-Brücke) eine dritte Donaubrücke bauen.

Lueger setzte auch zahlreiche Maßnahmen im sozialen Bereich. So entstand in seiner Amtszeit der großangelegte Bau des Versorgungsheims (Altersheim) in Lainz. Daneben ließ er ein Krankenhaus errichten. Weiters ließ er mehrere Sanitätshilfestationen erbauen. Und da die meisten Wiener Wohnungen kein eigenes Bad besaßen, entstanden auf seine Initiative hin zahlreiche Volksbäder („Tröpferlbäder“). Wegen der in Wien um die Jahrhundertwende grassierende Tuberkulose setzte er auch Maßnahme im Bereich der Hygiene. So führte er u. a. die nächtliche Straßenreinigung ein und hatte die Absicht, den sog. „Mistbauer“ durch eine städtische Müllabfuhr zu ersetzen, was aber sein Tod vorerst verhinderte.

Nur indirekt auf sein Konto als Bürgermeister, sondern eher auf seine Stellung als niederösterreichischer Landespolitiker geht die Errichtung der „Landesirrenanstalt“ Steinhof mit der von Otto Wagner geschaffenen Kirche mittendrin. Denn die „Landesirrenanstalten“ fielen in der Monarchie in die Kompetenz der Kronländer.

Eine Reihe von Plänen konnte Lueger in seiner Amtszeit nicht verwirklichen. Dazu gehörte sein Plan, die mit Dampf betriebene Wiener Stadtbahn, die zum Netz der k. k. Staatsbahn gehörte, zu übernehmen und zu elektrifizieren. Wien hatte im Gegensatz zu London, Paris oder Berlin noch kein diesen Städten vergleichbares Massenverkehrsmittel (Metro, U-Bahn). Nach Plänen um die Jahrhundertwende sollte eine solche Stadtbahn nicht nur das bis 1972 bekannte Netz (Gürtel, Wiental, Donaukanal) umfassen, sondern auch die heutigen S-Bahn-Strecken Vorortelinie, Verbindungsbahnen Hütteldorf–Meidling und Südbahnhof–Nordbahnhof sowie die Donauuferbahn. Auch unter der Ringstraße sollte es eine Stadtbahnlinie geben, und die Donaukanallinie sollte über den Franz-Josefs-Bahnhof nach Heiligenstadt geleitet werden. Eine Verbindung von der Stadtbahnhaltestelle Gumpendorfer Straße nach Meidling bzw. Matzleinsdorfer Platz war auch vorgesehen, ebenso eine solche zwischen Nord- und Nordwestbahnhof, wie sie dann nach 1945 zeitweise bestanden hat (sog. „Russen-Bahn“). Diese Pläne torpedierte das von liberalen Beamten dominierte k. k. Eisenbahnministerium ebenso wie das schon ziemlich weit im Planungsstadium fortgeschrittene Vorhaben Luegers, auf dem Gelände des Bahnhofs Hauptzollamt (heute Wien-Mitte bzw. Landstraße) einen Zentralbahnhof für Wien zu errichten.

Eine Lieblingsidee Luegers war die Errichtung einer österreichischen Ruhmeshalle auf dem Kahlenberg, eine Art Walhalla. Im August 1910 sollte der Grundstein gelegt werden, aber Lueger starb vier Monate davor. Auch war er sehr am Bau des Donau-Oder/Elbe-Kanals interessiert, der aber über ein Anfangsstadium in Wien nicht hinauskam, weil der Krieg dazwischen kam. Dieser Kanal wäre wirtschaftlich für Wien von großer Bedeutung gewesen.

Lueger beauftragte auch Otto Wagner mit der Planung eines Museums der Stadt Wien. Die Pläne sind bis ins Detail bekannt. Wäre dieses errichtet worden, dann wäre das ein architekturhistorisch bedeutsames Werk des Jugendstils geworden. Jetzt steht dort ein Bau der Ära Franz Jonas aus 1959, über dessen bleibenden ästhetischen Wert es mit Recht unterschiedliche Auffassungen gibt … Als Bosnien-Herzegowina 1908 endgültig der Monarchie einverleibt wurde, hatte Lueger die Absicht, für dessen in Wien dauerhaft oder zeitweise weilenden mohammedanischen Einwohner eine Moschee zu bauen.

Was Lueger in dreizehn Jahren für Wien geleistet hat und noch leisten wollte, liest sich mehr als beeindruckend. Dabei wurde gar nicht alles erwähnt. Daran reicht kein Bürgermeister vor und nach ihm heran. Allerdings hatte er es leichter als heute. Zum einen besaß die Christlichsoziale Partei die absolute Mehrheit im Gemeinderat sowie im niederösterreichischen Landtag und war ihm zutiefst ergeben. Lueger brauchte also bei der Umsetzung seiner Pläne in dieser Hinsicht nicht viel Rücksicht nehmen. Hinzu kam noch, daß er bei der Finanzierung der teils gewaltigen Bauvorhaben eine immense Phantasie besaß. Aber selbst dann, wenn das auch heute zuträfe, es bliebe weiterhin immens schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Denn zum anderen mußte sich Lueger trotz mancher ihm nicht wohl gesonnener Bürokraten in Ministerien nicht mit derart zahlreichen Vorgaben und Vorschriften herumschlagen, wie es heute von der EU abwärts Gang und Gebe ist.

Die Jahrhundertwende steht in Wien für ein epochales „fin de siècle“, den „Letzten Glanz der Märchenstadt“ (Otto Friedländer) und für eine besondere geistige wie künstlerische Produktivität, die ihresgleichen sucht, und für einen Auf- und Durchbruch in die Moderne steht. In diesen Zusammenhang werden beispielhaft immer wieder Namen wie Gustav Mahler, die Zwölftonmusiker (z. B. Alben Berg), Sigmund Freud, Otto Wagner, Gustav Klimt, Arthur Schnitzler u. a. genannt. In der Tat verblüfft die Ansammlung solcher Namen, die man in dieser Dichte und Vielfalt kaum woanders findet. Nicht selten wird dann dieses Phänomen hochstilisiert (William M. Johnston). Aber in diesem Fall ist es mehr als zutreffend, wenn man von einer Hochkultur spricht, die nur einen äußerst geringen Prozentsatz der Bevölkerung Wiens interessierte oder erreichte. Man übersieht auch, daß das Wien in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg auch ein ungeheurer sozialer Brennpunkt war, dem auch ein Lueger nicht beikommen konnte. Er war noch viel zuviel in der Tradition des vormodernen Wien mit seinen kleingewerblichen Strukturen verhaftet. Für die Folgen der immensen Binnenzuwanderungsströme aus allen Teilen der Monarchie und expansiven Industrialisierung, wie sie um die Jahrhundertwende einsetzte, geeignete Mitteln zu deren Behebung und Linderung zu finden, war nicht leicht, weder für Lueger, der gut die Hälfte seiner Amtszeit überdies von Krankheit gezeichnet war, noch für solche anderer bzw. nachfolgender politischer Couleur.

Luegers veritablen Leistungen für Wien sind unbestritten. Ohne seine Maßnahmen hätte auch eine wichtige Grundlage für den genannten geistigen und künstlerischen Aufbruch Wiens um die Jahrhundertwende gefehlt. Immer wieder hatte sich Lueger zu den „modernsten“ Methoden kommunaler Innovation bekannt und ist somit auch als der erste „moderne“ Bürgermeister Wiens zu bezeichnen. Aber er verharrte gleichzeitig in einer gewissen „vormodernen“, althergebrachten Harmonie. Die entsprach zum einen seiner Familien-Herkunft und Erziehung, zum anderen wußte er, daß er damit die Massen für sich begeistern konnte.

Die in seiner Amtszeit errichteten Bauten und getätigten Infrastrukturmaßnahmen werden noch zu einer Zeit zu bestaunen sein und bestehen, wenn jenes Klientel, die bei ihm krampfhaft nur das Negative sucht und sieht, endgültig der Vergangenheit angehört bzw. der Vergessenheit anheim gefallen ist.

LUEGER UND DER ANTISEMITISMUS

Die junge Christlichsoziale Bewegung hatte nicht nur einen starken christlichen Impetus, der vor allem die jüngeren Priester (Kapläne) zur Mitarbeit anregte, sie besaß auch einen starken antisemitischen Flügel. In die Zeit der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts fiel der politische Aufstieg zweier Männer, die mit dem Antisemitismus politisch Erfolg haben sollten: Georg Ritter von Schönerer (B! Germania Innsbruck) und Lueger. Während Schönerer und seine alldeutsche Bewegung mit seiner antihabsburgischen und antikirchlichen Haltung Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend ins Abseits geriet, gelang es dem ursprünglich aus dem liberalen Milieu stammenden Lueger, politischen Erfolg zu haben.

Diese Art von Antisemitismus, in den Grundzügen katholisch-konfessionell geprägt und ausgeformt mit wirtschaftlichen und sozialen Elementen, war damals somit ein programmatischer Grundpfeiler der christlichsozialen Sammelbewegung. Obwohl Lueger seine politische Karriere als liberaler Wiener Gemeinderat begonnen hatte, wurde er zum Vorkämpfer der durch den damaligen Manchester-Liberalismus und Hochkapitalismus in ihrer Existenz bedrohten Kleingewerbetreibenden und Handwerker.

Lueger erkannte bald die Zugkraft des Antisemitismus beim unteren Mittelstand, der für seine Notlage die Juden verantwortlich machte. So wurde der Antisemitismus als Antiliberalismus zu einem wesentlichen Integrationsfaktor der Christlichsozialen Partei und damit zur Grundlage einer Massenbewegung des Kleinbürgertums und des Mittelstands. Unterstützt wurde Lueger dabei vom Klerus, der ja historisch von einem gewissen Antijudaismus geprägt war. Für die Gewinnung der kleinbürgerlichen Schichten in den Städten (Handwerker, kleine Angestellte, Gewerbetreibende) war diese politische Facette attraktiv.

Luegers Antisemitismus hatte in erster Linie eine ökonomisch-populistische Grundlage und ist auch in engem Zusammenhang mit seiner ebenfalls politisch motivierten Ungarnfeindschaft („Judäo-Magyaren“), die ein wesentliches Element seiner Agitation ausmachte, zu sehen. „Es blieb aber beim rhetorischen Gestus – niemals ließ Lueger seiner judenfeindlichen Rede Taten folgen. Sein Antisemitismus ist nicht rassistisch, sondern vielmehr populistisch. Niemals habe er gesagt, wie er sich die Lösung der Judenfrage eigentlich vorstelle, schrieb Friedrich Austerlitz, der damalige Chefredakteur der ‚Arbeiter-Zeitung’. Er wolle die Juden weder austreiben, noch ihnen ihre bürgerliche Gleichberechtigung entziehen, er bekämpfte sie eben nur“, so der ehemalige Generaldirektor des Staatsarchivs und frühere SPÖ-Parteihistoriker Wolfgang Maderthaner.

In diese Linie paßt auch, daß einer von Luegers engsten Mitarbeiter in der Wiener Kommunalpolitik Halbjude war, nämlich der langjährige Wiener Vizebürgermeister Karl Porzer (AW EM), weswegen Lueger auch in massive Kritik geriet. Der spätere christlichsoziale Finanzminister Viktor Kienböck, der sich schon vor 1914 bei den Christlichsozialen engagierte, war ebenfalls Halbjude. Und ein anderer Gefolgsmann Luegers, der Wiener Vizebürgermeister Heinrich Hierhammer (Rd EM), war mit einer Jüdin verheiratet. An diesen Beispielen wird manifest, wie ambivalent der Antisemitismus der Christlichsozialen bzw. Luegers war. Eine holzschnittartige Be- und Verurteilung wird daher dem nicht gerecht.

Im „Wahlmanifest der christlichsozialen Reichspartei“ aus dem Jahr 1907, das man als das erste eigentliche Parteiprogramm der Christlichsozialen bezeichnen kann, wird u. a. gefordert, „den Moloch des übermächtigen jüdischen Großkapitals mit aller Schärfe zu bekämpfen. [...] Die Partei wird an den Grundpfeilern eines gesunden Volksempfinden gegenüber den wütenden Anstürmen der vom jüdisch-freimaurerischen Geist geleiteten Sozialdemokratie und ihrer Mitläufer ohne Wanken festhalten.“ Das Feindbild wurde um die Sozialdemokratie erweitert, weil ein guter Teil der akademischen Führungsschicht dieser Partei Juden waren. Der Tod Luegers 1910 änderte nichts an der grundsätzlich antisemitisch ausgerichteten Haltung der Christlichsozialen, die sich erst im Lauf der Jahre, insbesondere im „Ständestaat“, dann abzuschwächen begann.

Der Antisemitismus der Christlichsozialen in den Jahren vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war die Vorlage für den 1922 erschienenen Roman von Hugo Bettauer „Die Stadt ohne Juden“. Die Christlichsozialen haben dort nach einem Erdrutsch-Wahlsieg die Juden per Gesetz aus Österreich verwiesen. Der darauf ins Amt gelangte Bundeskanzler ist ein „Doktor Karl Schwertfeger“, dessen geschildertes Äußeres unschwer an Karl Lueger erinnern sollte.

LUEGER UND DER CV

Erstmals nachweislich in Kontakt mit der katholischen Studentenschaft bzw. den CV geriet Lueger am 2. Juli 1894, als er zusammen mit Albert Geßmann und Viktor Frhr. von Fuchs (AW EM) beim Kommers aus Anlaß der Emeritierung von Prof. Friedrich Maaßen (AW EM) erschien. Dort hielt er auch eine Ansprache, wo er auf die Zustände auf den Universitäten einging. Im Inoffizium (Exkneipe) übernahm Maaßen das Präsidium, während Lueger und Geßmann das Contra-Präsidium bildeten.

„Von denkwürdiger Bedeutung“ (Friedrich Funder) und eminent wichtig für die weitere Zukunft des Politischen Katholizismus war Luegers Erscheinen gut vier Monate später auf dem Festkommers unter dem Präsidium Noricas am 13. November 1894 im kleinen Musikvereinssaal aus Anlaß des 1. niederösterreichischen Katholikentages. Damals erhob sich der katholisch-konservative Abgeordnete Alfred Ebenhoch (AIn) und dankte „seinem lieben Freund Dr. Karl Lueger, diesem unvergleichlichen Manne, diesem hochverdienten Volksvertreter, wie wir keinen besseren im ganzen katholischen Österreich haben, für seine herrlichen Worte, die er am Tage zuvor zur Begrüßung an den Katholikentag gesprochen hat“.

Darauf antwortete Lueger: „Die lieben Worte meines Freundes Ebenhoch verdiene ich kaum, ich hoffe, daß jetzt endlich alles schwinden wird, was uns Katholiken trennt, daß wir alle eine große Armee werden.“ Seit jenem Kommers, auf dem die beiden Parteiführer ihr brüderliches Du-Wort beschlossen hatten, begegneten sie sich oft im Kreise der Norica. Es war daher nicht von ungefähr gewesen, daß diese beiden Männer am entschiedensten den Zusammenschluß der beiden katholischen Parteien betrieben hatten. Daß dies auf dem Boden einer Veranstaltung von katholischen Verbindungen geschah, ist bemerkenswert. Denn damit wird die Integrationsfähigkeit des CV innerhalb des österreichischen Katholizismus augenfällig dokumentiert. Tags zuvor hatte Lueger bereits auf dem Katholikentag eine aufrüttelnde Rede gehalten, die ihm große Sympathien einbrachte.

In der Folge unterstützte Lueger u. a. im Reichsrat die katholischen Studenten in ihrem Kampf um Gleichberechtigung. Als er am 18. Oktober 1900 die Semesterantrittskneipe der Norica besuchte, dort eine umjubelte Rede hielt und sogar das Präsidium der Exkneipe (Inoffizium) übernahm, beschloß die Norica am 16. November 1900, ihm die Ehrenmitgliedschaft zu verleihen. Die Verleihung des Ehrenbandes erfolgte dann auf dem Weihnachtskommers am 13. Dezember. Bei dem Kommers sprach der Senior Noricae: „Wir wollen ehren den überzeugungstreuen Katholiken, den wackeren Deutschen, den kaisertreuen Österreicher.“ Lueger antwortete u. a.: „... mögen Sie versichert sein, daß ich die Kämpfe der katholischen Studenten immer mit großer Aufmerksamkeit verfolgt habe, daß ich, wo immer ich konnte, für dieselben eingetreten bin ...“ Der Kommers fand unter „starker Beteiligung seitens der vornehmen Wiener Gesellschaft statt“. Nach dem Schluß des offiziellen Teils wurde „Dr. Lueger inmitten aller Couleur- und Cartellbrüder photographiert“. Die „bestens gelungenen Photographien“ konnten um drei Kronen erstanden werden.

Im Wahrmundjahr 1907/08 spitzte sich der Kampf zwischen den schlagenden Verbindungen und dem CV zu. Der Funke, der das Pulverfaß entzündete war die von den Schlagenden handgreiflich verhinderte Promotion des Johannes Ude (Cl) in Graz im Oktober 1907. Im November fand ein österreichischer Katholikentag in Wien statt. Am Begrüßungsabend am 16. November hielt Lueger als Bürgermeister eine der Eröffnungsreden, worin er u. a. ausführte:

„... Es ist sehr vieles erreicht worden, aber nichts alles. Es ist in meiner Vaterstadt Wien wohl soweit gekommen, daß die Volksschule kein Gegenstand des Streites mehr ist. [...] Aber wir haben noch andere große Arbeit zu leisten. Es gilt speziell die Eroberung der Universität! Die Universitäten dürfen nicht weiter ein Boden für Umsturzideen, ein Boden für Revolution, ein Boden für Vaterlands- und Religionslosigkeit sein. Wenn ich so bedenke, was in letzter Zeit sowohl an der Wiener als auch an der Grazer Universität und auch anderswo vorgegangen ist, so überkommt mich wirklich die Frage, ja sind denn das wirklich Männer der Wissenschaft? Ich lese aus der Zeitung, daß alle mit Knütteln und Ochsenziemern versehen umhergehen, um anderen Köpfen ihre Wissenschaft beizubringen.“

Luegers Äußerungen führten zu einem erheblichen Rauschen im Blätterwald (heutzutage würde man von einem Shitstorm sprechen) – die „Neue Freie Presse“ schrieb von der „Christlichsozialen Eroberung der Universitäten“ – und dann zu einer Debatte im Abgeordnetenhaus des Reichsrats, in dem der Name Ludwig Wahrmund fiel. Dieser – damals Professor für Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck – entfachte dann erst so richtig den bisher größten und nach ihm benannten Hochschulskandal Österreichs, bei dem es um den Kampf für die Gleichberechtigung katholischer Studentenverbindungen ging.

Lueger ließ sich in der Folge regelmäßig auf Veranstaltungen katholischer Verbindungen bzw. des CV blicken und förderte deren Absolventen. Daher folgten weitere Ehrenbandverleihungen. Dabei ist die von der Austria Innsbruck im Dezember 1907 besonders anzumerken, weil sie auch im Zusammenhang mit der Vereinigung der Katholisch-Konservativen mit dem Christlichsozialen steht. In Tirol waren die Katholisch-Konservativen traditionell stark, und deren Führer Ebenhoch war Urmitglied der Austria.

LUEGERS TOD UND BEGRÄBNIS

Lueger erkrankte bereits 1902 an Diabetes, der sich ab 1906 zunehmend verstärkte und zum Schluß sogar zu seiner Erblindung führte. Ein wirksames Gegenmittel wie nunmehr Insulin gab es damals noch nicht. Ende 1908 verlieh ihm Kaiser Franz Joseph noch den Titel eines k. k. Geheimen Rates mit dem Prädikat Exzellenz. Im Februar 1910 wurde sein Zustand kritisch, und er mußte zweimal operiert werden. Am Ende kann noch eine Lungenentzündung dazu, für die es damals in diesem Zustand nur wenig Rettung gab. Er starb in der Bürgermeisterwohnung des Wiener Rathauses.

Die Chargierten der Wiener Verbindungen hielten drei Tage die Totenwache an seinem im Rathaus aufgebahrten Sarg. Am Donnerstag, dem 14. März 1910, begannen die „Leichenfeierlichkeiten“ um 11.30 Uhr, bei der alle österreichischen CV-Verbindungen chargierten. Der erste Vizebürgermeister Josef Neumayer (Rd EM) – er sollte dann Lueger Nachfolger werden – nahm zuerst im Rathaus nach der ersten Einsegnung Abschied von ihm. Dann setzte sich der Leichenzug zum nahen Parlament in Bewegung. Dort wehten seit dem Tod Luegers die beiden schwarzgelben Fahnen auf Halbmast. Zwischen ihnen hatten sich Minister, Abgeordnete und Herrenhausmitglieder versammelt und warteten auf den Leichenzug. Dann sprachen die Präsidenten der beiden Häuser des Reichsrates Abschiedsworte.

Danach zog der Leichenzug auf der Ringstraße zur Kärntnerstraße. Das Spalier bildete ein Regiment aus dem rumänischsprachigen Teil Siebenbürgens. Zahlreiche Vereine mit ihren Fahnen standen am Straßenrand, um die letzte Ehrerbietung zu erweisen. Eineinhalb Stunden sollte der Leichenzug vom Rathaus, Parlament, über den Ring und die Kärntnerstraße bis zum Stephansdom gedauert haben. Dort begannen um 13 Uhr die mächtigen Glocken zu läuten, eine halbe Stunde später wurde der Sarg beim Riesentor von Erzbischof-Koadjutor Franz Nagl (Aa EM) empfangen und in den Dom geleitet.

Hier warteten schon Kaiser Franz Joseph, der sich beim Vorbeiziehen des Sarges tief verbeugte, weitere Mitglieder des Erzhauses sowie die inzwischen eingetroffenen Regierungsmitglieder, Abgeordnete und weiteren hohen Funktionsträger. Erzbischof Nagl nahm nun die zweite Einsegnung vor. Musikalisch umrahmt wurden diese Exequien von den Wiener Philharmonikern, dem Wiener Schubertbund und dem Wiener Männergesangsverein.

Danach wurde der Sarg aus dem Dom getragen, und der Leichenzug bewegte sich durch die Rotenturmstraße und den Franz-Josephs-Kai bis zum Aspernplatz, der nunmehr nach Julius Raab (Nc) benannt ist. Dort – es war inzwischen schon 15 Uhr – wurde der Sarg auf einen Wagen gehoben. Die engeren Trauergäste bestiegen ca. 1000 bereitgestellte Wägen. Der Trauerzug setzte sich über die Ringstraße in Bewegung und bog in die Landstraßer Hauptstraße ein. Im dritten Bezirk hat 35 Jahre zuvor das politische Wirken Luegers begonnen, und diesen vertrat er bis zu seinem Tod im Wiener Gemeinderat. Und wieder hatte sich ein unabsehbares Menschenspalier gebildet.

Bei der „Marxer Linie“, d. h. am Beginn der Simmeringer Hauptstraße, wurde der schwere Leichenwagen gegen einen leichteren ausgetauscht, so daß es nun im leichten Trab zum Zentralfriedhof gehen konnte, der gesperrt war. Nur offizielle Teilnehmer durften mit. Lueger wurde vorerst im Grab seiner Mutter beigesetzt, weil die Gruft in der später nach ihm benannten Kirche noch nicht fertig war. Die dritte Einsegnung fand nun stand, und letzte Reden wurde am offenen Grab gehalten.

Es war eine „Feier, wie sie noch nicht gesehen wurde“ (Academia). Nach Presseberichten sollte eine Million Menschen diesem Trauerzug beigewohnt haben, vornehmlich im Spalier. Es war zweifelsohne das erste große Couleurbegräbnis des CV in Wien und wurde erst 55 Jahre später von dem von Leopold Figl (Nc) wohl letztmalig übertroffen. Am nächsten Tag, dem Freitag, dem 15. März, wurde im Stephansdom das feierliche Requiem zelebriert. Die Übertragung des Sarges in die Krypta der nach Lueger benannten Kirche am Wiener Zentralfriedhof erfolgte dann am 25. Oktober 1910.

Der Wiener CV veranstaltete für Lueger im vollbesetzten Sofiensaal im dritten Bezirk am 21. April 1910 einen Trauerkommers. Die Trauerrede hielt sein politischer Weggefährte Alfred Ebenhoch (AIn), der keine zwei Jahre später selber in die Ewigkeit abberufen werden sollte. Den Kommers des CV präsidierte der spätere oberösterreichische Landtagsabgeordnete Franz Thomas (NdW).

In den Jahren nach Luegers Tod erschienen zahlreiche Gedenkschriften, die zum Teil unkritische „Huldigungsschriften“ waren. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung Luegers begann erst nach 1945. Erwähnenswert ist aber das Theaterstück über Karl Lueger von Hans Naderer (Rg), das 1934 im (Deutschen) Volkstheater uraufgeführt wurde. Anläßlich des 25. Todestages fand am 10. März 1935 ein Gedächtniskommers des Wiener CV im Großen Saal des Wiener Konterhauses statt, bei dem Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (AIn), der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz (Nc) und der Senior der Norica, Clemens Langer (Nc), nach 1945 Primarius der Lungenheilstätte auf der Baumgartnerhöhe, sprachen. Musikalisch umrahmt wurde der Kommers vom Sängerbund „Dreizehnlinden“ unter der Leitung des Domkapellmeisters Ferdinand Habel (Nc EM).

DAS LUEGER-DENKMAL

Bereits bald nach Luegers Tod bildete sich ein Komitee für die Errichtung eines Denkmals. Es wurde eine Ausschreibung für Entwürfe veranstaltet und jener von Josef Müllner, Professor an der Akademie für Bildende Künste in Wien, ausgewählt. Im April 1914 hatte der Wiener Stadtsenat auch beschlossen, vor dem Rathaus einen Platz für dieses Denkmal zur Verfügung zu stellen.

Infolge des Krieges kamen die Arbeiten für das Denkmal zum Erliegen. Durch eine Initiative von Leopold Kunschak (Nc EM), der den Christlichsozialen in Wien vorstand und deren oberster Repräsentant im Stadtsenat (Landesregierung) und Gemeinderat (Landtag) war, wurde die Denkmal-Angelegenheit im April 1922 wieder in Gang gesetzt. Aufgrund des Krieges und der Inflation waren die bislang gesammelten Geldmittel wertlos, so daß eine neue Sammelaktion begonnen werden mußte.

Inzwischen hatten sich die politischen Verhältnisse im Wiener Rathaus geändert, seit der Gemeinderatswahl im Frühjahr 1919 hatten die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit und stellten nun mit Jakob Reumann den Bürgermeister. Von dort wurde der Wunsch geäußert, von der ursprünglich vorgesehenen Denkmalaufstellung vor dem Rathaus Abstand zu nehmen. Als Ersatz dafür wurde der Platz, wo die Wollzeile in die Ringstraße mündet, in einer Sitzung des Stadtsenates im November 1925 zur Verfügung gestellt. Im April 1926 konnten dann die Fundamentierungsarbeiten beginnen.

In 54 Tagen wurde das Denkmal aufgestellt. Es ist insgesamt 10,5 Meter hoch, davon die Bronzestatue Luegers 4,5 Meter. Diese wiegt 1,2 Tonnen, ihre Fertigstellung nahm acht Monate in Anspruch. Der übrige Teil besteht aus Untersberger Marmor und hat ein Gewicht von 12,4 Tonnen. Die feierliche Enthüllung erfolgte am 19. September 1926. Gleichzeitig wurde der Platz, auf dem das Denkmal steht, von der inzwischen „roten“ Gemeinde Wien in Dr.-Karl-Lueger-Platz benannt. Dafür wurde der Rathausplatz, der seit 1907 Dr.-Karl-Lueger-Platz hieß, wieder in Rathausplatz unbenannt.

DIE POSSE UM DEN DR.

-KARL-LUEGER-RING

Im Zuge der Errichtung der Ringstraße nach dem Schleifen der alten Stadtmauern bzw. der Basteien ab den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde deren Abschnitt zwischen Universitätsstraße und Bellariastraße Franzensring benannt. Dies geschah zum Andenken an Kaiser Franz II. bzw. dann I. (1768–1835). Nach der Gründung der Republik im November 1918 bzw. des politischen Machtantritts der Sozialdemokratie in Wien im Frühjahr 1919 wurden zahlreiche Straßennamen mit habsburgischen Bezug umbenannt.

Dies traf auch auf den Franzensring zu, der gleich 1919 in Erinnerung an den Tag der Ausrufung der Republik den Namen Ring des 12. November erhielt. Diesen behielt er bis zum Februar 1934 bei. Nach dem Verbot der Sozialdemokratie wurde nun der ehemalige Franzensring neuerlich einem Namenswechsel unterzogen. Der Abschnitt zwischen Universitätsstraße bis Stadiongasse wurde in Dr.-Karl-Lueger-Ring benannt, der kleinere Abschnitt zwischen Stadiongasse und Bellariastraße in Dr.-Ignaz-Seipel-Ring

Dieser kleinere Abschnitt wurde nun mehrmals unbenannt. Ab 1940 hieß er Josef-Bürckel-Ring (nach dem „Anschluß-Kommissar“), 1945 wurde wieder daraus Dr.-Ignaz-Seipel-Ring, 1949 nannte man ihn in Parlamentsring um und schließlich 1956 in Dr.-Karl-Renner-Ring. Es gab ja bereits in der Innenstadt einen Dr.-Ignaz-Seipel-Platz.

Der Dr.-Karl-Lueger-Ring blieb aber davon unberührt. Im Zuge der „geschichtspolitischen“ Agitation gewisser linker Kreise (SPÖ, Grüne) wurde immer mehr die Namensbenennung Lueger für den betreffenden Ringabschnitt kritisiert, vor allem wegen dessen antisemitischen Äußerungen. Die Situation spitzte sich im April 2012 zu, als auch der Rektor der Universität Wien, der Mathematiker Heinz Engl, sich im Hinblick auf die 650-Jahr-Feier der Universität Wien eine Namensumbenennung wünschte.

Das nahm der Wiener SPÖ-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny bereitwillig auf und setzte einen entsprechenden politischen Prozeß in Gang, an dessen Ende die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings stand. Neu und überraschend war, daß zusätzlich zum Antisemitismusvorwurf – sogar Hitler hätte sich auf Lueger berufen – auch der Vorwurf einer „Intellektuellengegnerschaft“ Luegers erhoben wurde. Dabei bezog man sich auf die oben erwähnten Äußerungen Luegers am Begrüßungsabend des österreichischen Katholikentages im Oktober 1907. „Ich habe großes Verständnis, daß die Uni ihr bevorstehendes 650-Jahr-Jubiläum nicht an der Adresse von jemandem feiern will, der die Universität verteufelt hat.“ (Andreas Mailath-Pokorny)

Weder Engl noch Mailath-Pokorny bzw. deren Berater haben sich offenbar die Mühe unterzogen, dem Kontext dieser Äußerung nachzugehen. Hier wurden weder Universität noch Professoren an sich „verteufelt“, sondern Lueger kritisierte in scharfer Form jene Zustände auf der Universität, wo deutschnationale Studenten einen handgreiflichen Terror gegenüber Andersdenkende ausübten und wo es eine Reihe von Professoren gab, die das maßgeblich unterstützten. Indem nun Engl und Mailath-Pokorny in diesem Punkt an Lueger Kritik übten, unterstützten sie letztlich diese Sudenten und Professoren, die nicht nur Andersdenkenden das Recht auf Gleichberechtigung absprachen, sondern auch für das Aufgehen Österreichs im Hohenzollern-Reich eintraten.

Damit wurde offenkundig, daß es diesen beiden Herren weniger um intellektuelle Redlichkeit, als um eine polithistorische Agitation ging. Lächerlich war auch das Argument, die Post u. a. verwechseln beim Namen Lueger oft diesen Ring mit dem doch etwas entfernter liegenden Platz. Beim nunmehrigen Namen Universitätsring schien wohl dieser Vorwurf nicht zu gelten, obwohl in diesen die Universitätsstraße mündet.

Dabei hätte, wenn man schon unbedingt einen anderen Namen wollte, der Rückgriff auf den Namen Franzensring durchaus seinen Charme gehabt. Es gibt in der österreichischen Geschichte kaum einen Kaiser oder Politiker, der so viel für das Universitätswesen getan hat, wie Kaiser Franz II./I. In Wien hat er die Technische Hochschule (Polytechnisches Institut) gegründet, und die Ende des 18. Jahrhunderts zu Lyzeen herabgestuften Universitäten in Graz und Innsbruck hat er wieder als Volluniversität eingerichtet. Daher führen diese in der Bezeichnung die Präfixe Karl-Franzens bzw. Leopold-Franzens. Aber so weit in die Vergangenheit reicht offenbar der Horizont gewisser Zeithistoriker nicht.

Im Jahr 2013 hat eine Historikerkommission – angestoßen u. a. auch von Mailath-Pokorny – Wiens Straßennamen auf ihre Problematik hinsichtlich Nationalsozialismus untersicht, im Zuge dessen auch der Dr.-Karl-Lueger-Platz ins Visier geriet. Von einer Umbenennung nahm man jedoch Abstand. Aber es wurde beschlossen, Zusatztafeln bei 14 derartigen problematischen Namen anzubringen, so auch beim Lueger-Platz. Auf der dortigen steht nun in einem etwas holprigen Deutsch u. a. zu lesen: „Kritisch bewertet muss sein populistischer Antisemitismus, der ein politisches Klima förderte, welches die Verbreitung des Nationalsozialismus förderte.“

WAS VON LUEGER GEBLIEBEN IST

Das beschreibt wohl eindrucksvoll der große katholische Publizist Österreichs, Friedrich Funder (Cl), in seinem Nachruf in der „Academia“: „Dr. Karl Lueger! Welch eine Fülle der herrlichen und begeistertsten Erinnerungen birgt dieser Name für uns! […] Unsere Herzen haben im zugejauchzt, seine Leiden und seine Siege waren die unseren, denn es wußte ein jeder unter uns, Dr. Lueger ist der große Befreier unseres Volkes, der Erretter, der das katholische Österreich neue Wege zu einer größeren Zukunft führt. […] Man kann sagen, ohne Dr. Lueger hätte unser ganzes katholisches Verbindungswesen nicht diese glänzende Entwicklung genommen, wie sie die letzten anderthalb Jahrzehnte aufweisen, und ohne Dr. Lueger hätte unser ganzes katholisches Österreich nicht jene Fülle von neuen kräftigenden Ideen erhalten, welche auch dem katholischen Studententum in Österreich einen neuen Inhalt und neue Ziele geben.

Er stellte uns die Macht eines solidarischen christlichen Österreich vor Augen, er führte den Bürger, den Bauer, Arbeiter und den Beamten zu gemeinsamer Verteidigung der geistigen und materiellen Interessen des christlichen Volkes zusammen, er verkündete aufs neue gegenüber den zersetzenden österreichfremden Bewegungen eines extremen Deutschnationalismus die Größe des eigenen Vaterlandes, für das er die Zukunft eines Groß-Österreich, durch eine Vereinigung aller Völker im Zeichen christlicher Eintracht und Gerechtigkeit ankündigte, er gab dem katholischen Österreich das stolze Selbstvertrauen wieder.“




Quellen und Literatur:

Academia 7 (1894/95), 110; 13 (1900/01), 206, 238 und 273; 21 (1908/09), 278; 22 (1909/10), 454–459, 482; 23 (1910/11), 32, und 39 (1926/27), 198f.
Funder, Friedrich (Cl): Dr. Karl Lueger, in: Academia 22 (1909/10), S. 454–459 und 482.
Soukup, Richard: Lueger und sein Wien. Ein Volksbuch um den großen Bürgermeister Wiens. Wien 2. Aufl. 1953.
Skalnik, Kurt: Dr. Karl Lueger. Der Mann zwischen den Zeiten. Wien 1954;
Schnee, Heinrich: Dr. Karl Lueger. Leben und Wirken eines großen Sozial- und Kommunalpolitikers. Umrisse einer politischen Biographie. Berlin 1960.
Hawlik, Johannes: Der Bürgerkaiser. Karl Lueger und seine Zeit. Wien 1985.
Reichhold, Ludwig: Karl Lueger. Der soziale Wandel in der Kommunalpolitik. Wien 1989.
Geehr, Richard S.: Karl Lueger. Mayor of Fin de Siècle Vienna. Detroit 1990.
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Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, 49, 85, 87, 91, 93, 97–101, 105, 108, 115, 127, 138–146, 158, 181, 199, 202, 205, 208, 477, 482f., 495.
Boyer, John W.: Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Wien 2010.
Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich. Hg. Helmut Wohnout. Jahrgang 13/14 – 2009/2010. Wien 2011 (Themenschwerpunkt Karl Lueger).
Darin folgende Beiträge:
Pelinka, Anton: Karl Lueger – Mythos und Gegenmythos, 45ff.
Wohnout, Helmut (Nc): Die Rolle Karl Luegers in der christlichsozialen Bewegung, 49ff.
Maderthaner, Wolfgang: Karl Lueger und die Politik der Massen. Zur Lueger-Rezeption durch die Sozialdemokraten, 65f.
Die Presse, 19. 4. 2012 (Interview mit Andreas Mailath-Pokorny).
Maderthaner, Wolfgang: Der geräumige Wurstkessel des Dr. Karl Lueger, in: Die Presse, 2. 5. 2012.
Kurier, 2. 12. 2016 (betr. Zusatztafeln).
https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2101237-Wohin-mit-Karl-Lueger-und-seinem-Platz.html (Franz Schausberger und Johannes Schönner), 21. 4. 2021.
Kriss, Simon–Zathammer, Stefan: Austriae mortuis I. Die Verstorbenen Austrier der Rezeptionsjahrgänge von 1864–1910. Innsbruck 2024, 429 -431 und 537.