Lebenslauf:
HERKUNFT UND AUSBILDUNG
Hößlinger wurde als einziger Sohn des Rechtsanwaltes („Hof- und Gerichtsadvokat“) Max Hößlinger geboren, der ein Angehöriger der Wiener Burschenschaft Silesia war. Diese nahm am 1. Dezember 1870 an einer studentischen Veranstaltung teil, die den Sieg Preußens über Frankreich jubelnd feierte. Es kam auf dieser zu kleindeutschen Manifestationen, bei denen sich auch Max Hößlinger in diesem Sinne zu Wort meldete. Ihm replizierte der ebenfalls anwesende Karl Lueger (Nc EM), worauf es zu Tumulten kam. In der Folge wurde die Silesia zeitweise verboten. Max Hößlinger war in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein kleindeutscher Agitator in Österreich. In den achtziger Jahren fand er jedoch zum Katholizismus und zur Christlichsozialen Partei, für die er im Wiener Gemeinderat von 1895 bis zu seinem Tod 1898 saß. Er fand offenbar auch Kontakt zur Austria und der Norica, denn es wird deren „Abordnungen“ bei seinem Begräbnis berichtet.
Nach der Volksschule absolvierte Guido Hößlinger das Wiener Schottengymnasium mit Auszeichnung und begann danach das Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (Dr. iur. Ende 1895). Als Student hatte er bereits Kontakt zu den beiden katholischen Verbindungen Austria und Norica (siehe unten mehr). So ist der erste Kontakt zur Norica durch seinen Besuch beim Weihnachtskommers 1891 nachweisbar. Zustande kam dieser über die Marianische Kongregation. Hößlinger war auch allgemein in der Katholischen Studentschaft aktiv. Im März 1892 hat er bei einem Treffen zu einer Gemeinsamkeit in einer Katholischen Studentenschaft aufgerufen. Als 1894 ein Delegiertenkonvent der katholischen Studentenschaft Wiens geschaffen wurde, war er deren Vizepräsident.
Nach der Absolvierung des Gerichtsjahrs in Wien und Innsbruck schlug er vorerst die Anwaltslaufbahn ein („Advokaturskonzipient“) und legte auch die Anwaltsprüfung ab. In dieser Zeit entfaltete er eine ausgedehnte Vortragstätigkeit über wissenschaftliche und volkswirtschaftliche Themen im Rahmen des katholischen Milieus.
HÖSSLINGER UND DIE BUNDESLÄNDER-VERSICHERUNG
Der führende christlichsoziale Politiker und Reichsratsabgeordnete Albert Geßmann (AW EM) wurde auf Hößlinger aufgrund dessen Engagements aufmerksam, der über dessen Anregung mit 1. Januar 1902 als Direktionssekretär in den Dienst der Niederösterreichischen Landesversicherungsanstalten eintrat. Unter deren gemeinsame Direktion waren damals (vor 1914) die Landes-Brandschaden-Versicherungsanstalt, die Landes-Lebens- und Rentenversicherungsanstalt, die Landes-Vieh-Versicherungsanstalt, die Landes-Hagel-Versicherungsanstalt und die Landes-Unfall- und Haftpflicht-Versicherungsanstalt zusammengefaßt. Diese Versicherungsanstalten waren Einrichtungen der damaligen autonomen Landesverwaltung Niederösterreichs unter politischer Leitung des Landesausschusses (Vorform der jetzigen Landesregierung) und der Kontrolle des Landtags. Die dort tätigen Mitarbeiter waren Beamte der autonomen Landesverwaltung.
Hößlinger machte bei den Landesversicherungsanstalten rasch Karriere. Von 1903 bis 1906 leitete er die Landes-Brandschaden-Versicherungsanstalt, um dann wieder in der Direktion tätig zu sein. 1909 wurde er zum Direktorstellvertreter und 1912 zum Direktor der Landesversicherungsanstalten ernannt. Als solcher führte er den Amtstitel Oberlandesrat und gehörte der damaligen V. Rangklasse der Beamten an (entsprach einem Ministerial- oder Hofrat). Anfang Januar 1917 wurde ihm der Titel eines Generaldirektors verliehen.
Mit dem Ende der Monarchie wurde zum einen die politische bzw. verwaltungsmäßige Zweigleisigkeit der Länder beendet (autonome Landesverwaltung unter einem Landesausschuß und Landtag sowie mittelbare Staatsverwaltung unter einem Statthalter) und dann zum anderen Wien eigenes Bundesland. Das machte die Neuorganisation der Landesversicherungsanstalten nicht nur in Niederösterreich notwendig. Zum einen hatten die Sozialdemokraten in Wien kein Interesse am Weiterbestand der Niederösterreichischen Versicherungsanstalten, zum anderen gerieten durch den verlorenen Krieg und die Inflation die vergleichbaren Versicherungsanstalten der übrigen Länder in Bedrängnis.
Durch Hößlingers Initiative entstand 1922 durch Zusammenschluß der Versicherungsanstalten der Länder (mit Ausnahme Wiens) die Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, deren erster Generaldirektor Hößlinger wurde. Mit 15. März 1929 wurde er dann zum geschäftsführenden Präsidenten des Verwaltungsrates der Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer gewählt. Damit schied er aus dem unmittelbaren Tagesgeschäft. Diese Funktion übte er bis zu seinem Tod aus
Unter Hößlingers Leitung wurde die Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer, umgangssprachlich auch „Bundesländer-Versicherung“ genannt, bereits in der Zwischenkriegszeit zu einer der bedeutendsten Versicherungsunternehmen Österreichs. Dieser Erfolg fußte nicht zuletzt auf der Achse zwischen den christlichsozial dominierten Bundesländern und dem Politischen Katholizismus, so daß diese Versicherung eine gewisse Dominanz im katholischen Milieu erreichen konnte, die bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts andauern sollte. Hößlinger engagierte sich auch allgemein für die österreichische Versicherungswirtschaft. Es gelang ihm, die privaten Versicherungen mit den sogenannten „halböffentlichen Anstalten“, zu denen auch die „Bundesländer-Versicherung“ gehörte, zur Zusammenarbeit zu bringen. Er war daher auch Vizepräsident des Verbandes der Versicherungsanstalten Österreichs.
HÖSSLINGER, DIE BUNDESLÄNDER-VERSICHERUNG UND DER CV
Bezüglich Hößlingers Mitgliedschaft im CV bzw. bei den Verbindungen Austria und Norica gibt es Ungereimtheiten. Bei der Austria Wien ist er als im Studienjahr 1993/94 eingetretener Ehrenbursch nachweisbar. Das war noch keine ordentliche Mitgliedschaft, die mit einer Urmitgliedschaft in einer CV-Verbindung vergleichbar ist. Aber die Austria war damals noch nicht Mitglied des CV und hatte zu dieser Zeit einige zum CV abweichende Formen von Mitgliedschaften.
Nach dem Beitritt der Austria Wien und der übrigen Verbindungen des Zweiten ÖCV zum CV im Jahr 1906 wurde Hößlinger in den Gesamtverzeichnissen des CV von 1908 bis 1931 als Ehrenphilister bei der Austria Wien mit dem Beitrittsdatum 20. Februar 1896 geführt. Nach seiner Promotion Ende Dezember 1895 wurde er offenbar vom Status eines Ehrenburschen in jenen eines Ehrenphilisters überführt. Die Einrichtung eines Ehrenphilisters findet sich im Gesamtverzeichnis 1931 nur bei acht Wiener Verbindungen (wovon sechs der „Austria-Familie“ angehörten). Beim Beitritt des Zweiten ÖCV wurden die Ehrenphilister in den CV übernommen und in den Gesamtverzeichnissen hinter die Bandphilister gereiht. Dies geschah jedoch nicht mit den Ehrenburschen. Gegenüber dem CV bzw. der CV-Öffentlichkeit wurden daher diese Ehrenphilister mit dem betreffenden Übertrittsdatum geführt.
Bei der Norica wurde auf einem Convent am 22. Februar 1901 die Ehrenmitgliedschaftsverleihung an Hößlinger beschlossen. Verliehen wurde diese auf dem Semesterschlußkommers am 12. März 1901. Laut Friedrich Funder (Cl) war das die zweite bedeutsame Ehrenbandverleihung nach Karl Lueger. Erhalten aus dieser das von Hößlinger anläßlich des 20. Stiftungsfest verfaßte Gedicht „Noricas Schlachten“, das mit den Worten beginnt: „Du stolze Fahne flattre hoch, aus Weiß und Blau und Gold.“ In den Gesamtverzeichnissen des CV von 1902 und 1905 wurde Hößlinger bei der Norica als Ehrenmitglied geführt, jedoch von 1908 bis 1931 findet er sich bei der Norica unter den Bandphilistern, wobei er dort – wie bis 1967 üblich – mit der Urverbindung Austria Wien und dem Datum 20. Februar 1896 gelistet ist.
Das war nicht korrekt. Denn wenn jemand bei einer Verbindung als Bandphilister geführt wird, muß er bei einer anderen Verbindung Urmitglied sein. Hößlinger war das aber nicht, denn er war Ehrenphilister. Abgesehen davon hätte er bei der Norica Ehrenmitglied bleiben müssen. So war z. B. der Wiener Bürgermeister Richard Weiskirchner bei der Norica Ehrenmitglied und bei der Austria Wien Ehrenphilister. Mit Ausnahme von Hößlinger wurde keiner der im Gesamtverzeichnis 1910 angeführten Ehrenphilister der betreffenden Wiener Verbindungen woanders als Bandphilister geführt, sondern in der Regel ebenfalls als Ehrenphilister oder als Ehrenmitglied.
Entgegen der vielen Jahre geübten Darstellung in den Gesamtvezeichnissen des CV wurde Hößlinger überraschenderweise im ersten Gesamtverzeichnis des ÖCV im Jahr 1935 bei der Norica unter den Urphilistern mit dem Beitrittsdatum 12. Dezember 1895 und bei der Austria Wien unter den Bandphilistern geführt. Nun wurde die Einrichtung der Ehrenphilister mit Gründung des Dritten ÖCV 1933 (nach der sog. Abschaltung vom CV) abgeschafft, und die bestehenden Ehrenphilister wurden Urmitglieder der betreffenden Verbindungen. Hößlinger hätte nach dem bisherigen Status bei der Austria Wien als Urmitglied geführt werden müssen, während sich bei der Norica nichts geändert hätte und die Listung unter den Bandphilistern nun korrekt geworden wäre.
Warum nun Hößlinger plötzlich bei der Norica Urmitglied geworden ist, läßt sich archivalisch nicht mehr eruieren. Über die Gründe kann daher nur spekuliert werden. Daß der Senior der Norica beim Begräbnis Hößlingers (siehe unten) Band und Mütze beider Verbindungen ins offene Grab geworfen und somit einen gewissen Vorrang besessen hat, bestätigt indirekt, daß diese Umänderung offenbar auch im Einvernehmen mit der Austria erfolgt ist. Daher könnte ein Wunsch Hößlingers vorgelegen haben, weil er offenbar zur Norica mehr Kontakte hatte. Schließlich war Carl Habich (Nc) inzwischen Generaldirektor der „Bundesländer-Versicherung“ und vorher ein enger Mitarbeiter Hößlingers. Am 12. Dezember 1895 könnte bei der Norica ein Convent getagt haben, auf dem möglicherweise über einen Beitritt Hößlingers zur Norica verhandelt aber nichts entschieden wurde. Somit hat man dieses Datum genommen, womit man vor der Austria lag. Für die rückblickende bzw. historische Statusbewertung eines CVers bzw. die Aufnahme ins Online-Gesamtverzeichnis des ÖCV oder die Führung in diesem gilt der Augenblick seines Todes. Und bei diesem war Hößlinger nach den vorhandenen Quellen Urphilister der Norica und Bandphilister der Austria (Couleurname Welf).
Hößlingers Bedeutung für den CV hängt vor allem auch mit seiner beruflichen Funktion zusammen. Bei den österreichischen Verbindungen des CV entstand nun um 1910 der Gedanke einer Zusammenarbeit mit einer Versicherung. Nachdem Hößlinger 1909 Direktorstellvertreter und ab 1912 Direktor der Niederösterreichischen Landesversicherungsanstalten geworden ist, wurde 1912 zwischen diesen und den österreichischen CV-Verbindungen ein Übereinkommen getroffen. Kern dieser Vereinbarung war: Die Landesversicherungsanstalten gewähren zum einen den CVern, wenn sie bei ihr eine Versicherung welcher Art auch immer abschließen, eine Vergünstigung, zum anderen dem CV eine Provision. Im Deutschen Reich war die Preußische Lebensversicherung AG in Berlin der Partner für den reichsdeutschen Teil des CV.
Diese Zusammenarbeit zwischen den Niederösterreichischen Landesversicherungsantalten und den österreichischen CV-Verbindung wurde auch 1922 mit der Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer weitergeführt, aus der dann 1999 die UNIQA wurde. Dadurch ergab sich auch eine starke personelle Präsenz von CVern in diesem Unternehmen auf allen Ebenen. Deutlich wird das vor allem bei der Führungsspitze. Als 1929 Hößlinger Präsident des Verwaltungsrates wurde, rückte bei diesem Revirement der bisherige Generalsekretär Carl Habich (Nc) zum Generaldirektorstellvertreter auf. 1932 wurde er dann Generaldirektor, welche Funktion er nach 1945 bis zu seinem Tod 1962 ausübte. Seine Nachfolger in dieser Funktion wurden zuerst Anton Zöhrer (Rg EM) und dann 1966 Herbert Cretnik (BbW), der die Geschicke der „Bundesländer-Versicherung“ bis 1980 leitete. Danach war Kurt Ruso (ehemals Merc) Generaldirektor, der jedoch Ende 1985 zurücktreten mußte und dann 1988 wegen Untreue zu sieben Jahr Haft verurteilt wurde. Anfang 1986 übernahm Walter Petrak (S-B EM) die Führung der „Bundesländer-Versicherung“ und hatte sie bis Ende 1996 inne. Danach kam es zum Umbau in die UNIQA.
Hößlinger, der unverheiratet blieb, starb nach längerem Leiden. Sein Begräbnis am 18. Dezember 1935 gestaltete sich zu einer Manifestation des politischen („Ständestaat“) Österreich und des Politischen Katholizismus unter Teilnahme zahlreicher entsprechender Prominenz. Er wurde in der Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes der „Bundesländer-Versicherung“ (Renngasse 1) aufgebahrt. Dort erfolgte um 13 Uhr die erste Einsegnung durch den Abt des Schottenstiftes, Hermann Richard Peichl (M-D). Nach dieser hielt der Vorsitzende des Länderkuratoriums der „Bundesländer-Versicherung“, der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl (AW), eine Gedenkansprache, bei der die Person Hößlingers und seine Leistungen gewürdigt wurden, insbesondere auch sein soziales und kirchliches Engagement.
Danach bewegte sich der Kondukt in die benachbarte Schottenkirche, wo der Wiener Weihbischof Franz Kamprath (F-B EM) die zweite Einsegnung vornahm. Musikalisch umrahmt wurde diese unter der Leitung des Wiener Domkapellmeisters Ferdinand Habel sen. (Nc EM). Unter widrigen Wetterumständen (Schnee und Regen) fuhr dann der Kondukt nach Preßbaum, wo in der dortigen Pfarrkirche vom Ortspfarrer die dritte Einsegnung erfolgte. Anschließend wurde der Leichnam unweit auf dem Friedhof von Dürrwien im Familiengrab beigesetzt. Der Senior der Norica, Johann Krieger (Nc), warf die Bänder und Mützen der Norica und der Austria Wien ins offene Grab. Die Chargierten beider Verbindungen nahmen, wie schon beim Vater, an den Begräbnisfeierlichkeiten teil.
Quellen und Literatur:
Verbindungsarchiv Norica (Georg Schmitz, 4. 2. 2017)Academia 13 (1900/01), S. 375, 15 (1902/03), S. 300 (hier ist „Noricas Schlachtenfarben“ abgedruckt), und 25 (1912/13), S. 14 (15. 6. 1912).
Reichspost, 29. 11. 1898, 10. 1. 1917 sowie 16. und 19. 12. 1935.
Österreichische Illustrierte Zeitung, 39. Jg., Heft 14, 7. 4. 1929, S. 21f.
Funder, Friedrich (Cl): Das weiß-blau-goldene Band. „Norica“: Fünfzig Jahre Wiener katholischen Studententums. Innsbruck 1933, S. 54–56, 61 und 74.
Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 2, Wien 1959, S. 370.
Rehberger, Robert (Rd): Geschichte der katholischen österreichischen Studenten-Verbindung Austria in Wien. Erster Teil 1876 – 1889. Wien o. J. (1957), S. 15f. (über Max Hößlinger und Karl Lueger)
Ders.: Geschichte der katholischen österreichischen Studenten-Verbindung Austria-Wien. Zweiter Teil 1890 – 1900. Wien o. J. (1996), S. 65 (Hößlinger als Ehrenbursch der Austria)