Lebenslauf:
HERKUNFT UND AUSBILDUNG
Geßmann wurde als Sohn eines k. k. Hofkriegsratsbuchhaltungsoffizials geboren und absolvierte 1869 in Wien das Akademische Gymnasium. Danach studierte er Geschichte und Geographie an den Philosophischen Fakultäten der Universitäten Wien und Graz (Dr. phil. 1875) und legte in diesen Fächern auch die Lehramtsprüfung für Gymnasien ab. Zwischen 1975 und 1978 studierte er an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität, ohne jedoch dieses Studium abzuschließen.
1870/71 absolvierte Geßmann zuerst beim Fuhrwesen (Train) und danach am Kriegsarchiv sein Einjährig-Freiwilligen-Jahr. Mit 1. Januar 1874 trat er in den Dienst der Wiener Universitätsbibliothek, wurde dort 1898 Kustos und dann 1903 in den dauernden Ruhestand versetzt, aus dessen Anlaß er den Titel Regierungsrat verliehen bekommen hatte.
GESSMANNS POLITISCHER WEG
Anfang der achtziger Jahre stieß Geßmann so wie Karl Lueger (Nc EM) zu den Bürgerlichen Demokraten und zog 1882 in den Wiener Gemeinderat ein, dem er zuerst bis 1888 und dann wieder ab 1893 bis 1911 angehörte. 1896 kandidierte er für den niederösterreichischen Landtag, wurde gewählt und gehörte ihm nach Wiederwahlen vom 28. Dezember 1896 bis zum 8. Januar 1915 an.
Dem niederösterreichischen Landesausschuß (Vorform einer Landesregierung) gehörte er vom 28. Dezember 1896 bis 14. Januar 1908 sowie vom 8. Januar 1909 bis zum 29. September 1911 an. In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates wurde er 1891 gewählt, dem er dann nach Wiederwahlen vom 9. April 1891 bis zum 30. März 1911 angehörte. Nach dem Tod Luegers war er vom 18. Oktober 1910 bis zum 30. März 1911 Obmann der Christlichsozialen Vereinigung im Abgeordnetenhaus (Fraktionsführer). Bei den für die Christlichsozialen schlecht ausgegangen Wahlen zum Reichsrat im Jahr 1911 unterlag er in seinem Wahlkreis.
Nach den Reichsratswahlen des Jahres 1907, die zum ersten Mal nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für Männer abgehalten wurden, zogen die mit den Katholisch-Konservativen vereinigten Christlichsozialen als stärkste Fraktion in das Abgeordnetenhaus ein. Es erfolgte danach eine Tendenz zur Parlamentarisierung der Regierung, so daß Geßmann vom k. k. Ministerpräsidenten Max Vladimier Frhr. von Beck in die k. k. Regierung für die österreichische Reichshälfte geholt wurde. Er gehört nun dieser vom 9. November 1907 bis zum 21. März 1908 zuerst als k. k. Minister ohne Portefeuille an. In dieser Stellung war er der Initiator des 1908 neu geschaffenen k. k. Ministeriums für Öffentliche Arbeiten, dessen Kompetenzen jene des ab 1966 zeitweise existierenden Bautenministeriums und Teile des Verkehrsministeriums umfaßten. Vom 21. März 1908 bis zum 15. November 1908 war er als k. k. Minister der erste Ressortchef dieses Ministeriums, das er hiermit auch aufbaute. Auf Grund seiner Ministertätigkeit führte er den Titel eines „k. k. Geheimen Rates“ mit der Anrede Exzellenz. Daß es zum Rücktritt der Regierung Beck im November 1908 gekommen ist, war wohl auch durch Geßmann bzw. die Christlichsoziale Partei verursacht.
Als Organisator des Wahlkampfes für die Reichsratswahlen 1911, die für die Christlichsozialen schlecht ausgingen, geriet Geßmann in die Kritik, woraufhin er alle Parteiämter zurücklegte. Am 19. Mai 1917 wurde er dann von Kaiser Karl I. als lebenslängliches Mitglied in das Herrenhaus berufen.
GESSMANNS EIGENTLICHE POLITISCHE BEDEUTUNG
Geßmann war als enger Weggefährte Luegers der eigentliche Organisator der Christlichsozialen Partei und wird als solcher in der historischen Literatur als deren „Generalstabschef“ bezeichnet. Am rasanten Aufstieg dieser Partei in den rd. 20 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, insbesondere im Raum Wien/Niederösterreich, hatte er einen wesentlichen Anteil. Obwohl es damals noch nicht die Funktion eines Generalsekretärs der Partei gab, füllte er diese aus. 1894 war er Mitbegründer der „Reichspost“, des inoffiziellen Organs der Christlichsozialen und gehörte dann später bis zu seinem Tod der Direktion des herausgebenden Verlags „Herold“ an.
Geßmann war 1907 auch einer der wichtigsten Architekten der Vereinigung der beiden Parteien des parteipolitischen Katholizismus, der Christlichsozialen und der Katholisch-Konservativen. So stellte er am Christlichsozialen Parteikongreß vom 11. März 1907 nahezu visionär fest, daß nur eine echte klassenübergreifende Partei, die Bauern, städtisches Bürgertum und Arbeiter umfasse, eine funktionierende Alternative zur Sozialdemokratie sein könne. Man erkennt hier bereits deutlich das Modell einer sozialen Integrationspartei, wie sie erfolgreich nach 1945 von der ÖVP bzw. von der CDU/CSU praktiziert wurde.
Geßmann erkannte das wichtige Potential der katholischen Verbindungen für die akademische Elite und förderte dieses daraufhin besonders als „Generalstabschef“ der Christlichsozialen Partei. Zu diesen von ihm geförderten jungen katholischen Akademikern zählten u. a. Karl Drexel (Cl EM), Friedrich Funder (Cl), Wilhelm Miklas (AW EM), August Kemetter (AW), Richard Schmitz (Nc) und Richard Wollek (AIn), der dann Sekretär der Christlichsozialen Partei wurde.
Geßmann war derjenige, der den jungen CVern den Weg in die Politik bzw. in die Christlichsoziale Partei ebnete. In dieser Funktion vermittelte er auch vielen CVern berufliche Perspektiven und Positionen. Auch unterstützte er die katholischen Verbindungen im akademischen Kulturkampf. Dies tat er insbesondere durch Interpellationen im Reichsrat. So gesehen war die Ehrenmitgliedschaftsverleihung der Austria Wien an ihn nur konsequent.
Obwohl „nur“ Ehrenmitglied war Geßmann mit dem CV stark verbunden. So berichtet die „Academia“ über den Kommers anläßlich des Österreichischen Katholikentages im November 1907 und das dort umjubelte Erscheinen Geßmanns: „Der Kommers war in der Geschichte der Studentenverbindungen und der Katholiken überhaupt von historischer Denkwürdigkeit, da es Montag abends zum erstenmal geschah, daß in Österreich oder Deutschland ein Minister auf einem katholischen Kommers erschien und sich offen zu den Idealen der katholischen Studentenschaft bekannte.“
Nach Brigitte Hamann soll Geßmann jüdischer Herkunft gewesen sein. Sie bleibt aber den Nachweis schuldig, ihre Behauptung ist auch nirgendwo sonst noch belegt. Da Geßmanns Vater bereits vor 1848 Beamter im Hofkriegsrat war (so hieß vorher das Kriegsministerium). ist das auch deswegen unwahrscheinlich, weil Juden damals eine solche Laufbahn noch verwehrt war. Desgleichen war nach Czedik (siehe unten) die Familie in der fünften Generation im Schottenfeld (7. Bezirk) ansässig.
Geßmann, der auch 1909 bis 1910 Gründungspräsident der Wiener Baukredibank war, erlitt 1916 einen Schlaganfall, der ein fortschreitende körperliche Behinderung zur Folge hatte und dem er schließlich auch erlag. Er wurde auf dem Friedhof von Reichenau begraben. Im Wiener 21. Bezirk ist nach ihm eine Gasse benannt.
Werke:
Zur Mittelschulreform (1908).Quellen und Literatur:
Academia 16 (1903=4), 194.Czedik, Alois: Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861–1916. III. Band: 1905–1908. Teschen 1920, 185–186.
Binder, Edeltrude: Doktor Albert Geßmann. Wien phil. Diss. 1950.
Krause, Otto: Biographisches Handbuch des nö. Landtages 1861–1921 (online: Landtag Niederösterreich). St. Pölten 1995.
Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München 7. Aufl. 1997, 417.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, 98, 108, 129, 138, 144, 182, 187, 495, 740, 744f.
Boyer, John W.: Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie (= Studien zu Politik und Verwaltung Band 93). Wien 2010, 295, 198, 323 und 341.
https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Gessmann.shtml(abgerufen am 07.07.2022)