Lebenslauf:
HERKUNFT UND AUSBILDUNG
Rudolf wurde als Sohn eines in einem der Mautner Markhof’schen Betriebe arbeitenden Tagelöhners in Wien-Erdberg (Keinergasse) geboren. Seine Eltern sind aus Böhmen nach Wien zugewandert, wodurch er auch die tschechische Sprache beherrschte. Nach dem Besuch von fünf Klassen der Volksschule in der Erdbergstraße absolvierte er 1900 die Haupt(Bürger-)schule in der Hainburgerstraße. Als sichtlich begabter Schüler wechselte er dann in die erste Klasse des k. k. Staatsgymnasiums in der Sophienbrückengasse (so hieß damals die Kundmanngasse). 1902 trat er in die Marianische Kongregation ein, und es reifte bei ihm der Wunsch, Priester zu werden. So ging er ab der 7. Klasse in das Knabenseminar Hollabrunn, an dessen Gymnasium er dann 1908 als 22-jähriger maturierte.
Danach trat Rudolf in das Wiener Priesterseminar ein und begann das Studium an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (abs. theol. 1912; Dr. theol. 1918), wo er der Amelungia (Couleurname Friedel) beitrat. Am 25. Juli 1912 wurde er von Erzbischof Franz Kardinal Nagl (Aa EM) zum Priester geweiht. Seine Primiz feierte er am 28. Juli in der Herz-Jesu-Klosterkirche auf der Landstraßer Hauptstraße, der er aufgrund seines Wohnortes verbunden war. Während seines Studiums wurde er vor allem von dem Pastoraltheologen Heinrich Swoboda (M-D EM) geprägt, der ihn später auch zur Habilitation anregte, die aber dann nicht erfolgte.
Nach seinem Studium bzw. der Priesterweihe wurde Rudolf zum Kaplan in Bruck/Leitha ernannt. Bereits nach einem Jahr wurde er ans Wiener Priesterseminar berufen, wo er zuerst die Funktion eines Studienpräfekten und dann ab 1914 die eines Subregens ausübte. In diesem Jahr wurde auch das neue Priesterseminar in der Boltzmanngasse eingeweiht. 1915 wurde er zum k. u. k. Feldkuraten der Reserve ernannt und als Seelsorger im Kriegsspital I in Wien-Simmering eingesetzt. Während dieser Zeit verfaßte er auch seine Dissertation.
RUDOLFS ROLLE NACH 1918 BEI DEN STUDENTEN
Bereits ab 1913 leitete Rudolf im Rahmen des Katholischen Volksbundes das Sekretariat für soziale Studentenarbeit. Da bei der damals noch jungen Amelungia zu Kriegsbeginn die meisten Mitglieder bereits eingezogen waren, wurde Rudolf als Ortsansässiger zum einen zum Philistersenior, zum anderen für die Zeit vom Wintersemester 1915/16 bis 1918 zum Vorsitzenden des Kriegsausschusses gewählt, d. h., er übte formell (vereinsrechtlich) auch die Funktion eines Seniors aus. In dieser Zeit wurde ihm auch die Notwendigkeit einer „Gebildetenseelsorge“ bewußt. In der Februarnummer 1918 der „Academia“ wird er bei einem Aufruf der Studentenseelsorger als Vertreter Wiens angeführt. Seitens der Diözese Wien wurde er schließlich im Oktober 1919 offiziell zum Akademiker- und Studentenseelsorger bestellt.
Aufgrund dieser Intention lud Rudolf für den 1. November 1918 zu einer Versammlung von Studentenvertretern ein, um zu einer Aktionseinheit zu gelangen. Es wurde für Wien die Bildung eines Katholisch Deutschen Hochschul-Ausschusses (KDHA) beschlossen, der sich dann tags darauf am 2. November konstituierte. Erster Obmann wurde Siegmund Guggenberger (Kb). Sinn und Aufgaben dieses KDHA lagen nicht nur im klassischen hochschulpolitischen Bereich der Studentenvertretung, sondern auch in der religiösen Bildung bzw. der Seelsorge sowie in der sozial-caritativen Tätigkeit. Zu Beginn des Jahres 1920 wurde in Wien der KDHA in Katholisch Deutscher Akademiker-Ausschuß (KDAA) umbenannt.
Über Anregung Karl Rudolfs entstand 1919 zu der vom Katholischen Volksbund herausgegebenen Zeitschrift „Volkswohl“ als Beilage „Der Weg“ (ab April 1919 „Unser Weg“) mit dem Untertitel „Blätter für zeitgerechtes Studententum“, von dem einige Jahrgänge erschienen sind und die vorerst nur im Wiener Raum Bedeutung erlangten. Ebenfalls auf Anregung Rudolfs wurde aus dem Fürsorgeausschuß des KDAA Wien der Unterstützungsverein Akademikerhilfe zum Zweck der Schaffung von Studentenheimen gegründet. Die Gründungsversammlung fand am 21. November 1921 statt.
Rudolf war von 1915 bis 1927 auch Verbindungsseelsorger der Amelungia und bis 1933 offizieller Studenten- und Akademikerseelsorger der Diözese Wien. In dieser Funktion lernte er auch Engelbert Dollfuß (F-B) kennen, dessen Beichtvater er wurde. Bereits im September 1917 erfolgte die Gründung der „Vereinigung von katholischen Studenten- und Studentinnenseelsorger für das deutsche Sprachgebiet“, der in der Folge alle diözesanen Hochschulseelsorger angehörten. Nach einer Liste aus dem Jahre 1927 war Rudolf stellvertretender Vorsitzender dieser Vereinigung.
RUDOLF UND DER CHRISTLICH-DEUTSCHE STUDENTENBUND
Rudolf engagierte sich aber nicht nur für die Hochschulstudenten, sondern auch für die Mittelschüler (Gymnasiasten). Bereits Ende 1918 kam es auf seine Anregung hin in Wien zur Gründung des Christlich-Deutschen Studentenbundes (CDSB). Ziel war die Zusammenfassung der organisierten (Pennalien, Kongregationen) und nichtorganisierten Mittelschüler Wiens, nachdem für sie die Koalitionsfreiheit möglich wurde. Zuallererst ging es einmal um die Linderung der sozialen Not nach dem Krieg und um den Kampf um den Religionsunterricht, der von seiten der Sozialdemokratie in den ersten beiden Jahren nach dem Krieg in Gefahr war. So erreichte der CDSB mittels einer spektakulären Unterschriftenaktion seine Beibehaltung als obligatorisches Pflichtfach.
Der CDSB war daher in seiner Anfangsphase durchaus politisch inspiriert. Am 8. Februar 1919 wurde die Führung gewählt, Obmann wurde der Wiener Gymnasiast Anton Maria Pichler (später NbW), zum Führungskreis gehörten u. a. Felix Hurdes (später NbW EM), Gustav Blenk (später Nc), Alfred Missong (später NbW EM), Rudolf Kloss (später Am) und Alfons Übelhör (später Nc). Die meisten von ihnen, wie Pichler und Hurdes, kamen aus katholischen Pennalien.
Eine Wende trat zu Beginn des Jahres 1920 ein, als der spätere Pastoraltheologe Michael Pfliegler die Stelle eines Generalsekretärs des CDSB übernahm. Dieser war stark von den Ideen der Jugendbewegung geprägt und fand darin auch bei Rudolf Unterstützung. Mit subtilen und nicht immer feinen Methoden versuchten Pfliegler und sein Kreis, den Ideen der Jugendbewegung im CDSB zum Durchbruch zu verhelfen. Dies gelang ihm bei der Pfingsttagung 1921. Die Folge war der Zerfall des vor allem in Wien quantitativ wie qualitativ bedeutenden CDSB, da vor allem die Pennalien und Kongregationen diesen Kurs nicht mehr mitmachten.
Aus dem CDSB entstand der Verband Jung Österreich, der später in den Bund Neuland überging und konsequent die Ideen der katholischen Jugendbewegung, allerdings in einem relativ kleinen Kreis, dafür aber um so intensiver und wirksamer, verwirklichte. Im übrigen hatte die von Pfliegler bewußt herbeigeführte Kursänderung des CDSB zur Folge, daß die sozialdemokratischen und nationalen Mittelschülervereinigungen vor allem in Wien in den zwanziger Jahren dominant wurden.
Rudolf, obwohl CVer, geriet völlig in den Bann der Ideen der Jugendbewegung. Der Bund Neuland verstand sich nun als Gegenmodell zum bisherigen Verbandskatholizismus. Bereits 1923 gründete Rudolf in Wien eine Theologengruppe, der 1928 eine Priestergruppe Neulands folgte. Ihr gehörten bekannte Priesterpersönlichkeiten an. Zu einem Konflikt mit dem CV kam es durch einen Artikel in der Zeitschrift „Neuland“, wo das Korporationsprinzip als unzeitgemäß angegriffen wurde, während sich die Jugendbewegung auf den Prinzipien des Urchristentums fußend sah. Dagegen verwahrte sich Robert Krasser (Nc) vehement in einem Schreiben an Rudolf vom 17. Mai 1924. Damit begann innerhalb der katholischen Laienorganisation ein „Methodenstreit“, der sich dann nach 1945 in dem Jahrzehnte dauernden Antagonismus zwischen den katholischen Verbänden und der Katholischen Aktion (KA) fortsetzte.
RUDOLF ALS PIONIER DER SEELSORGE
Rudolfs eigentliche Leistung liegt in der praktischen Umsetzung der Ideen Heinrich Swobodas in der Seelsorge. Bereits nach dem Krieg bildete sich ein Kreis vornehmlich jüngerer Priester, die sich regelmäßig bei Rudolf im Priesterseminar trafen und neue Orientierungen in der Seelsorge besprachen. Diesem Kreis gehörten neben Rudolf u. a. Leopold Engelhart (Rd), Jakob Fried (Am), Franz Geßl (NbW), Franz Gundl (NbW EM), Johann Leb (AW), Erich Maresch (Aa), Eduard Mayrhofer (Rd) und Leopold Schmid (ehemals Rd) an. Aus diesem erwuchs die erste Wiener Seelsorger-Tagung am 27./28. Dezember 1923, die dann ab 1931 regelmäßig abgehalten wurde.
Eine Frucht dieser Tagung war u. a., daß dem Wiener Diözesanblatt regelmäßig eine Beilage mit dem Namen „Der Seelsorger“ beigegeben werden konnte, aus dem sich die gleichnamige selbständige Zeitschrift entwickelte, die noch heute unter dem Namen „Diakonia“ existiert. Rudolf redigierte zusammen mit Pius Parsch (Wl EM) und Anton Bauer (Rd) diese Zeitschrift.
Mit 1. Dezember 1922 wurde Rudolf zum Domkurat von St. Stephan berufen, und er konnte sich daher in dieser neuen Position stärker dieser seelsorglichen Erneuerungsbewegung widmen. So legte dieser Priesterkreis im Frühjahr 1927 den Plan vor, ein eigenes Institut zur theoretischen und praktischen Förderung der Seelsorge ins Leben zu rufen. Dieses wurde nach längerer Planungszeit, bedingt auch infolge einer Erkrankung Rudolfs, im April 1931 durch den Erzbischof von Wien, Friedrich Gustav Kardinal Piffl (Wl EM), als Wiener Seelsorgeinstitut ins Leben gerufen. Rudolf wurde zum Kanzleileiter bestellt. Neben den bereits genannten Priestern arbeiteten bei diesem Institut u. a. noch Franz Kosch (Aa), P. Peter Schmitz SVD (Rl, Baj), Josef Schoiswohl (Rd) und Jakob Zeggl (F-B) mit.
Nach offizieller Errichtung der Katholischen Aktion (KA) 1933/34 in der Erzdiözese Wien im Sinne eines von der Hierarchie abhängigen Laienapostolats wurde das Seelsorgeinstitut als zehnte Abteilung in die KA integriert. Nach dem Anschluß im März 1938 wurden alle katholischen Organisationen verboten. Aus dem Seelsorgeinstitut wurde im August 1938 das Seelsorgeamt im Rahmen des Erzbischöflichen Ordinariats geschaffen, dessen Leitung Rudolf übertragen wurde. Dieses Seelsorgeamt mußte also die Seelsorge ohne die „Krücke“ des Verbandskatholizismus und der organisierten Naturstände der Katholischen Aktion im Nazi-Regime neu organisieren, wozu auch noch die besonderen Schwierigkeiten des Krieges kamen.
Mit 8. Mai 1941 wurde Rudolf ins Wiener Domkapitel berufen. Die Nazis erkannten aber bald seine „Gefährlichkeit“ und verhängten über ihn Ende 1943 wegen seiner Initiativen in der Seelsorge und seiner Predigten ein sog. „Gaugebot“. Darunter verstand man die Verfügung, daß jemand den Gau seines ordentlichen Aufenthaltsortes nicht verlassen durfte. Im Fall Rudolf war das der Gau „Groß-Wien“ (damals inkl. Klosterneuburg, Mödling, Schwechat u. a.). Im Gegensatz zu einem „Flächen-Gau“ war das für Rudolf eine beengende Maßnahme, denn er durfte Wien nicht verlassen und z. B. die Gebiete der Erzdiözese Wien in Niederösterreich („Gau Niederdonau“) besuchen oder auf Urlaub fahren. Es half ihm damals jedoch der stellvertretende Chef der Gestapo-Leitstelle Wien, Karl Ebner (ehemals Kb), der ihn 1944 in die Gestapozentrale ins Hotel Metropole vorlud und das „Gaugebot“ aufhob.
Im Sommer 1945 erkrankte Rudolf schwer an Knochentuberkulose. Da eine ausreichende medizinische Versorgung im Nachkriegs-Wien nicht möglich war, kam er für ein Jahr zur Genesung in eine Schweizer Klinik. Damit war er in einer entscheidenden Zeit von Wien abwesend, als es um die Wiedererrichtung der katholischen Laienorganisation ging. Anfänglich hatten jene Kräfte um Jakob Fried (Am) und Robert Krasser (Nc) die Oberhand gewonnen. Doch nach seiner Rückkehr aus der Schweiz konnte Rudolf zusammen mit dem späteren Akademikerseelsorger Otto Mauer 1948 die Katholische Aktion wieder so gestalten, wie sie bis 1938 bestanden hatte, womit die Konflikte mit den katholischen Verbänden, insbesondere mit dem CV, für die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte grundgelegt wurden.
Rudolf blieb nach 1945 Leiter des erzbischöflichen Seelsorgeamtes (nunmehr Pastoralamt). Das Seelsorgeinstitut (nunmehr Pastoralinstitut) wurde als überdiözesane Einrichtung wieder errichtet, und Rudolf wurde ebenfalls ihr Leiter. 1947/48 gründete er die Katholische Filmkommission. 1954 wurde er zum Päpstlichen Hausprälaten und 1959 zum infulierten Domscholaster, einer Dignität des Wiener Metropolitankapitels, ernannt.
Die Person Rudolfs ist aus Sicht des CV ambivalent zu beurteilen. Zum einen sind seine Leistungen und Verdienste für die Amelungia während des Ersten Weltkriegs sowie seine Bemühungen nach 1918 um die Einigung der katholischen Studentenschaft, die Gründung der Akademikerhilfe und des CDSB unbestritten. Zum anderen führte sein Umschwenken zu den Ideen der Jugendbewegung und daraus resultierend sein unbedingtes Vertreten eines hierarchieabhängigen Laienapostolats zu Konflikten mit dem Verbandskatholizismus und auch mit dem CV. Völlig unbestritten ist aber sein Wirken als Schüler Heinrich Swobodas für die Erneuerung der Seelsorge. Auch wenn er sich nicht habilitiert hat, so zählt Rudolf dennoch zu den wichtigsten Vertretern der Wiener Schule der Pastoraltheologie.
Rudolf hat noch den Beginn des II. Vatikanischen Konzils mitbekommen, welches viele seiner Ideen umsetzen sollte. Im September 1963 erlitt er einen Schlaganfall, dem er dann im folgenden Jahr schwerkrank erlag. Es war ihm daher nicht mehr vergönnt, das Ende des Konzils und die folgende Umsetzung, vor allem im liturgischen Bereich, noch zu erleben. Er wurde in der Domherrengruft des Wiener Stephansdoms begraben.
Werke:
Aufbau im Widerstand. Ein Seelsorge-Bericht aus Österreich 1938–1945 (1947)Ich denke Gedanken des Friedens (1948).
Was erwarten Sie vom Priester? Ein Beitrag zu einem ernsten Zeitproblem (1953).
Quellen und Literatur:
Diözesanarchiv Wien. Priesterdatenbank.Mitteilungsblatt des ÖCV und des ÖAHB 15 (15. 10. 1937), S. 28.
In memoriam Prälat Dr. Karl Rudolf, in: Der Seelsorger 34 (1964), S. 507–515.
Weißensteiner, Johann: Prälat Karl Rudolf. Ein Stürmer und Dränger in der Kirche (1886–1964), in: Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs. Hg. von Jan Mikrut. Band 4. Wien 2002, S. 261–324.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 238–240, 244f., 252f., 259f., 262, 264, 291–293, 348, 472, 541–543, 547, 561 und 664.
Hundert (100) Jahre Katholische Österreichische Hochschulverbindung Amelungia im ÖCV. Für Volk und Altar. Redaktion Oskar Mayer. Wien 2008, S. 25f., 50, 312 und 321.
Bauer, Kurt: Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934. Wien 2014, bes. S. 29 (Beichtvater von Dollfuß).