Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG, BERUFLICHE LAUFBAHN
Gleißner wurde als Sohn eines aus Pressath (Oberpfalz, Bayern) stammenden Schlossers geboren. Dieser war bei der Lokomotivfabrik Krauß & Co. zuerst in München beschäftigt und wurde dann in deren Filiale nach Linz geschickt, wo er es bis zum Abteilungsleiter brachte. Die Mutter war die Tochter eines Kleinbauern aus dem Innviertel. Nach der Volksschule besuchte er das Staatsgymnasium in Linz, das er 1912 absolvierte. In dieser Zeit wurde er Mitglied der katholischen Pennalie Nibelungia (nunmehr MKV). Danach studierte er an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag, wo er der Saxo-Bavaria beitrat (Couleurname Dr. cer. Balder) und dort zweimal Senior war.
1914 wurde Gleißner zum Tiroler Landes(Kaiser-)-Schützenregiment Nr. III eingezogen (letzter Dienstgrad: Oberleutnant der Reserve; Auszeichnungen: Signum laudis am Bande mit Schwertern, goldene Tapferkeitsmedaille, silberne Tapferkeitsmedaille I. Klasse, Karl-Truppenkreuz). Bei diesem Regiment; das zuerst an der Ostfront und dann an der Italienfront eingesetzt war, lernte er Engelbert Dollfuß (F-B) kennen. Am 24. Oktober 1918 geriet er in italienische Gefangenschaft, aus der er trotz eines Fluchtversuches erst Ende 1919 heimkehren konnte.
Gleißner setzte daraufhin sein Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck (Dr. iur. 1920) fort, wo er bei der Raeto-Bavaria aktiv war. Danach trat er sofort in den oberösterreichischen Landesdienst ein, wechselte aber 1921 zum Landwirtschaftlichen Genossenschaftsverband des Oberösterreichischen Landeskulturrates, der in die 1932 gegründete Landwirtschaftskammer aufging. Am 28. Juli 1933 wurde er zum stellvertretenden Kammeramtsdirektor bestellt. Obwohl als Landeshauptmann freigestellt wurde er mit 1. Mai 1937 zum Kammeramtsdirektor und im Januar 1938 zum geschäftsführenden Vizepräsidenten der Landwirtschaftskammer Oberösterreichs bestellt. Als karenzierter Kammeramtsdirektor ging er Ende 1958 in den Ruhestand. Am 1. August 1937 wurde er zum wirklichen Hofrat ernannt.
POLITISCHES WIRKEN BIS 1938
Bereits 1926 wurde Gleißner in den Ausschuß des Katholischen Volksvereins gewählt, der die Funktion der Christlichsozialen Landesparteileitung Oberösterreichs ausübte. Obwohl er als hervorragender Redner geschätzt war, übernahm er vorerst keine politischen Funktionen.
Sein Kriegskamerad Dollfuß ernannte ihn am 1. August 1933 zum oberösterreichischen Landesleiter der Vaterländischen Front (VF), welche Funktion Gleißner bis zum Anschluß ausübte. Am 21. September 1933 wurde er zum Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium ernannt, welches Bundeskanzler Dollfuß nominell selber leitete. Nur ein halbes Jahr dauerte diese Funktion, in der er Akzente für die Bergbauern setzen konnte, denn bereits am 28. Februar 1934 endete dieses Amt.
Am 1. März 1934 wurde Gleißner vom Rumpf-Landtag zum Landeshauptmann von Oberösterreich gewählt. Er löste den bisherigen Landeshauptmann Josef Schlegel (Nc) ab, der wegen Differenzen mit Dollfuß zurücktreten mußte. In der Landesregierung betreute Gleißner u. a. die Agenden Personalangelegenheiten, Schulen und Forstwesen. In seiner Landesregierung saßen u. a. Felix Kern (AW) und Franz Lorenzoni (Kb). Als Landeshauptmann gehörte er dem Länderrat an und war automatisch Mitglied des Bundestages, dessen Dritter Präsident er vom 6. Mai 1936 bis zum 5. November 1936 war. . Als Landeshauptmann wurde er am 13. März 1938 abgesetzt.
Als Landeshauptmann versuchte Gleißner, die politischen Gegensätze auszugleichen, einen neuen österreichischen Patriotismus zu wecken und eine Besserung der wirtschaftlichen Lage herbeizuführen. Das führte auch zu einem kontinuierlichen Sinken der Arbeitslosenzahlen in Oberösterreich.
HAFT UND WIDERSTAND
Am 15. März 1938 wurde Gleißner verhaftet und im Polizeigefangenhaus Linz festgehalten, wo er schwer mißhandelt wurde. Von dort wurde er am 24. Mai 1938 ins KZ Dachau überstellt und am 17. Juni 1939 entlassen. Nach seiner Rückkehr nach Linz wurde er am 1. Oktober 1939 neuerlich verhaftet und am 5. Oktober ins KZ Buchenwald gebracht. Von dort kam er am 15. November ins Hauptgefängnis Berlin, von wo er am 31. Dezember 1939 entlassen wurde. Dies geschah auf Intervention von Gleißners Frau bei der Mutter von Heinrich Himmler. In der Zwischenzeit wurde Gleißner im August 1938 von sämtlichen Funktionen (Land Oberösterreich, Landwirtschaftskammer) ohne Ruhegenuß entlassen, was die Familie (vier Kinder) in schwere Bedrängnis brachte.
Gleißner erhielt Gauverbot und mußte daher in Berlin bleiben. Seine Familie zog ebenfalls dorthin, wo er in der Hauptverwaltung der Braunkohle-Benzin AG (Brabag), einem der SS nahestehendem Betrieb, in untergeordneter Stellung in der Sozialabteilung beschäftigt war. In Berlin hatte sich ein kleiner Kreis von Oberösterreichern gefunden, dem u. a. der Linzer Diözesanpriester und spätere Wiener Universitätsprofessor Ferdinand Klostermann sowie der spätere Aufsichtsratspräsident der VOEST AG, Othmar Seefeldner (Cl), angehörten. Ende 1943, mit der Eskalation des Bombenkrieges, kehrte Gleißners Frau mit den Kindern nach Linz zurück.
Für den deutschen Widerstand wurde Gleißner in Berlin eine Bezugsperson, der auch zu Personen des Kreisauer Kreises Kontakt hatte. So stand er auf der letzten Ministerliste Carl Goerdelers als „Reichsminister für die österreichischen Gebiete“, ohne daß er davon wußte und ohne daß zu seinem Glück die Gestapo davon Kenntnis erlangte. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hat Otto Andreas Friedrich Gleißner bei sich zeitweise versteckt. Friedrich war von 1969 bis 1973 Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im April 1945 konnten Gleißner und Seefeldner mit Genehmigung Berlin verlassen und auf abenteuerlicher Weise über Regensburg nach Linz zurückkehren. Gleißner hielt sich dann bis Kriegsende auf einem Bauernhof in Alexenau in Weyregg am Attersee (Bezirk Vöcklabruck) auf.
Im Herbst 1941 erfuhr Gleißner, daß sein Betrieb seine Aufnahme in die NSDAP betreibe. Er lehnte gegenüber seinem zuständigen Ortsgruppenleiter eine solche dezidiert ab. Im Herbst 1943 wurde ihm dann mitgeteilt, daß die Angelegenheit seiner Parteimitgliedschaft bis „zum Endsieg“ vorerst aufgeschoben sei. Dieser Umstand wurde aber NSDAP-intern unvollständig kommuniziert, so daß ihm sogar eine Parteimitgliedsnummer zugeteilt wurde. 1948/49 wurde dieser Vorgang der US-Besatzungsbehörde bekannt, jedoch aus politischen Gründen geheimgehalten – offenbar mit Erfolg, denn das wäre sicherlich beim Bundespräsidentenwahlkampf 1950 (siehe unten) thematisiert worden. Michael Wladika (siehe Literaturverzeichnis) kommt zum Schluß, daß Gleißner mit Sicherheit kein NSDAP-Mitglied war
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WIEDER LANDESHAUPTMANN
Nach Kriegsende wurde Gleißner am 16. Mai 1945 von der US-Besatzungsmacht in die erste Fachleute-Landesregierung berufen. Ab 26. Oktober 1945 wurde er schließlich zum Landeshauptmann bestellt und in der Folge fünfmal wiedergewählt. Von dieser Funktion trat er am 2. Mai 1971 zugunsten seines Nachfolgers Erwin Wenzl (AlIn) zurück. Seinen Landesregierungen gehörten neben Erwin Wenzl u. a. noch Felix Kern (AW) und Franz Lorenzoni (Kb) an. Bei den Landtagswahlen der Jahre 1945, 1949, 1955, 1961 und 1967 wurde Gleißner jeweils gewählt. Dem oberösterreichischen Landtag gehörte er daher vom 13. Dezember 1945 bis zum 15. April 1971 an. Als Nachfolger von Albert Schöpf (AIn) war er vom 14. Oktober 1951 bis 1. Dezember 1968 ÖVP-Landesparteiobmann von Oberösterreich.
Gleißner war zusammengerechnet insgesamt 26 Jahre, sechs Monate und 19 Tage Landeshauptmann von Oberösterreich. Er war damit der am längsten amtierende Landeshauptmann der Geschichte der Republik Österreich, Der zweitlängste Landeshauptmann war Erwin Pröll (Rt-D EM) von Niederösterreich. Er amtierte 24 Jahre, fünf Monate und 27 Tage. Gleißner prägte damit wie kein anderer vor und nach ihm das Land, das vor allem in den kritischen Jahren vor dem Anschluß und dann nach 1945 in der Besatzungszeit (Oberösterreich war diesbezüglich geteilt: das Mühlviertel gehörte zur Sowjetzone) und beim Wiederaufbau des Landes.
In seiner Zeit als Landeshauptmann nach 1945 ging es zuerst um die Instandsetzung der Infrastruktur, die Ingangsetzung der Industrie und des Bergbaus, nach 1955 um die wirtschaftliche Angleichung des Mühlviertels, der Förderung des Fremdenverkehrs und des Wohnbaus sowie der Stärkung der Wirtschaftstruktur des Landes. In Gleißners Regierungszeit wurde Oberösterreich aus einem überwiegenden Agrarland ein moderner Industriestandort. Er war auch der entscheidende Anreger für die Gründung der Johannes-Kepler-Universität Linz.
Erosionserscheinungen der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus (Rd) führten im Oktober 1967 zu einer herben Niederlage der ÖVP bei den Landtagswahlen, die einen Gleichstand der Mandate zwischen ÖVP und SPÖ brachte, so daß Gleißner nur mit Hilfe der FPÖ zum Landeshauptmann gewählt werden konnte. Er stand damals bereits im 75. Lebensjahr. Möglicherweise war dieser Umstand auch ein Grund für die Wahlniederlage. Gleißner blieb noch dreieinhalb weitere Jahre im Amt und trat im 79. Lebensjahr als Landeshauptmann zurück.
Bundespolitisch trat Gleißner 1951 hervor, als ihn die ÖVP zum Kandidaten für die ersten Bundespräsidentenwahlen durch das Volk nominierte. Im ersten Wahlgang am 6. Mai. lag er knapp (40,1 Prozent) vor seinem Mitbewerber Theodor Körner, beim zweiten Wahlgang am 27. Mai unterlag er ihm mit 47,9 Prozent. Körner konnte nicht nur die Stimmen des KPÖ-Kandidaten (5,1 Prozent) auf sich vereinigen, sondern auch mindestens die Hälfte des VdU-Kandidaten Burkhard Breitner (Angehöriger des Corps Vandalia Graz).
Bei dem Wahlkampf wurde seitens der SPÖ bzw. der „Arbeiter-Zeitung“ der CV in Zusammenhang mit Gleißner in übelster Weise attackiert und an das Zusammengehen von sozialdemokratischen und deutschnationalen Stimmen bei den Reichsratswahlen von 1911 erinnert.
GLEISSNER UND DER CV
Gleißner gehörte in den ersten rund 25 Jahren der Zweiten Republik nach dem Duo Leopold Figl (Nc) und Julius Raab (Nc) zweifelsohne zu den wichtigsten Identifikationsfiguren des CV. Das lag sicherlich auch in seiner charismatisch wirkenden Persönlichkeit begründet, die auch durch seine besondere Rednergabe befördert wurde. Seine Beliebtheit im CV dokumentiert auch der Umstand, daß er neben seiner Urverbindung noch weitere zwölf Bänder von CV-Verbindungen trug.
Besonders engagierte sich Gleißner für seine Urverbindung Saxo-Bavaria vor allem als es galt, sie nach 1945 in Wien als einzige Prager Verbindung zu reaktivieren, was dann offiziell 1951 geschah. Von diesem Zeitpunkt an bis Mitte der sechziger Jahre war Gleißner deren Philistersenior, wiewohl er dann später von einem geschäftsführenden Philistersenior unterstützt wurde. 1959, als die Gründung einer Hochschule in Linz in Aussicht stand, gab es Überlegungen, die Saxo-Bavaria nach Linz zu verlegen, was aber Gleißner strikt ablehnte. Daß ein amtierender Landeshauptmann über längere Zeit hindurch Philistersenior einer nicht ortsansässigen Verbindung war, bleibt wohl auch ein Unikum der CV-Geschichte.
Gleißner war neben seiner Urmitgliedschaft in der Linzer MKV-Verbindung auch Ehrenphilister der MKV-Verbindungen Siegfridia Linz und Welfia Linz. Ihm wurde am 7. Oktober 1966 der ÖCV-Ehrenring verliehen. Nach ihm ist der von der ÖVP gestiftete Heinrich-Gleißner-Preis für das Lebenswerk eines Künstlers benannt, der erstmals 1987 vergeben wurde. Ebenso wurde nach ihm die Zentrale der oberösterreichischen ÖVP Heinrich-Gleißner-Haus benannt.
Gleißners jüngste Schwester Hilde war die Mutter von Wolfgang Aigner (Nc) und Martin Aigner (Nc). Seine Söhne sind der ehemalige Diplomat Heinrich A. Gleißner (AW) sowie Friedrich Gleißner (AIn) und Wolfgang Gleißner (AIn). Gleißner wurde am St. Barbara-Friedhof in Linz beigesetzt.
Quellen und Literatur:
Slapnicka, Harry: Oberösterreich. Die politische Führungsschicht. 1918 bis 1938. Linz 1976, S. 97–102.Widerstand und Verfolgung im CV. Die im Zweiten Weltkrieg gefallenen CVer (Zählbild). Eine Dokumentation. Hg. von der Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum e. V. München 1983, S. 91f.
Oberösterreicher: Landeshauptmann Heinrich Gleißner. Zeitgenossen berichten. Hg. von Heribert Forster u. a. Linz 1985.
Slapnicka, Harry: Heinrich Gleißner. Vom Arbeitersohn zum ersten Mann Oberösterreichs (= Politische Akademie. Reihe Kurzbiographien). Wien 1987.
Enderle-Burcel, Gertrude: Christlich–ständisch–autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates, des Bundeskulturrates, des Bundeswirtschaftsrates sowie des Bundestages. Unter Mitarbeit von Johannes Kraus. Hg. vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und der Österreichischen Gesellschaft für Quellenstudien. Wien 1991, S. 87f.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 388, 563f., 569, 577, 584 und 614.
Rohrdorfer, Franz Xaver: Heinrich Gleißner. Lehrjahre eines Landesvaters. Linz 1912.
Wladika, Michael: Zur Repräsentanz von Politikern und Mandataren mit NS-Vergangenheit in der Österreichischen Volkspartei 1945–1980. Eine gruppenbiographische Untersuchung. Forschungsprojekt im Auftrag des Karl von Vogelsang-Instituts. Wien 2018 (als pdf verfügbar), Addendum Heinrich Gleißner.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Farbe Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 93–95.