Lebenslauf:
Lukas Maria Beroldingen wurde als Sohn der Maria Winter, Angestellte auf Schloß Schönbühel bei Graf Alexander Beroldingen, geboren. Weder in der Taufmatrik der Pfarre Schönbühel noch sonstwo findet sich ein Hinweis auf seinen leiblichen Vater. Er trug daher zuerst den Familiennamen seiner Mutter Winter. Graf Beroldingen sowie seine Frau Gräfin Maria Beroldingen, geb. Kohler, nahmen vom Tag seiner Geburt Lukas Winter in ihre Pflege und Erziehung. 1925 schloß das gräfliche Paar gem. § 186 ABGB einen Pflegschaftsvertrag ab und waren damit offiziell Pflegeeltern.
Lukas Winter erhielt zuerst Privatunterricht auf Schloß Schönbühel. Nachdem Graf Beroldingen 1930 den Besitz Schönbuhel an die Grafen Seilern verkauft hatte, nahm das gräfliche Paar seinen Wohnsitz in Wien (Liechtensteinstraße). Lukas Winter besuchte daraufhin die 4. Klasse in der evangelischen Volksschule am Karlsplatz. Das dürfte dem Umstand geschuldet gewesen sein, daß Graf Beroldingen evangelischer Konfession war. Ab 1931 besuchte Lukas Winter das Wiener Schottengymnasium.
Im April 1936 adoptierte Maria Gräfin Beroldingen alleine Lukas Winter, woraufhin er deren Mädchenname Kohler trug. Im September 1936 erfolgte mit Zustimmung von Graf Alexander Beroldingen für Lukas Kohler die Namensgebung Beroldingen. Er trug nun zwar diesen Namen, war jedoch adelsrechtlich nicht Angehöriger der gräflichen Familie Beroldingen. Daher findet er sich weder in den Ausgaben der Gothaischen Genealogischen Taschenbücher der Gräflichen Häuser, noch wurde er anläßlich der Aufnahme in den Malteserorden in deren Adelsabteilung geführt. Das Adelsgeschlecht der Grafen Beroldingen stammte aus Württemberg und wurde 1623 bzw. 1691 in den Reichsfreiherrenstand sowie 1800 in den Reichsgrafenstand erhoben. 1821 erwarb Franz Graf Beroldingen das Schloß Schönbühel in der Wachau.
Nachdem sich das gräfliche Paar 1937 getrennt hatte (Graf Alexander Beroldingen zog nach Berlin und starb dann 1940), bezogen Beroldingen und seine Adoptivmutter eine Wohnung am Lobkowitzplatz 1 (ein Otto-Wagner-Bau). Als das Schottengymnasium als konfessionelle Schule nach dem Anschluß 1938 aufgelassen wurde, absolvierte Beroldingen 1939 offiziell die letzte Klasse auf dem Gymnasium in Wien-Alsergrund (Wasagasse). Dieses hatte damals seine Räume im aufgelassenen Schottengymnasium. Nachdem er vom April bis November 1939 beim Reichsarbeitsdienst war, begann er das Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (Dr. iur. Januar 1947). Im Februar 1941 wurde er zur Deutschen Wehrmacht (Artillerieregiment 161) eingezogen und war an der russischen Front eingesetzt, wo er mehrmals verwundet wurde (letzter Dienstgrad Leutnant).
Nach der Rückkehr aus dem Krieg setzte Beroldingen in Wien das Studium fort, wo er der Norica beitrat (Couleurname Dr. cer. Cranach). Dort war er im Wintersemester 1947/48 Senior. U. a. waren seine Leibfüchse der spätere niederösterreichische Landtagsabgeordnete Otto Bernau (Nc) und der Vorstandsdirektor der Genossenschaftlichen Zentralbank Bernhard Ramsauer (Nc). 1945 war Beroldingen auch Mitbegründer der Freien Österreichischen Studentenschaft (FÖSt), die anfänglich die offizielle Studentenorganisation der ÖVP war.
Nach Beendigung seines Studiums trat Beroldingen im März 1947 in den Dienst der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und war zunächst am Hauptzollamt in Wien tätig. Am 1. Oktober 1948 wurde er zuerst dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter dem damaligen Minister Peter Krauland (ehemals AW) und dann am 21. Februar 1949 dem Bundeskanzleramt zugeteilt, in dessen Personalstand er am 8. August 1949 übernommen wurde.
Beroldingen war dort ab 21. Februar 1949 Sekretär von Bundeskanzler Leopold Figl (Nc) und unterstützte anfänglich Herbert Cretnik (BbW), der ebenfalls Sekretär von Figl war. Nach dessen Rücktritt als Bundeskanzler am 2. April 1953 blieb Beroldingen vorerst Sekretär beim neuen Bundeskanzler Julius Raab (Nc), um nach der Ernennung Figls zum Außenminister ab 30. November 1953 neuerlich als dessen Sekretär Dienst zu tun. Diese Funktion übte er bis zum 31. März 1957 aus. Er tat also rund siebeneinhalb Jahre „Dienst um die Person“ Figls. (Das trug ihm den inoffiziellen Beinamen „Lord-Figl-Bewahrer“ ein.) Beroldingen war in dieser Funktion in einer wichtigen Epoche der österreichischen Nachkriegsgeschichte unmittelbarer Zeuge des politischen Geschehens. Dies betraf besonders die Staatsvertrags-Phase im April/Mai 1955.
Mit 1. April 1957 wurde Beroldingen stellvertretender Leiter der Abteilung 1a, Allgemeine Präsidialangelegenheiten, des Bundeskanzleramtes. Diese war u. a. für Zeremoniell-, Etikett- und Rangfragen, Empfänge und Auszeichnungen sowie für Veranstaltungen zuständig. Nachdem er mit 1. Juli 1958 zum Sektionsrat ernannt wurde, wurde ihm am 1. Januar 1960 die Leitung dieser Abteilung übertragen. Mit 1. Juli 1963 wurde er zum Ministerialrat ernannt.
Im Juni 1967 wurde für Beroldingen seitens des Bundeskanzlers Josef Klaus (Rd) eine Auszeichnung beantragt. In der Begründung heißt es u. a.: „Bei der Leitung dieser Abteilung, deren Agenden viel Umsicht und subtile Behandlung verlangen sowie eine spezifisch geartete, besondere Aufmerksamkeit unterliegende Verantwortung mit sich bringt, hat sich Ministerialrat Dr. Beroldingen bis in die Durchführungsdetails und nicht zuletzt im Umgang mit höchstgestellten Persönlichkeiten hervorragend bewährt. Sein persönlicher Einsatz, der bis an die Grenzen physischer Leistungsfähigkeit geht, ist ohne Schwankungen vorbildlich.“
Der Antragsakt, unterzeichnet von Bundeskanzler Klaus, ging nun verfassungsgemäß an den Bundespräsidenten. Und so wie von Kaiser Franz Joseph überliefert ist, wie dieser ehedem bei solchen Ernennungs- und Auszeichnungsakten beliebte, handschriftliche Bemerkungen hinzuzufügen, tat dies – allerdingst höchst selten – auch der damalige Bundespräsident Franz Jonas. Und so steht neben der og. Begründung seine handschriftliche Anmerkung „stimmt!“. In der Tat berichten Zeitzeugen immer wieder, wie Beroldingen bei Staatsbesuchen sein Äußerstes gegeben hat. Eine besondere Note seiner Person war auch, für jede Phase eines Tages den passenden Anzug zu tragen. So konnte es durchaus vorkommen, daß er mehrmals am Tag seine Kleidung wechselte.
Für Außenstehende war es überraschend, daß der CVer und ÖVP-nahe Beroldingen auf Vorschlag von SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky am 22. April 1978 als Nachfolger von Roland Jiresch (Rd) zum Präsidialsektionschef des Bundeskanzleramtes ernannt wurde. Allerdings kannten sich beide aus jener Zeit gut, als Beroldingen Sekretär von Außenminister Figl war und Kreisky unter diesem Staatssekretär. Am selben Tag wurde auch Herbert Neumayer (F-B) zum Sektionschef im Bundeskanzleramt (Bundespressedienst) ernannt. Das war insofern bemerkenswert, weil mit dem 1977 ernannten Sektionschef Josef Stierschneider (Baj) nunmehr drei CVer im Bundeskanzleramt die höchste Beamtenstufe bekleideten, und das unter einem SPÖ-Bundeskanzler. Zu beachten ist auch, daß 1977 Ludwig K. Adamovich (AIn EM) ebenfalls zum Sektionschef (Verfassungsdienst) des Bundeskanzleramtes ernannt wurde. Er war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied einer CV-Verbindung.
Beroldingen engagierte sich auch in seiner Verbindung Norica und im ÖCV. Als für das Studienjahr 1958/59 die Norica zum Vorort gewählt wurde, bekleidete er die Funktion eines 1. Vorortsbeisitzers, die nach der damaligen Cartellordnung ein Alter Herr sein mußte. Vorortspräsident war Alfred Strommer (Nc). Beroldingenr gehörte zwanzig Jahre auch dem Philisterausausschuß der Norica an und war unter dem Philistersenior Hans Egon Gros (Nc) von 1965 bis 1971 Philisterconsenior. Von 1971 bis 1977 war er dann selbst Philistersenior.
Im August 1978 machte Beroldingen Urlaub in der Residenz des österreichischen Botschafters in Bukarest, Franz Wunderbaldinger (Pan). Als ihn am 7. August die Nachricht vom Tod Papst Pauls VI. erreichte – er verstarb am 6. August um 21.40 Uhr in Castel Gandolfo – , wollte er aus Pflichtbewußtsein zurück nach Wien. Er nahm – vermutlich zu Recht – an, daß er in Wien gebraucht werde, da es ja nicht allzu viele Personen gab, die wußten, welche Veranlassungen beim Tod eines Papstes zu treffen sind. Als er diesen Beschluß faßte, gab es aber an diesem Tag keine Flugverbindung mehr von Bukarest nach Wien.
Da nun der Chauffeur von Botschafter Wunderbaldinger erkrankt war, wollte dieser persönlich Beroldingen mit dem Auto nach Wien fahren. Bald nach der ungarisch-rumänischen Grenze kam es jedoch zu einem tragischen Verkehrsunfall, bei dem Beroldingen sofort tot war und Wunderbaldinger schwer verletzt wurde.
Beroldingen wurde am Vormittag des Samstags, des 12. Augusts 1978, auf dem Stadtpfarrfriedhof Baden bei Wien im Grab der Familie von Maria (Gräfin) Beroldingen, geb. Kohler, beigesetzt. Am Begräbnis nahmen u. a. der amtierende UN-Generalsekretär Kurt Waldheim (Wl EM) sowie Bundeskanzler Bruno Kreisky teil, welcher mit tränenerstickter Stimme eine kurze Rede am Grab hielt. Waldheim flog anschließend sofort nach Rom weiter, um an den Exequien für Papst Paul VI. teilzunehmen. Beroldingen war dreieinhalb Monate Präsidialsektionschef des Bundeskanzleramtes. Er gehört zu den Sektionschefs mit der kürzesten Amtszeit, möglicherweise war er sogar der mit der kürzesten.
Otto Tschulik (Nc) führte in seiner Rede am Trauerkommers für Beroldingen u. a. aus: „Sicheres Auftreten, gutes Benehmen und strenge Einhaltung gesellschaftlicher Formen waren für ihn nie leere Etikette, sondern Ausdruck einer inneren Einstellung, wie sie wahre Aristokratie seit jeher auszeichnete. Diese Grundhaltung prägte einen ausgeglichenen Charakter, der ungezügelte Temperamentsausbrüche niemals zuließ und durch noble Zurückhaltung ebenso gekennzeichnet war, wie durch die Fähigkeit, sich, ohne in kühler Distanz zu verharren, bereitwillig dem Menschen, dem Freund zu öffnen. Hilfsbereitschaft, Bemühen um einen Ausgleich von Gegensätzen und Weltoffenheit sind das Signum solch wahrhaft vornehmer Gesinnung.“
Beroldingen wohnte bis zu seinem Tod in der Wohnung am Lobkowitzplatz 1. Dort besaß auch Kurt Waldheim (Wl EM) eine Wohnung, und Kurt Vorhofer (Nc) hatte dort als Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“ sein Büro.
Quellen und Literatur:
Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Kabinettsvizedirektor Heinz Hafner Am, Mitteilung 24. 10. 2017).Verbindungarchiv Norica (Georg Schmitz, Mitteilung vom 30. und 31. 10. 2017 sowie vom 13. 1. 2018).
Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Gräflichen Häuser 1912. Gotha o. J. (1912), S. 102.
Tschulik, Otto (Nc): Rede am Trauerkommers am 7. September 1978, in: forum nc, Oktober 1978, S. 3–6.
Kobenter, Samo: Republik der Sekretäre. Die Seilschaften der Machthaber in Österreich. Wien 1997, S. 153.
Schambeck, Herbert (Rd): Malteserritter aus Politik, Beamtenschaft und Wissenschaft der Republik Österreich, in: Der souveräne Malteser-Ritterorden. Hg. von Christian Steeb. Graz 1999, S. 278.