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Univ.-Prof. Dr. Eduard Winter

Univ.-Prof. Dr. Eduard Winter

Urverbindung: Vandalia (Prag) zu München (30.11.1919)

Geboren: 16.09.1896, Grottau (Bezirk Reichenberg, Böhmen; nunmehr Hrádek nad Nisou bzw. Liberec, Tschechien)
Gestorben: 03.03.1982, (Ost-) Berlin
Aus dem CV ausgeschieden, Universitätsprofessor (Kirchengeschichte bzw. Osteuropäische Geschichte), Weltpriester

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Winter wurde als Sohn eines Schuhmachers bzw. späteren Kanzleiverwalters geboren. Er besuchte die Volksschule in Sebastiansberg (Bezirk Komotau, Böhmen; nunmehr Hora Svatého Šebestiána bzw. Chomutov, Tschechien) und danach das Gymnasium in Böhmisch-Leipa (Böhmen; nunmehr Ceská Lípa, Tschechien). Hier war er zuerst bei der deutschvölkischen Pennalie Germania aktiv. Als dort bei einer Kneipe die hl. Messe persifliert wurde, verließ er die Verbindung und gründete 1912/13 mit Gleichgesinnten die katholische Pennalie Nordmark. Er nahm bald mit gleichartigen katholischen Pennalien Nordböhmens Kontakt auf und hielt noch vor dem Ersten Weltkrieg eine gemeinsame Tagung ab, die er präsidierte.

Nachdem Winter 1914 nicht als Kriegsfreiwilliger angenommen wurde, maturierte er 1915. Anschließend begann er als Priesteramtskandidat der Diözese Leitmeritz (Litomerice) das Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck (abs. theol. 1919) und wurde 1919 zum Priester geweiht. Er ging jedoch nicht in die Seelsorge, sondern zu einem Doktoratsstudium an die Theologische Fakultät der deutschen Universität Prag (Dr. theol. 1921), wo er der Vandalia beitrat (Couleurname Odilo). Von 1922 bis 1925 studierte er ohne Abschluß Geschichte an der dortigen Philosophischen Fakultät sowie auch an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.

WINTER ALS ORGANISATOR DER KATHOLISCHEN PENNALIEN DES SUDETENLANDS

Winter war als Vertreter seiner Pennalie im Februar 1918 bei einer Besprechung in Wien zur Gründung eines Verbandes katholischer-deutscher Pennalverbindungen (VPV) unter der Initiative von Franz Maria Pfeiffer (Dan EM) und hatte in der Folge engen Kontakt zu ihm. Nach Ende der Monarchie versuchte nun Winter, für die Sudetengebiete eine eigene Organisation der katholischen Pennalien aufzubauen. Parallel dazu tat dies auch der spätere Gymnasialprofessor Alfred Grimm (Fd) unter dem Namen „Staffelstein“, wobei dieser sehr stark von den Ideen der deutschen lebensreformorientierten Jugendbewegung ähnlich wie Quickborn oder Bund Neuland beeinflußt war.

Winter besaß bei der Organisation der Vereinigung katholischer Pennalien die Unterstützung des Prager CV bzw. wurde von ihm dazu beauftragt. So kam es zu Ostern 1920 zur Gründung des sudetendeutschen Mittelschüler-Cartellverbands (MCV). Obwohl es zwischen den Konzepten von Winter und Grimm Differenzen gab, kooperierten MCV und Staffelstein sehr eng miteinander und bildeten eine gemeinsame Organisation. Im dreiköpfigen Direktorium, das bei der ersten Verbandstagung im August 1920 installiert wurden, waren für den MCV bzw. Staffelstein Winter und Grimm Mitglieder.

1922 trennten sich der MCV und Staffelstein nicht zuletzt auch deshalb, weil Winter gegen das strikte Alkohol- und Nikotinverbot war, wie es beim lebensreformerischen Staffelstein gepflegt wurde. Dadurch kam es aber zum Ende des sudetendeutschen MCV. In der Folge wandte sich Winter wieder dem Staffelstein zu, dessen geistiger Führer er wurde. Intellektuell orientierte es sich dabei an Romano Guardini und vertrat ähnliche Auffassungen wie in Österreich Michael Pfliegler. Sein Weg wurde zweifelsohne von seiner wissenschaftlichen Entwicklung beeinflußt.

WINTERS AKADEMISCHE LAUFBAHN

Da Winter an einer Laufbahn in der Seelsorge kein Interesse hatte, erhielt er vom Bischof von Leitmeritz, Joseph Groß (Fd), die Erlaubnis, in Prag sein Doktoratsstudium fortzusetzen. Gleichzeitig bekleidete er ab Herbst 1919 eine Assistentenstelle an der Prager Theologischen Fakultät. In Prag engagierte er sich beim Lese- und Redeverein Akademia, der 1910 von den dortigen katholischen Verbindungen gegründet wurde und zu dem nach dem Krieg auch die Hochschulgruppen von Staffelstein und Quickborn dazukamen. Hier traf er auch Otto Willmann (Fd EM), der ihn förderte, jedoch schon 1920 verstarb. Danach initiierte er den „Dr. Otto-Willmann-Bund“. Auch der Prager Weihbischof Wenzel Anton Frind (Fd) war von Winter beeindruckt und unterstützte ihn, schließlich vererbte er ihm sogar seine Bibliothek.

Bereits 1922 habilitierte sich Winter an der Theologischen Fakultät und 1926 dort ein weiteres Mal in Christlicher Philosophie. 1929 erhielt er den Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors für Christliche Philosophie und Gesellschaftslehrer, 1931 wurde er schließlich zum außerordentlichen Universitätsprofessor dieses Faches bestellt. Mit 13. Juli 1934 wurde er dann als Nachfolger von August Naegle (Ae) zum ordentlichen Universitätsprofessor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der deutschen Ferdinands-Karls-Universität Prag ernannt. Für das Studienjahr 1935/36 war die Theologische Fakultät für das Amt des Rektors an der Reihe. Fakultätsintern bewarben sich dafür Winter und Karl Hilgenreiner (Fd EM), gegen den er unterlag. Dafür wurde er dann in diesem Studienjahr Dekan der Theologischen Fakultät.

In den Jahren zuvor hat sich Winter einen Ruf als Kirchenhistoriker erworben, wobei sein Schwerpunkt die Ideengeschichte war. Insbesondere beschäftigte ihn der Reformkatholizismus, so u. a. die Reformtheologen des Vormärz‘ Bernard Bolzano in Prag und Anton Günther in Wien. Beeinflußt wurde er auch von der Würzburger reformkatholischen Schule unter Herman Schell (Mm EM), zu der auch Albert Ehrhard (Mm EM), Eduard Eichmann (Mm) und schließlich auch Naegle gehörten, dessen Schüler Winter war.

Winters „jugendbewegte“ Entwicklung in Zusammenwirken mit seinem reformkatholischen Studienobjekt führte zwangsläufig zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen ihm und der Amtskirche. Damit einher ging ab Beginn der dreißiger Jahre auch eine deutliche Hinwendung zur (deutsch)nationalen Idee, so daß man ihn als typischen Katholisch-Nationalen bezeichnen konnte, wie man diese auch in Österreich zu dieser Zeit verbreitet vorfinden konnte. Ab 1934 unterstützte er die Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins. Winter war jedoch in dieser Hinsicht nicht einfach einzuordnen, und seine Haltung war ambivalent. Sein Nationalismus hatte keinen radikalen oder chauvinistischen Charakter, er respektierte durchaus die Tschechen und hatte zu ihnen regen Kontakt. Auch wurden einige seiner Bücher ins Tschechische übersetzt.

Trotz alledem. „Seine [sc. Winters, Anm. d. Verf.] Bemühungen trugen ohne Zweifel seit Beginn der dreißiger Jahre zu einer Infiltration des Nationalsozialismus in die katholischen Verbände bei und führten zu einer Verschärfung der deutsch-tschechischen Spannungen in der Katholischen Kirche.“ (Jaroslav Šebek)

ERSTER BRUCH IM LEBENSLAUF

Die Annexion der Sudetenländer im September 1938 und schließlich die Besetzung der Resttschechei (Protektorat Böhmen-Mähren) im März 1939 führten zu einem ersten Bruch in seinem Leben, der sich aber in den Jahren zuvor bereits abgezeichnet hatte. Im April 1939 trat er der NSDAP bei. Ein Jahr später kam es zur Trennung von der Kirche. Unmittelbarer Anlaß war der Umstand, daß seine aus Tirol stammende Sekretärin Maria Kögl ein Kind von ihm erwartete. (Es sollten dann noch drei weitere folgen.) Am 4. September 1940 schrieb er dem Reichserziehungsministerium im Berlin, dem die Prager Universität unterstand, daß es ihm „weltanschaulich nicht mehr möglich“ sei, an der Theologischen Fakultät zu unterrichten und bat um „sofortige Entpflichtung“.

In der Folge ehelichte Winter Kögl. Daraufhin wurde ihm vom Prager Erzbischof die Lehrerlaubnis (missio canonica) entzogen, und der Bischof von Leitmeritz, Anton Alois Weber (Fd EM), suspendierte ihn vom Priesteramt und exkommunizierte ihn. Winter trat daraufhin aus der katholischen Kirchen aus. Spätestens damit endete auch seine Mitgliedschaft bei der Vandalia. Ein Jahr später wurde der kirchenhistorische Lehrstuhl von der Theologischen Fakultät an die Philosophische Fakultät transferiert und in eine Forschungsprofessur für Europäische Geistesgeschichte umgewandelt. Diese wurde erneut mit Winter besetzt. An der Theologischen Fakultät gab es fortan keinen Lehrstuhl für Kirchengeschichte mehr. Die notwendigen Vorlesungen wurden mit Lehraufträgen abgehalten

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Winter hingegen arbeitete nun ungehindert wissenschaftlich weiter und veröffentlichte Bücher. Zusätzlich wurde er 1942 Leiter des Instituts für osteuropäische Geistesgeschichte der Reinhard-Heydrich-Stiftung in Prag. Er wurde auch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, trat jedoch dort nachweislich kaum hervor. Als sich das Ende des Krieges abzeichnete, übersiedelte seine Familie nach Maurach am Achensee (Bezirk Schwaz, Tirol), Winter selber blieb jedoch in seinem Haus in Liboch an der Elbe (Libechov), wurde aber nach Kriegsende Ende Juli 1945 vertrieben. Er verlor sein Haus sowie seine umfangreiche Bibliothek und ging nach Wien, wo er 1946 die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt.

ZWEITER BRUCH IM LEBENSLAUF

Infolge der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und den nationalsozialistischen Verbrechen kam es im Winters Leben zu einer zweiten Wende. Das Katholisch-Nationale hatte er nach eigenem Bekunden überwunden. Es kam aber zu keiner Rückkehr zur Kirche, sondern Winter wurde von der sowjetischen Machtentfaltung und marxistisch-leninistischen Staatsideologie zunehmend beeindruckt. Obwohl er 1946 in Wien Gründungsmitglied des Instituts für Wissenshaft und Kunst war, konnte er trotz Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich wissenschaftlich nicht Fuß zu fassen, was sicherlich auch an den „Brüchen“ in seinem Lebenslauf lag. Er nahm 1947 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität in Halle/Saale an, wobei er seine österreichische Staatsbürgerschaft behielt.

Winter war dort von 1948 bis 1951 Rektor und nach der Gründung der DDR (1949) zweifelsohne für die entsprechende Gleichschaltung verantwortlich. 1951 erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1966 emeritiert wurde. Dort war er auch Leiter des Instituts für die Geschichte der Völker der Sowjetunion und gehörte ab 1955 als ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR an, wo er von 1955 bis 1959 die Historische Abteilung des Instituts für Slawistik, von 1956 bis 1959 die Arbeitsgruppe Geschichte der slawischen Völker am Institut für Geschichte und von 1961 bis 1965 die Arbeitsstelle für deutsch-slawische Wissenschaftsbeziehungen leitete. „Er hat es den Sowjetzonen- bzw. DDR-Machthabern durch ein deutliches Bekenntnis zu ihnen und auch dadurch gedankt, daß er sich für sie und ihre Ideologie propagandistisch in den Dienst nehmen ließ.“ (Peter Mast)

Als Winters Ehefrau 1976 verstarb, versuchten Weihbischof Adolf Kindermann (Fd EM) und der Bischof von Berlin, Alfred Kardinal Bengsch, ihm den Weg der Rückkehr in die Kirche zu ebnen. Doch Winter erklärte: Solange die Kirche am Zölibatsgesetz festhalte, könne er das nicht tun. Kindermann war zwar nominell Weihbischof in Hildesheim, jedoch von der Deutschen Bischofskonferenz für die Leitung der Seelsorge an den Vertriebenen beauftragt.

Winter blieb weiterhin österreichischer Staatsbürger und besaß ein Sommerrefugium in Tirol. Er gehörte zum Kreis jener zum Teil prominenter Bewohner der DDR, wie z. B. Berthold Brecht oder der Komponist der DDR-Hymne Hans Eisler, die österreichische Staatsbürger waren und ungeachtet der Berliner Mauer jederzeit in den Westen reisen konnte. Dazu zählten auch der Mediziner Hubert Urban (AIn), Professor in Jena, sowie der spätere Bischof von Görlitz (und nunmehr von Augsburg), Konrad Zdarsa.

Winter arbeitete auch in der DDR auf dem Gebiet der Geistesgeschichte wissenschaftlich weiter, publizierte zahlreiche Bücher und organisierte wissenschaftliche Kongresse. „Winters Stärke lag weniger in der erschöpfenden Analyse historischer Ereignisse und Phänomene als in einer umsichtigen, mitunter glänzenden und fesselnden Darstellung großer geistesgeschichtlicher Stoffe und Zusammenhänge. […] An dem historiographischen und wissenschaftsorganisatorischen Werk Winters wird man auch in Zukunft nicht vorbeigehen können.“ (Peter Mast)

Viele gegensätzliche Charaktereigenschaften haben Winters Lebensweg und charismatische Persönlichkeit gekennzeichnet. Er ist in den Strudel der durch Brüche gekennzeichneten Geschichte des 20. Jahrhunderts geraten. Mit der Kirche unversöhnt sowie ohne ihren Beistand ist er verstorben und begraben worden. Deswegen darf aber nicht vergessen werden, was er für das katholische Couleurstudententum in Böhmen geleistet hat.

Werke:

(Auswahl)
Bischof Ferdinand Kindermann Ritter von Schulstein (Diss. 1921, gedr. 1927).
Die geistige Entwicklung Anton Günthers und seine Schule (1931).
Religion und Offenbarung in der Religionsphilosophie Bernard Bolzanos (1932).
Bernard Bolzano und sein Kreis (1933; tschechisch 1935).
Byzanz und Rom im Kampf um die Ukraine (1942).
Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Das religiöse Ringen zweier Völker (1938).
Rußland und das Papsttum (1960/61).
Der Josefinismus und seine Geschichte (1943, 2. Aufl. 1962).
Der Frühhumanismus (1964).
Die Frühaufklärung (1966).
Der Frühliberalismus (1968).
Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz (1968).
Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie (1969).
Barock, Absolutismus und Aufklärung in der Donaumonarchie (1971).
Die Sowjetunion und der Vatikan (1972).
Ketzerschicksale. Christliche Denker aus neun Jahrhunderten (1980, 2. Aufl. 2002).
Mein Leben im Dienste der Völkerverständigung. Band 1 (1981).

Quellen und Literatur:

Academia 33 (1920/21), S. 48.
Klima, Leopold (Va): Eduard Winter und die sudetendeutsche Jugendbewegung, in: Studentenschaft und Jugendbewegung im Sudetenland 1878–1938. Hg. von Leopold Klima (= Veröffentlichungen des Archivvereins der Markomannia Nr. 29). Würzburg 1987, S. 29–37.
Mast, Peter: Eduard Winter. Historiker, in: Ostdeutsche Gedenktage 1996. Bonn 1995, S. 160–166.
Obermüller, Heinrich: Aufbruch und Untergang. Katholische Verbindungen an mittleren und höheren Schulen in Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie. Band 2 – Teil 2. Von 1918 bis 1945 (= Tradition und Zukunft. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart des höheren Bildungswesens, unter besonderer Berücksichtigung der studentischen Vereinigungen Band VIII). Wien 2003, S. 1165, 1568, 1575, 1577, 1584, 1622–1629.
Fellner, Fritz–Corradini, Doris A.: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon. Wien 2006, S. 457–458.
Šebek, Jaroslav: Sudetendeutscher Katholizismus auf dem Kreuzweg. Politische Aktivitäten der sudetendeutschen Katholiken in der Ersten Tschechoslowakischen Republik in den 30er Jahren (= Kirche und Gesellschaft im Karpaten-Donauraum Bd. 2). Münster 2010, S. 46, 49, 79, 141, 155, 196f.