Lebenslauf:
Hilgenreiners Eltern, die ursprünglich aus Bayern stammten zogen zwei Jahre nach seiner Geburt nach Haid (heute Bor u Tachova, Westböhmen). Dort war der Vater bei der fürstlichen Herrschaft Löwenstein-Wertheim-Rosenberg als Baumeister tätig. Als Halbegerländer und Halbhesse wurde Hilgenreiner von den Dorfkindern als „Preuße“ bezeichnet, denen offenbar nicht bekannt war, daß das Großherzogtum Hessen 1866 auf der Seite Österreichs gegen Preußen gekämpft hat.
Ab 1877 besuchte Hilgenreiner als Zögling des Bischöflichen Gymnasiums das bekannte Jesuitengymnasium in Mariaschein (Bohosudov, nunmehr Graupen [Krupka], Nordböhmen), wo er 1885 maturierte. Danach studierte er in Rom als Frequentant des Collegium Germanicum et Hungaricum Philosophie und Theologie (Dr. phil. 1888, Dr. theol. 1892) und wurde dort am 1. November 1891 zum Priester der Diözese Leitmeritz (Litomerice, Nordböhmen) geweiht. Bereits in Rom schrieb er Artikel für das „Grazer Volksblatt“, das damals von Josef Zapletal (Cl EM) geleitete wurde, und für die „Warnsdorfer Volkszeitung“, die von Ambros Opitz (Fd EM) herausgegeben wurde.
In diese Zeit fiel auch die Veröffentlichung der Enzyklika „Rerum novarum“. die sein weiteres wissenschaftliches Interesse für die Soziale Frage weckte. Nach seiner Rückkehr aus Rom im Jahr 1892 war Hilgenreiner zuerst Kaplan an der Stadtpfarrkirche Eger (Cheb, Westböhmen), dann wurde er Leiter des Knabenseminars in Mies (Stríbro, Westböhmen). Aufgrund seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit wurde er von Kaiser Franz Joseph 1899 zum außerordentlichen Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Christliche Gesellschaftslehre und Spekulative Dogmatik und 1904 als Nachfolger von Wenzel Anton Frind (Fd EM) zum ordentlichen Universitätsprofessor für Moraltheologie ernannt. Allerdings sah er seinen Schwerpunkt in der Christlichen Gesellschaftslehre. Er war mehrfach Dekan der Theologischen Fakultät (u. a. 1913/14) und 1935/36 auch Rektor der Universität Prag.
Kurz nach seiner Ernennung zum ordentlichen Professor fand Hilgenreiner Kontakt zur Ferdinandea, die ihn zum Ehrenmitglied ernannte. Der in den Gesamtverzeichnissen des CV nach 1914 angeführte 6. Oktober 1914 als Datum der Ehrenmitgliedschaftsverleihung der Saxo-Bavaria ist falsch. Nach einem Bericht der Saxo-Bavaria in der „Academia“ erfolgte diese bereits auf der Semesterschlußkneipe am 4. März 1914.
Im Ersten Weltkrieg war Hilgenreiner neben seiner Tätigkeit auf der Universität als k. u. k. Feldkurat in Prager Feldlazaretten tätig. Nach dem Krieg, der Auflösung der Habsburgermonarchie und der Gründung der Tschechoslowakei ging er in die Politik. Zusammen mit Robert Mayr-Harting (S-B EM), dem Prager Weihbischof Wenzel Anton Frind (Fd EM) und Josef Böhr (Fd EM) gründete er 1919 die Deutsche Christlichsoziale Volkspartei (DCVP) aus der ehemaligen Christlichsozialen Partei, die aber unter den Deutschen in Böhmen und Mähren nicht so bedeutsam wurde. Böhr wurde der erste Parteivorsitzende. Für die DCVP war Hilgenreiner von 1920 bis März 1939 Mitglied des Senats, der Ersten Kammer der tschechoslowakischen Nationalversammlung. Ab 1927 war er dann als Nachfolger von Josef Böhr (Fd EM) bis September 1935 deren Parteivorsitzender.
Hilgenreiner und Mayr-Harting waren die führenden Männer der DCVP, die auch das Parteiprogramm entworfen haben. In den ersten Jahren der Republik arbeiteten sie mit den katholischen Parteien der Tschechen und Slowaken zusammen, um gegen die antikirchlichen Bestrebungen der Nachkriegsregierungen aufzutreten. Seit Oktober 1922 unterstützte die Partei neben anderen deutschen Parteien die Regierung. Von 1926 bis 1929 stellte sie sogar einen Minister, nämlich Mayr-Harting. Hilgenreiner war u. a. Herausgeber der „Katholiken-Korrespondenz“ und leitender Mitarbeiter bei der ersten Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche (erschienen ab 1929). Er war auch Mitglied des Allerheiligenkapitels am Prager Hradschin.
Hilgenreiner gehörte neben Emil Bobek (Fd EM), Josef Böhr (Fd EM), Wenzel Feierfeil (Va), Johann Krumpe (Va), Eugen Graf Ledebur-Wicheln (S-B EM), Hans Lokscha (Nc), Felix Luschka (Va EM), Robert Mayr-Harting (S-B EM), Friedrich Öhlinger (AIn), Robert Schälzky (NdP EM) u. a. zur nicht unbedeutenden Riege der CVer, die politische Mandate (Minister, Abgeordnete, Senatoren, Parteivorsitzende) in der ersten tschechoslowakischen Republik bekleidetet. Sie taten dies in der 1919 gegründeten DCVP, die insgesamt einen kooperierenden Kurs gegenüber den Tschechen fuhr, der damals „aktivistisch“ (im Gegensatz zu nationalistisch) genannt wurde.
Hilgenreiner selbst zählte in der Christlichsozialen Volkspartei eher zum national orientierten Flügel und unterstützte die sog. „aktivistische“ Richtung, d. h. die Mitarbeit bzw. Unterstützung der Regierung, erst nach längerem Zögern. Er zählte zwar 1938 zu den Hauptinitiatoren des Eintritts der Christlichsozialen in die kryptonationalsozialistische Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins, kritisierte aber offen die Zerschlagung der Rest-Tschechei 1939 durch das nationalsozialistische Deutschland und die Repressalien der Besatzungsmacht gegenüber der Kirche und der Bevölkerung. Hilgenreiner wurde deswegen unter Polizeiaufsicht gestellt und im Juni 1944 verhaftet. Er wurde in das spezielle Lager für Priester in das ehemalige Kloster Sasmik (Zásmuky, südwestlich von Kolin) gebracht, wo er bis zum Kriegsende im Mai 1945 blieb.
Wenige Wochen nach Kriegsende wurde Hilgenreiner aufgrund einer Denunziation neuerlich, diesmal von den Tschechen verhaftet, und war dann im Zwangsarbeitslager Modrany bei Prag interniert. Über Vermittlung von Leopold Kunschak (Nc EM), den er von seiner politischen Tätigkeit schon von früher her kannte, kam er frei und konnte im Sommer 1946 nach Wien ausreisen. Er war dann als Kaplan an der Wiener Karlskirche eingesetzt und gehörte zu den ersten Dozenten der damals neu gegründeten Katholischen Akademie in Wien.
Werke:
Die kirchliche Vorzensur und das Partikularrecht (1901).(Anonym) Zur Frage der deutschen Bistümer in Böhmen (2. Aufl. 1902).
Kirchliches Handlexikon, zwei Bände (1907 und 1912).
Die römische Frage nach dem Weltkrieg (1915).
Quellen und Literatur:
Academia 27 (1914/15), S. 96.Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 2, Wien 1959, S. 316.
Krones, Ferdinand: Karl Hilgenreiner, in: Der Pulvertrurm. Meinungsforum der K. a. V. Saxo-Bavaria Nr. 3, Oktober 2009, S. 12–15.
Šebek, Jaroslav: Sudetendeutscher Katholizismus auf dem Kreuzweg. Politische Aktivitäten der sudetendeutschen Katholiken in der Ersten Tschechoslowakischen Republik in den 30er Jahren (= Kirche und Gesellschaft im Karpaten-Donaraum 2). Münster 2010; bes. S. 22, 70 und 168.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Farbe Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 121.