Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG UND AKADEMISCHE LAUFBAHN
Schöpfer wurde als Sohn eines Oberfinanzkommissärs geboren, der früh verstarb, und absolvierte von 1867 bis 1875 das Gymnasium in Brixen (Cassianeum). Danach trat er in das Brixener Priesterseminar ein und begann das Studium an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt, wo er 1880 noch vor Erreichen des kanonischen Weihealters und mit Dispens zum Priester geweiht wurde. Anschließend wurde er als Frequentant des Frintaneums zum Weiterstudium an die Theologische Fakultät der Universität Wien (Dr. theol. 1883) geschickt. Ebenso studierte er an der dortigen Philosophischen Fakultät altorientalische Sprachen.
Nach seiner Promotion kehrte Schöpfer nach Tirol zurück und war zuerst k. k. Hofkaplan (Ordinariatssekretär) und ab 1885 Kaplan in Virgen (Bezirk Lienz). 1886 wurde er Supplent und 1887 Professor für die Bibelwissenschaft des Alten Testaments an der Brixener Hauslehranstalt. 1893 veröffentlichte er sein Standardwerk „Geschichte des Alten Testaments“, das nicht unumstritten war, jedoch mehrere Auflagen erlebte. Er begründete damit eine neue Schule der alttestamentlichen Exegese.
Das Problem der damaligen katholischen Bibelexegese bestand darin, wie naturwissenschaftliche und/oder historische Aussagen in der Bibel, insbesondere im Alten Testament, mit der modernen wissenschaftlichen Forschung in Einklang zu bringen sind. Die katholische Bibelexegese hatte damals einen strengen Inspirationsbegriff vertreten, der 1883 noch in der Bibel-Enzyklika „Providentissimus Deus“ von Papst Leo XIII. betont wurde. In der folgenden Bibel-Enzyklika „Spiritus Paracletus“ (1920) von Papst Benedikt XV. wurde diese Position bereits etwas aufgeweicht. Endgültig wurde in der Bibel-Enzyklika „Divino afflante spirito“ (1943) von Papst Pius XII. (Tfs EM) die moderne Bibel-Exegese bzw. -Kritik anerkannt.
Schöpfer hatte in seiner „Geschichte des Alten Testaments“ versucht, zwischen den beiden Position – unbedingter Inspirationsbegriff und Anerkennung wissenschaftlicher Ergebnisse – einen schmalen Grad zu beschreiten, was ihm von konservativer Seite Kritik einbrachte. Er war aber so klug – schließlich war er ja Politiker – , im Gegensatz zur Bibelübersetzung von Nivard Schlögl (Nc) keine „offene Flanke“ zu bieten, so daß er vom Lehramt (Heiliges Offizium, heute Glaubenkongregation) unbehelligt blieb. In der 1923 erschienenen 6. Auflage seiner „Geschichte des Alten Testaments“ hatte jedoch Schöpfer stärker als in den bisherigen Auflagen auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung Bezug genommen.
DER TIROLER BRUDERKRIEG
Während seines Studienaufenthaltes in Wien lernte Schöpfer den dort Moraltheologie lehrenden Franz Martin Schindler (Fd EM) kennen, der ihn mit seinen sozialpolitischen Anschauungen stark beeinflußte. Nach Tirol zurückgekehrt, engagierte sich Schöpfer politisch und sozial. Er wurde 1888 Vorsitzender des in diesem Jahr gegründeten Katholisch-politischen Kasinos in Brixen.
In der Folge schlug sich Schöpfer auf die Seite der in Niederösterreich bzw. in Wien entstandenen christlichsozialen Bewegung um Karl Lueger (Nc EM) und sammelte zahlreiche junge Priester um sich, die er für die christlichsoziale Idee begeistern konnte und die sich gegen den Führungsanspruch der Katholisch-Konservativen auflehnten. Da diese vom Episkopat unterstützt wurden, kam das einer Kritik an den Bischöfen gleich.
Das führte ab 1891 zunehmend zu Konflikten mit den in Tirol tonangebenden Katholisch-Konservativen unter Theodor Frhr. von Kathrein (AIn) und Josef Wackernell, Edler von Rechtenthurn (AIn). 1897 kam es im Rahmen der sog. „Badenikrise“ zum endgültigen Zerwürfnis Schöpfers mit den Katholisch-Konservativen, so daß er deren Klubs im Reichsrat und Landtag verließ. Er gründete 1898 die Christlichsoziale Partei Tirols, was zu einem langen Streit führte („Tiroler Bruderkrieg“), der zum Teil gehässig ausartete und erst nach dem Ersten Weltkrieg beigelegt wurde. Bischof Josef Altenweisel (Le EM) von Brixen verbot eine Mitarbeit bei den Christlichsozialen, während dann dessen Nachfolger Franz Egger (AIn EM) um einen Ausgleich bemüht war. Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft Raeto-Bavarias an Schöpfer weist auch in diese Richtung.
So konzipierte Wackernell als Obmann der katholisch-konservativen Partei Tirols am 1. Juni 1903 einen Brief an den Papst, worin er die Kritik an den Christlichsozialen zusammenfaßte. Dieser Briefentwurf spiegelt sehr gut die Auseinandersetzungen und die Konfliktpunkte insgesamt wider und ist insofern ein wichtiges Dokument, obwohl er als Brief offenbar nicht abgeschickt wurde. Dort heißt es u. a.:
„Seitdem die Christlichsozialen als eigene politische Partei […], brachten sie einen Riß in die politische Einheit des Landes, welcher der Religion und dem Glauben schon großen Schaden verursacht hat. Zahlreich sind die Fälle, wo Pfarrer und Kooperator, oder Pfarrklerus und Pfarrgemeinde politisch entzweit sind und sich gegenseitig bekämpfen. Die katholisch-konservative Partei ist in Tirol die ursprünglichste. Dieser gehören heute noch alle Landesbischöfe an, alle Prälaten, die meisten Dekane und der größte Teil des älteren Klerus, ihr gehört der Adel und die gebildeten Stände, insoweit sie nicht deutschnational sind, an. Diese unsere Partei wird in neuester Zeit von den Christlichsozialen aufs heftigste bekämpft. Sie beruft sich bei diesem Kampf auf die päpstlichen Erlässe über die christliche Demokratie und täuscht damit viele Unwissende. […]“
Schöpfer vertrat auch die Interessen der Bauernschaft und war daher 1904 auch an der Gründung des Tiroler Bauernbundes beteiligt. Dadurch konnte er diese auch für die Christlichsozialen gewinnen.
POLITISCHE LAUFBAHN
Schöpfers Engagement führte zu politischen Ämtern. 1895 wurde er als Vertreter des Landgemeindenbezirks Brixen, 1914 als Vertreter des Landgemeindenbezirks Bruneck in den Tiroler Landtag gewählt. Hierbei konnte er sich als Christlichsozialer gegen den katholisch-konservativen Kandidaten Friedrich Graf, Ritter von Gaderthurn (AIn EM) durchsetzen. Dem Tiroler Landtag gehörte er dann ab 2. Januar 1896 (VIII. Wahlperiode) bis zum Ende der Monarchie an. 1897 wurde er in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats gewählt (ab 1907 im Wahlkreis Bruneck Land), dem er vom 27. März 1897 bis zum Ende der Monarchie angehörte.
Von 1908 bis 1910 war Schöpfer auch Mitglied des Landesausschusses des Tiroler Landtags. Dieser war eine Vorform der autonomen Landesregierung. Als Landeshauptmann Kathrein am 1. Oktober 1916 starb, wurde wegen des Ablebens Kaiser Franz Josephs bzw. des Thronwechsels vorerst kein Landeshauptmann ernannt. Der Landesausschuß wählte jedoch Schöpfer zu seinem Vorsitzenden, was praktisch der Funktion eines Landeshauptmanns gleichkam. Angelobt wurde er in dieser Funktion bereits von Kaiser Karl I. Im Mai 1917 wurde jedoch nicht er, sondern sein parteiinterner Rivale Josef Schraffl zum Landeshauptmann ernannt.
Schöpfer wurde als Ausgleich angeboten, die Leitung des Fürstbistums Trient zu übernehmen. Dessen Fürstbischof Celestino Endrici wurde wegen mangelnder Loyalität auf Druck des k. u. k. Armeekommandos im Stift Heiligenkreuz unter Hausarrest gestellt. Schöpfer lehnte jedoch dieses Angebot ab.
Aufgrund seines Reichsratsmandats war Schöpfer vom 21. Oktober 1918 bis zum 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, die ihn auch in den Staatsrat wählte, welcher in der Übergangszeit 1918/19 das oberste Exekutivorgan war. 1919 kandidierte er für die Konstituierende Nationalversammlung und gehörte dieser sowie dann dem Nationalrat vom 4. April 1919 nach Wiederwahl bis zum 18. Mai 1927 an. Schöpfer war also 30 Jahre Mitglied des Parlaments. 1919 kandidierte er bei den Wahlen für den Tiroler Landtag, wurde gewählt und gehörte diesem vom 1. Juli 1919 bis zum 7. Juni 1921 an. Aufgrund seiner politischen Funktionen in Österreich gab er seinen Wohnsitz in Südtirol auf.
Schöpfer zählte auch nach dem Ersten Weltkrieg zu den einflußreichsten Persönlichkeiten der Tiroler Christlichsozialen. Er blieb weiterhin Monarchist, war gegen den Anschluß an Deutschland und wollte ein selbständiges Tirol, um so die Landeseinheit zu bewahren. Er zählte neben Ignaz Seipel (Nc EM), Johann Hauser (AW EM) u. a. zu den profiliertesten Priesterpolitikern Österreichs im ersten Drittels des 20. Jahrhunderts
FÜR EINE KATHOLISCHE PRESSE
Besonderes Augenmerk legte Schöpfer aber auf das katholische Presse- und Verlagswesen. 1888 gab er in Zusammenhang mit dem Katholisch-politischen Kasino in Brixen die erste christlichsoziale Zeitung Tirols, die „Brixener Chronik“, heraus. Um diese Zeitung finanziell abzusichern, gründete er 1890 den Katholisch-politischen Preßverein. Im Jahr 1900 gründete er auch in Bozen den Preßverein Tyrolia (inklusive Buchhandlung und Druckerei). 1901 gab er in Innsbruck die „Tiroler Post“ heraus, die 1907 in die Tageszeitung „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“ umgewandelt wurde. Erster Chefredakteur wurde Anfang 1908 der spätere Vizekanzler Richard Schmitz (Nc).
1907 fusionierte Schöpfer die beiden Preßvereine (Brixen und Bozen) mit dem „Allgemeinen Tiroler Anzeiger“ zu der noch heute bestehenden Verlagsanstalt Tyrolia (mit dem damaligen Sitz in Brixen), deren Präsident er bis zu seinem Tod war. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abtretung Südtirols wurde die Tyrolia nach Innsbruck verlegt und in Bozen die Athesia gegründet.
1918 war Schöpfer Mitbegründer der mit Josef Eberle (ArF) gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift „Die Monarchie“, die nach einigen Nummern in „Das Neue Reich“ umbenannt wurde und 1932 in die Zeitschrift „Die schönere Zukunft“ aufging.
Schöpfers Namensschreibweise war nicht einheitlich. In seinen Büchern ist die Schreibweise Schoepfer üblich, in offiziellen Publikationen des Parlaments (Reichsrat, Nationalrat) hingegen Schöpfer. Dieser wird gefolgt. Er erhielt 1914 den Titel Päpstlicher Hausprälat sowie 1917 den Titel Hofrat und starb nach einigen Jahren der schweren Krankheit.
Werke:
(Auswahl)Geschichte des Alten Testaments (1893, 6. Aufl. 1923).
Bibel und Wissenschaft (1896, 2. Aufl. 1931).
Schutz dem Bauernstande! (1898).
Verschuldensfreiheit oder Schuldenfreiheit ? (1899, 2. Aufl.1906).
Monarchie oder Republik? Freimaurerei und Kirche über die Staatsform (1919).
Emanuel. Gott mit uns (1922).
Der hl. Thomas als Bahnbrecher der Wissenschaft (1925).
Quellen und Literatur:
Freund, Fritz: Das österreichische Abgeordnetenhaus. Ein biographisch-statistisches Handbuch. XII. Legislaturperiode 1911–1917. Wien 1911, S. 197.Klotz, Anton (R-B): Dr. Aemilian Schoepfer, Priester und Volksmann. Innsbruck 1936.
Stifter, Josef: Dr. Ämilian Schöpfer und der Bruderzwist in Tirol. Wien phil. Diss. 1949.
Schober, Richard: Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert. Mit einem Beitrag von Eberhard Lang. Innsbruck 1984, S. 576, 584, 590.
Biographisches Handbuch der österreichischen Parlamentarier 1918–1993. Hg. von der Parlamentsdirektion. Wien 1993, S. 526.
Kuprian, Hermann J. W.: Schoepfer (Schöpfer) Aemilian, in.Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 11, Wien 1999, S. 105–107.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 98, 101f., 246 und 267.