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Reichsrats-Abg. LAbg. Präl. Prof. Dr. Josef Scheicher

Reichsrats-Abg. LAbg. Präl. Prof. Dr. Josef Scheicher

Ehrenmitgliedschaften: Norica, Ferdinandea (Prag) zu Heidelberg, Austria-Wien, Rudolfina

Geboren: 18.02.1842, Lichtenhof (Gemeinde St. Stefan ob Stainz, Bezirk Deutschlandsberg, Steiermark)
Gestorben: 28.03.1924, Wien
Reichsratsabgeordneter, Landtagsabgeordneter (Niederösterreich), Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Hochschulprofessor (Moraltheologie), Weltpriester

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Scheicher (der „Seppl von Lichtenhof“) wurde als Sohn eines Bauern geboren. Nach der Volksschule besuchte er von 1856 bis 1861 das vom Benediktinerstift Admont betriebene Gymnasium in Graz. Nach einem Jahr an der dortigen Chirurgischen Lehranstalt begann er 1863 in St. Andrä im Lavanttal das Noviziat der Jesuiten, welches er 1864 krankheitshalber wieder verließ, so daß er 1865 als Externist die Matura am Franziskanergymnasium in Rudolfswerth (damals Herzogtum Krain, nunmehr Novo Mesto in Slowenien) ablegte.

Danach trat Scheicher in das Priesterseminar St. Pölten ein und studierte an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt. Am 27. Juni 1869 wurde er zum Priester geweiht und wurde dann Kaplan in Waidhofen an der Ybbs, wo er bereits politisch tätig war. In den Jahren 1872 und 1873 studierte er als Frequentant des Frintaneums an der Theologischen Fakultät der Universität Wien (Dr. theol. 1875). Dort predigte er auch vor Angehörigen des kaiserlichen Hauses.

SCHEICHERS WEG ZUR SOZIAPOLITIK

Nach seiner Rückkehr wurde Scheicher 1875 Redakteur des „St. Pöltner Boten“ und Sekretär des katholischen Volksvereines von Niederösterreich. Damit war eine politische Versammlungstätigkeit verbunden: gegen den Liberalismus, für die Verhinderung der staatlichen Trauung, für konfessionelle Staatsschulen sowie für die ausreichende staatliche Besoldung des Klerus. Dadurch kam er mit der Politik in Berührung

Bereits ab 1878 hielt Scheicher Vorlesungen in Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt St. Pölten und wurde dort im April 1879 – es war sein unmittelbares Lebensziel – zum Professor für Moraltheologie ernannt. Im Jahr 1884 veröffentlichte er seine aufsehenerregende Studie „Der Klerus und die soziale Frage“, mit der er auch international bekannt wurde und on der er sich mit den Zeitströmungen wie Liberalismus, Kapitalismus und Kommunismus kritisch auseinander gesetzt hatte. Scheicher wollte mit dieser Abhandlung den Klerus auffordern, an der Lösung der „Sozialen Frage“ mitzuarbeiten. Sie gehörte zu jenen Schriften, die Papst Leo XIII. zu seiner Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ anregten, die dann 1891 promulgiert wurde. Scheicher gehörte dadurch zu jenen, die zu einer weltweiten kirchlichen Sozialpolitik Anstoß gaben. Er wurde daraufhin zum Päpstlichen Hauprälaten ernannt.

Damit geriet Scheicher noch stärker in die Politik und schloß sich der gerade im Entstehen begriffenen Christlichsozialen Bewegung an. Zusammen mit Karl Lueger (Nc EM), Aloys Prinz von und zu Liechtenstein (AW EM), Albert Geßmann (AW EM) und Karl Frhr. von Vogelsang (AW EM) gehörte er zu den Gründergestalten der Christlichsozialen Partei, die ihren Aufstieg vor allem im westlichen Niederösterreich (Bistum St. Pölten) wesentlich ihm zu verdanken hatte.

SCHEICHER ALS POLITIKER

Scheicher betrat nun die offizielle politische Arena. Er kandidierte 1890 bei den Wahlen zum niederösterreichischen Landtag, wurde gewählt und gehörte diesem vom 14. Oktober 1890 bis nominell zum 8. Januar 1915 an. Da es kriegsbedingt keine Neuwahlen gab, wurde er dadurch am 5. November 1918 in die Provisorische Landesversammlung delegiert, der er bis 4. Mai 1919 angehörte. Sein Gegenkandidat 1890 war der liberale Abt von Melk Alexander Karl. Ebenfalls 1890 zog Lueger in den niederösterreichischen Landtag ein. Bald nach seiner Wahl in den Landtag wurde Scheicher 1895 als Professor beurlaubt

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Scheicher kandidierte 1894 bei einer Nachwahl mitten in der VIII. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, wurde gewählt und gehörte diesem ab 22. Oktober 1894 bis zum Ende der Monarchie an. Dadurch war er vom 21. Oktober 1918 bis zum 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung der jungen Republik. Nebenher gehört er noch von 1891 bis 1898 dem St. Pöltener Gemeindeausschuß an. Vom 20. November 1897 bis zum 8. Januar 1909 war er auch Mitglied des niederösterreichischen Landesausschusses, einer Vorform der späteren Landesregierung. Hier war er für Gemeindeangelegenheiten, das Gesundheitswesen sowie den Straßenbau zuständig und organisierte als solcher Bürgermeistertage.

Beim einzigartigen und einmaligen „Klerustag“ des 29. August 1901 in Wien war Scheicher die dominierende und alles beherrschende Schlüsselfigur. Rund 400 aus dem niederen Klerus (Kapläne, Katecheten und Pfarrer) aus der ganzen Monarchie waren überraschend erschienen. Kirchenkritisch begann er sein Referat. Es sei ein besonderer Nachteil, „daß das gegebene Verhältnis von oben und unten, von Vorgesetzten und Untergebenen nicht dem Evangelium“ entspräche. „Wollen wir im Kampfe siegen, so muß eine reformatio in capite et membris eintreten. Das ist nach meiner unabänderlichen Überzeugung Vorbedingung für unseren Reformkatholizismus.“ Es war daher kein Wunder, daß er 1908 des Modernismus bezichtigt, u. a. von dem Wiener Dogmatiker Ernst Commer (Gu, Nc), sowie in Rom verleumdet und angeschwärzt wurde.

Seit 1893 war Scheicher Schriftleiter der von Karl Frhr. von Vogelsang (AW EM) gegründeten „Monatsschrift für christliche Sozialreform“ sowie dann auch des „Correspondenzblattes des katholischen Klerus von Österreich“. Er war neben dem Prager Weihbischof Wenzel Frind (Fd EM) einer der wenigen im katholischen Bereich, die sich auch mit der Nationalitätenfrage und der damit zusammenhängenden Zukunft der Monarchie beschäftigten. Im Jahr 1900 entwarf er in dem Essay „Traum aus dem Jahre 1920“ einen Bundesstaat „Vereinigte Oststaaten“, der vor allem ein Bollwerk gegen den Pangermanismus sein sollte.

Scheicher war ein begnadeter und pointierter Redner und Prediger. Es war daher kein Wunder, daß ihm unter dem Einfluß von Sebastian Brunner (AW EM) auch der Antisemitismus als Mittel der politischen Agitation diente, wie das in der Christlichsozialen Partei damals gang und gäbe war. Seine diesbezüglichen kritischen Äußerungen werden jedoch in einem Beitrag im „Correspondenzblatt des katholischen Klerus Österreich“ (Nr. 18 vom 20. 9. 1887) relativiert: „Wenn die Zeit an Verleumdungen aus Haß gegen Andersgläubige sich einmal gewöhnt haben sollte, müßte das gerade für die Juden früher oder später verhängnisvoll werden. Von einem christlich und sittlichen Volke haben die Juden Beschränkungen im Bösen, Wucher etc. zu erwarten, aber keine Hetzen.“

WÜRDIGUNG

Scheicher wohnte zuletzt in Wien-Wieden, wo er auch starb. Am 31. März 1924 wurde er am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Zahlreiche Priester waren anwesend, an der Spitze der Wiener Erzbischof Friedrich Gustav Kardinal Piffl (Wl EM) und der St. Pöltener Diözesanbischof Johannes B. Rößler (AW EM), ebenso auch Vertreter der Politik, wie der damalige Nationalratspräsident Wilhelm Miklas (AW EM) und sogar der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Karl Seitz.

Bundeskanzler Ignaz Seipel (Nc EM) hielt am offenen Grab die Trauerrede: „Dieser Priester, selbst aus den schlichten Ständen des österreichischen Volkes hervorgegangen, erkannte schon sehr früh die Wichtigkeit der sozialen Frage. Später wurde er dann einer der Führer der großen politischen Partei der Christlichsozialen. Scheicher gelangte nicht auf dem Umweg über die Politik zum Studium der sozialen Frage, sondern er erkannte die Politik und die Partei als ein Mittel zum Zweck, um die soziale Frage lösen zu helfen. […] Dabei war er ein Mann der Freiheit, mitunter von überschäumendem Freiheitsbewußtsein, mitunter ein Eigengänger und Eigenbrötler, er war groß genug, um das sein zu dürfen, was er war.“

Als Vertreter des CV chargierten beim Begräbnis Abordnungen der Verbindungen Norica, Austria und Rudolfina. Auf Anregung von Leopold Kunschak (Nc EM) wurde mit den Spenden ein beeindruckendes Grabmal errichtet, das Jesus als den guten Hirten darstellt. Scheicher hinterließ ein umfangreiches literarisches, essayistisches wie wissenschaftliches Werk. In St. Pölten wurde eine Gasse nach ihm benannt.

Werke:

(Auswahl)
Der Lichtenhofer. Ein Lebensbild aus den steyrischen Alpen (1877).
Der Klerus und die soziale Frage (1884, 2. Aufl. 1896)
Allgemeine Moraltheologie (1885).
Sebastian Brunner. Ein Lebensbild, zugleich ein Stück Zeit- und Kirchengeschichte (2. Aufl. 1890).
Compendium repititorium theologiae moralis (ed. III, 1890).
Praktisches Handbuch des katholischen Eherechts (4. Aufl. 1891).
Ostmarkgeschichten. Gesammelte Erzählungen, Novellen und Humoresken (1898)
Aus dem Jahr 1920. Ein Traum (1900)
Der Österreichische Klerustag (1903).
Erlebnisse und Erinnerungen. Sechs Bände (1907–1912).
Interessantes Priesterleben (1923).

Quellen und Literatur:

David, Hedwig: Josef Scheicher als Sozialpolitiker. Wien phil. Diss. 1946.
Kendl, Josef: Josef Scheicher. Priester und Politiker an der Schwelle einer neuen Zeit. Salzburg kath. theol. Diss. 1967.
Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 10, Wien 1990, 61.
Krause, Otto: Biographisches Handbuch des nö. Landtages 1861–1921 (online: Landtag Niederösterreich). St. Pölten 1995.
Eder, Manfred: Josef Scheicher, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 630. Onlinefassung: www.deutsche-biographie.de/pnd120645777.html
Szanya, Anton: Der Traum des Josef Scheicher. Staatsmodelle in Österreich 1880 bis 1900. Innsbruck 2009.
Liebmann, Maximilian (Cl): Josef Scheicher. Leben und Wirken. Vortrag am 3. März 2012 in St. Stefan ob Stainz. Manuskript vom Vortragenden freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Spindelböck, Josef: Prälat Dr. Joseph Scheicher (1842–1924), in: Die Philosophisch-Theologische Hochschule St. Pölten 225 Jahre nach ihrer Gründung als diözesane Lehranstalt. Hg. von Gottfried Glaßer und Josef Kreiml (FlP EM). St. Pölten 2017, 71–73.
https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Scheicher.shtml