Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG UND WISSENSCHAFTLICHE LAUFBAHN
Mayr wurde als Sohn eines wohlhabenden Bauern und Zimmermeisters geboren. Das Gymnasium besuchte er 1877 bis 1882 zuerst bei den Jesuiten in Linz (Aloisianum), dann bei den Benediktoner in Kremsmünster (Matura 1885). Anschließend begann er das Studium der Geschichte und Geographie an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien (1890 Dr. phil.). Dort wurde er bei der Burschenschafr Bruna Sudetia aktiv, trat dann aber wieder aus. 1889 bis 1891 absolvierte er das Institut für Österreichische Geschichtsforschung, 1891 war er Stipendiat am Österreichischen Historischen Institut in Rom (Erforschung der Nuntiaturberichte 1560–1572).
Nach einer kurzen Tätigkeit im Archiv des k. k. Finanzministeriums war Mayr ab September 1892 in Innsbruck Beamter des Statthaltereiarchivs, ab 1919 Landesregierungsarchiv sowie dessen Direktor von 1897 bis 1920, von welchem Posten er zwischen 1907 und 1911 und ab 1919 beurlaubt war. Ab 1920 war er nominell Leiter des Archivamtes in Wien. 1895 habilitierte er sich bei Joseph Hirn (AIn) für Neuere Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck und erhielt 1900 ein unbesoldetes Extraordinariat für Neuere Geschichte und Tirolische Geschichte. Er gehörte zum Kreis um Ludwig von Pastor (AIn EM). In der Folge verfaßte er zahlreiche historische sowie rechtshistorische Publikationen.
POLITISCHE LAUFBAHN BIS 1918
Mayr war ursprünglich eher ein Liberaler, näherte sich aber Ende des 19. Jahrhunderts an die Tiroler Konservativen an, um dann im „Tiroler Bruderkampf“ für die zukunftsträchtigeren Christlichsozialen einzutreten, was ihm den Vorwurf des Opportunismus eintrug. Die Ehrenmitgliedschaftsverleihung der Austria Innsbruck an Mayr im Jahr 1903 steht wohl im Zusammenhang mit deren Schwenk von den Konservativen zu den Christlichsozialen. Für diese kandidierte er 1907 bei den ersten allgemeinen Wahlen für den Reichsrat und erhielt das Mandat im Wahlkreis Kufstein-Hall-Imst-Landeck-Reutte Stadt.
Dem Abgeordnetenhaus gehörte Mayr vom 17. Juni 1907 bis 30. März 1911 an. In dieser Zeit setzte er sich u. a. auch für die Gleichberechtigung der katholischen Studenten bzw. des CV auf den Universitäten ein. Insbesondere tat er das im sog. „Wahrmundjahr 1907/08“, so etwa bei der sog. Kulturkampfdebatte Ende November/Anfang Dezember 1907 im Abgeordnetenhaus.
Sein Mandat konnte Mayr bei den nächsten Reichsratswahlen im Jahr 1911 wegen seiner Gegnerschaft zu den Altkonservativen nicht halten. Er kandidierte zwar, jedoch trat ein eigener konservativer Kandidat an, der im zweiten Wahlgang für die Deutsche Volkspartei votieren ließ. 1908 kandidierte er bei den Wahlen für den Tiroler Landtag, wurde für den Stadtbezirk Hall gewählt und gehörte dem Landtag nach Wiederwahl vom 27. April 1908 bis formell zum 12. November 1918 an.
POLITISCHE LAUFBAHN AB 1918
Mayr verstand es, im Laufe der Zeit die Zwistigkeiten innerhalb seiner Partei zu überwinden, so daß er bei Kriegsende zu den führenden Christlichsozialen Tirols gehörte. In den Novembertagen 1918 reiste er in die Schweiz, um Hilfsmaßnahmen für Tirol zu organisieren.
Als ein 1914 gewählt Landtagsabgeordneter gehörte Mayr der sich am 26. Oktober 1918 konstituierenden provisorischen Landesversammlung an, die jedoch lediglich an diesem Tag ein einziges Mal zusammentrat. Aufgrund der sich abzeichnenden politischen Lage, nämlich der Besetzung Südtirols durch die Italiener, konstituierte sich am 21. Dezember 1918 eine neuer provisorische Tiroler Landesversammlung, der nur mehr aus den 1914 gewählten Landtagsabgeordneten Nord- und Osttirols sowie weiteren kooptierten Abgeordneten bestand. Mayr gehörte dieser bis zum 1. Juli 1919 an. Danach kandidierte er nicht mehr für den Tiroler Landtag.
Mayr kandidierte jedoch erfolgreich bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung und gehörte dieser vom 4. März 1919 bis 9. November 1920 an. Auch bei den ersten Wahlen zum Nationalrat hatte er Erfolg. Ihm gehörte er vom 10. November 1920 bis zu seinem Tod an
Vom 17. Oktober 1919 bis 24. Juni 1920 war Mayr Staatssekretär (entsprach in der Provisorischen Staatsregierung einem Minister) für Verfassungs- und Verwaltungsreform. Gemeinsam mit Karl Renner und Hans Kelsen war er an der Ausarbeitung des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes aktiv beteiligt. Dabei vertrat er zwar die Interessen der Länder, war aber dann doch ausgleichend tätig. Er gehörte gemeinsam mit Renner zu den Gründern des neuen Österreich.
Mayr trat am 7. Juli 1920 wieder in die Provisorische Staatsregierung als Staatssekretär (Minister) ohne Portefeuille ein und übernahm den Vorsitz im Kabinett ohne weiteren Titel. Er war praktisch damit Regierungschef. Zusätzlich übernahm er am 20. Oktober 1920 auch die Agenden eines Staatssekretärs (Ministers) für Äußeres, nachdem die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder ausgeschieden sind. Mit 20. November 1920 endete die Ära der Provisorischen Staatsregierungen, und die neue Bundesverfassung trat in Kraft.
DER ERSTE BUNDESKANZLER ÖSTERREICHS
Mayr setzte seine bisherige Tätigkeit fort, indem er am 20. November 1920 zum Bundeskanzler bestellt wurde. Gleichzeitig war er auch Außenminister. In seiner Regierung saßen u. a. folgende Minister: Eduard Heinl (Baj EM), Rudolf Ramek (Nc), Josef Resch (Nc EM) und Carl Vaugoin (Rd EM).
Vergeblich bemühte sich Mayr in seiner kurzen Amtszeit um eine Kredithilfe aus dem Ausland, um damit die Not nach dem Krieg lindern zu helfen. Nachdem einige Bundesländer entgegen den Bestimmungen der Verträge von Versailles und St. Germain Abstimmungen über einen Anschluß an das Deutsche Reich initiieren wollten bzw. sogar teilweise abhielten, trat Mayr am 21. Juni 1921 zurück, blieb aber Nationalratsabgeordneter. Anschließend war er bis zu seinem Tod Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, obwohl er kein Jurist war.
Mayrs physische Kräfte waren erschöpft. Er erlag einem Herzinfarkt beim Besuch des Bauernhofes seiner Schwester. Er wurde auf dem Innsbrucker Westfriedhof (N/3–2) bestattet.
Werke:
Wolfgang Lazius als Geschichtsschreiber Österreichs. Ein Beitrag zur Historiographie des 16. Jahrhunderts (1894, Habilitationsschrift).Das Jagdbuch Kaiser Maximilians I. (1901).
Das Fischereibuch Kaiser Maximilians I. (1901).
Die politischen Beziehungen Deutschtirols zum italienischen Landesteil (1901).
Die Vorbereitungen zur dritten Befreiung Tirols im Jahr 1809 (1902).
Die Entwicklung des italienischen Irredentismus in Tirol (1915, 2. Aufl. 1917)
Quellen und Literatur:
Kriss, Simon–Zathammer, Stefan: Austriae mortuis I. Die Verstorbenen Austrier der Rezeptionsjahrgänge von 1864–1910. Innsbruck 2024, 365f. und 535.Richter, Ingeborg: Michael Mayr als Historiker und Politiker. Wien phil. Diss. 1959.
Goldinger, Walter: Michael Mayr, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 5, Wien 1972, 439f.
Slapnicka, Harry: Oberösterreich. Die politische Führungsschicht 1918 bis 1938 (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs 3). Linz 1976, 184f.
Schober, Richard: Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert. Mit einem Beitrag von Eberhard Lang. Innsbruck 1984, 572, 583 und 586.
Kuprian, Hermann J. W.: Zwischen Wissenschaft und Politik. Die politische Entwicklung Michael Mayrs von 1907 bis 1922. Innsbruck phil. Diss. 1985.
Fellner, Fritz–Corradini, Doris A.: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon. Wien 2006, 274f. (umfangreiches Publikationsverzeichnis),
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 90, 141, 143, 145–147, 160, 200, 210 und 268.
https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Mayr_3.shtml