Wartungsfunktionen

BK Abg. z. NR a.D. Gen Carl Vaugoin

BK Abg. z. NR a.D. Gen Carl Vaugoin

Ehrenmitgliedschaften: Rudolfina, Pannonia

Geboren: 08.07.1873, Wien
Gestorben: 10.06.1949, Krems (Niederösterreich)
Bundeskanzler, Nationalratsabgeordneter, General der Infanterie
Politische Haft: 1938/39 Polizeigefängnis Wien

Lebenslauf:

HERKUNFT, AUSBILDUNG UND BEGINN DER POLITISCHEN KARRIERE

Vaugoin wurde als Sohn eines Juweliers und liberalen Wiener Kommunalpolitikers (Gemeinde- und Stadtrat) geboren. Die Schreibweise seines Vornamens ist nicht einheitlich. In wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie seitens des Parlaments dominiert die Version Carl. Er besuchte zuerst ab 1884 das Gymnasium in Kremsmünster, dann ab 1890 das in Wien-Mariahilf (Amerlinggasse), wo er 1892 maturierte. Anschließend absolvierte er das Einjährig-Freiwilligenjahr und wollte Berufsoffizier werden. Da er für den Truppendienst als untauglich eingestuft wurde, trat er in die Reserve über und wurde 1898 Beamter der niederösterreichischen Landesregierung (Rechnungsdienst).

Vaugoin trat 1898 – durch Karl Lueger (Nc EM) beeinflußt – den Christlichsozialen bei, wurde bald Bezirksparteiobmannstellvertreter für Wien-Hietzing und 1912 in den Wiener Gemeinderat gewählt. 1915 wurde er wieder in den aktiven Heeresdienst zurückgeholt und leitete 1915/16 die Einjährig-Freiwilligenschule in Wien. Von Februar bis April 1916 war er an der Isonzofront eingesetzt, ab April 1916 kommandierte er die Etappen-Trainwerkstätten Nr. 25 und 31. Als Rittmeister schied er 1918 aus dem Militärdienst.

In den Jahren 1918 bis 1921 war Vaugoin Wiener Stadtrat und leitete die Personalangelegenheiten. Am 4. Mai 1919 wurde er in den Wiener Gemeinderat gewählt. Dieser konstituierte sich am 10. November 1920 zum Wiener Landtag, dem er dann bis zum 13. November 1923 angehörte. Er kandidierte auch für den ersten Nationalrat, wurde gewählt und gehörte diesem vom 10. November 1920 bis zum 20. September 1933 an (Niederlegung).

VAUGOIN ALS HEERESMINISTER

Da Vaugoin in der Christlichsozialen Partei einer der ganz wenigen war, der etwas vom Militär verstand, wurde er am 28. April 1921 zum Bundesminister für Heerwesen berufen. Diese Funktion übte er bis zum 7. Oktober 1921 sowie dann vom 31. Mai 1922 bis zum 26. September 1929 aus. Vom 26. September 1929 bis zum 30. September 1930 war er Vizekanzler und gleichzeitig mit der Leitung des Bundesministeriums für Heerwesen betraut. Nach einem kurzen Intermezzo als Bundeskanzler (siehe unten) war er vom 4. Dezember 1930 bis zum 21. September 1933 wiederum Bundesminister für Heerwesen. Insgesamt leitet er das Heeresministerium rund elf Jahre und elf Monate. Er war der bislang am längsten amtierende Ressortchef des Heeres- bzw. Landesverteidigungsministeriums in der Geschichte der Republik Österreich und prägte dadurch maßgeblich das Bundesheer der Zwischenkriegszeit.

Vaugoin mußte zum einen ein Berufsheer nach den Bestimmungen des Vertrags von St. Germain schaffen, wobei die allgemeine wirtschaftliche wie pekuniäre Lage keine großen Spielräume ermöglichte. Zum anderen mußte die in der Umbruchszeit von 1918 entstandene Volkswehr, die von dem sozialdemokratischen Staatssekretär für das Heerwesen, Julius Deutsch, geschaffen wurde und rätedemokratische Züge aufwies, in eine republikanische Wehrverfassung überführt werden. Allerdings ging Vaugoin dabei von einer statischen Konzeption aus. Eine wirkliche Heeresreform gab es erst nach seinem Ausscheiden aus diesem Ressort.

Zweifelsohne politisierte Vaugoin das Heer in seinem, d. h. in christlichsozialem Sinn, indem er in seiner mehr als eine Dekade dauernden Amtszeit den sozialdemokratischen Einfluß zurückdrängte, wobei dies unter dem Schlagwort „Entpolitisierung“ erfolgte. Signifikantes Beispiel dafür war 1924 die Verabschiedung des späteren Bundespräsidenten, Generalmajor Theodor Körner, als Präsidialchef des Ministeriums bei gleichzeitiger Beförderung zum General.

Auch förderte Vaugoin – ganz im Sinne der nach dem Ersten Weltkrieg herrschenden Anschlußeuphorie – eine Angleichung des österreichischen Bundesheeres an die deutsche Reichswehr. Sichtbarer Ausdruck hiefür war die Uniformierung. So wurde von der traditionellen österreichischen Kragendistinktion abgegangen und eine solche auf den Schulterklappen eingeführt. Auf den Kragen gab es die Balkenepauletten, wie sie in Deutschland bis heute üblich sind. Erst 1933 wurde wieder die auf altösterreichischen Traditionen beruhende Uniformierung eingeführt, was im Sinne der damaligen Abgrenzungsstrategie gegenüber Nazi-Deutschland lag.

VAUGOIN ALS PARTEIOBMANN UND BUNDESKANZLER

Auf Vorschlag von Ignaz Seipel (Nc EM) wurde Vaugoin, der dem rechten Parteiflügel angehörte und zu den einflußreichsten Persönlichkeiten der Partei zählte, am 9. Mai 1930 zum Reichs(Bundes)parteiobmann der Christlichsozialen Partei gewählt und war damit in die Spitze der Politik aufgerückt. Seipel trat aus gesundheitlichen Gründen zurück. Das stärkte natürlich Vaugouns Stellung als Vizekanzler. Wegen eines Streites um die Führung der Bundesbahn scheiterte die Regierung unter dem Großdeutschen Johann Schober, und es war daher naheliegend, daß Bundespräsident Wilhelm Miklas (AW EM) Vaugoin als Obmann der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragte.

Vom 30. September 1930 bis zum 4. Dezember 1930 war Vaugoin daher Bundeskanzler allerdings eines Minderheitenkabinetts, dem u. a. Emmerich Czermak (NdW), Eduard Heinl (Baj EM), Richard Schmitz (Nc) und Ignaz Seipel (Nc EM) angehörten. Ebenso waren erstmals Vertreter der Heimwehren in der Regierung. Die aufgrund des Scheiterns dieser Regierung erfolgten Neuwahlen im November 1930 gingen für die Christlichsozialen schlecht aus, sie fielen auf den zweiten Platz zurück. Otto Ender (AIn) als neuer Bundeskanzler konnte die alte Koalition mit den Großdeutschen wieder herstellen. Vaugoin wurde wieder Heeresminister und blieb weiterhin Obmann der Christlichsozialen.

Im Gefolge der Ereignisse nach der sog. „Selbstausschaltung“ des Nationalrates am 4. März 1933 entwickelte sich ein autoritärer Kurs unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (F-B), der von Vaugoin anfänglich mitgetragen wurde. In diesem Zusammenhang steht auch der Antrag der Rheno-Palatia Breslau vom 8. Mai 1933, neben Dollfuß auch Vaugoin aus dem CV auszuschließen. In die Tat umgesetzt wurde das am 9. Juli 1933 von der inzwischen gleichgeschalteten CV-Führung in München.

Obwohl sich Vaugoin anfänglich den Kurs von Dollfuß unterstütze und für die Vaterländische Front warb („Hinein in die Vaterländische Front!“), wandte er sich später gegen eine Änderung der Verfassung und vor allem gegen eine Zurückdrängung der Christlichsozialen Partei. Dieser Konflikt spitzte sich im Herbst 1933 zu. Dollfuß mußte zusätzlich den Griff der Heimwehren auf das Bundesheer verhindern, so daß er Vaugoin als Heeresminister entließ und vorübergehend selber die Leitung des Ministeriums übernahm. Als Trostpflaster wurde Vaugoin am 21. September 1933 zum General der Infanterie ernannt – und trug diese Uniform, nunmehr im altösterreichischen Zuschnitt, gerne bei offiziellen Anlässen. Ebenso erhielt das niederösterreichische (St. Pölten) Infanterieregiment Nr. 5 seinen Namen.

DAS ENDE DER POLITISCHEN KARRIERE

Damit war das Ende der politischen Karriere Vaugoins eingeleitet. Zeitgleich mit dem Rücktritt als Minister legte er auch sein Mandat als Nationalratsabgeordneter zurück, was nach der „Selbstausschaltung“ des Nationalrats ohnedies nur mehr eine Formsache war. Mit 1. November 1933 ließ er sich als Obmann der Christlichsozialen beurlauben, endgültig trat er von diesem Posten dann am 26. Januar 1934 zurück. Sein kurzzeitiger Nachfolger und „Liquidator“ der Partei wurde Emmerich Czermak (NdW).

Dafür bekam Vaugoin einige lukrative Posten in der Wirtschaft. Schon im Herbst 1933 wurde er zum Präsidenten der Verwaltungskommission (vergleichbar einem Aufsichtsrat) der Österreichischen Bundesbahnen und zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates der Lebensversicherungsgesellschaft Phönix bestellt. Einen Monat später wurde er Präsident der Hirtenberger Patronenfabrik und im Dezember 1933 Vorstandsmitglied der Sprengstoffabrik Blumau. Mit 1. November 1934 wurde er zum Mitglied des Staatsrates bestellt. Dieser wählte ihn am 27. November 1934 zum Mitglied des Bundestages.

Die Versicherungsanstalt Phönix geriet 1936 in einen Skandal (sog. „Phönix-Skandal“). Die Anfänge der Phönix reichen in das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Nach dem Ersten Weltkrieg expandierte das private Unternehmen derart, daß es zu den größten Europas dieser Art zählte. Die allgemeine Wirtschaftskrise und der Zusammenbruch der Creditanstalt im Jahr 1931 setzten der Phönix jedoch gewaltig zu. Durch Bilanzfälschungen verbunden mit Bestechungen konnte das verschleiert werden. Als der Eigentümer (jüdischer Abstammung) im Februar 1936 überraschend starb, wurde die Finanzlücke in Höhe von 250 Millionen Schilling damaliger Währung bekannt, was zum Zusammenruch des Unternehmens führte. Leidtragende waren die 330.000 Versicherten der Phönix.

Der „Phönix-Skandal“ hatte auch unmittelbare politische Auswirkungen, die zu Selbstmorden und Rücktritten führten. Ebenso förderte er den Zulauf zu den Nationalsozialisten. Obwohl Vaugoin erst eineinhalb Jahre die Funktion eines Vizepräsidenten des Verwaltungsrates ausübte und an den weit vor seiner Amtszeit grundgelegten Ursachen des Skandals keinen Anteil hatte, trat er von sämtlichen Posten zurück, legte am 5. Mail 1936 sein Mandat im Staatsrat sowie im Bundestag nieder und zog sich ins Privatleben zurück.

VON 1938 BIS ZUM LEBENSENDE

Zum Zeitpunkt des Anschlusses befand sich Vaugoin in Italien. Nach seiner Rückkehr wurde er am 28. März 1938 verhaftet und war im Polizeigefangenhaus Wien inhaftiert. Im Januar 1939 wurde sein Vermögen beschlagnahmt, im März 1939 wurde sein Ruhegenuß aberkannt. Wegen eines Herzleidens wurde er am 9. August 1939 entlassen. Danach lebte er in einem Pflegeheim der Caritas in Wien-St. Veit. Im Frühjahr 1940 mußte er seinen Aufenthalt in Bayern nehmen, im September 1942 wurde er nach Thüringen (Bad Blankenburg) verwiesen. Ende 1943 konnte er wieder nach Niederösterreich zurückkehren, wo er bis zu seinem Tod lebte. Ab 1948 war er gelähmt.

Vaugoin wurde 1926 zum Ehrenmitglied der katholischen Pennalie (später MKV) Liechtenstein Wien ernannt (der Couleurname in seinen Verbindungen war Tassilo). Sein Sohn Karl Vaugoin (Nc) war der Leibfuchs vom Bundesminister Guido Schmidt (ehemals Nc). Er war seit 1928 in zweiter Ehe mit Paula Stölzle, Witwe nach dem Glasindustriellen Ludwig Stölzle, verheiratet und ist am Hietzinger Friedhof in Wien begraben. In Wien-Mauer wurde jener Teil der Anton-Krieger-Gassel, der von 1926 bis 1957 Dreiständegasse hieß, im Jahr 1934 in Carl-Vaugoin-Gasse umbenannt (und 1938 wieder rückbenannt), obwohl Vaugoin noch lebte.

Werke:

Der Aufstieg einer Armee (1931).
Hinein in die Vaterländische Front! Ist Österreich wert, erhalten zu werden? (1933).

Quellen und Literatur:

Jedlicka, Ludwig (Aa EM): Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918–1938. Wien 1955 (passim).
Staudinger, Anton: Bemühungen Carl Vaugoins um Suprematie der christlichsozialen Partei in Österreich (1930–1933). Wien phil. Diss. 1969.
Reichhold, Ludwig: Carl Vaugoin. Die Krise der österreichischen Demokratie (= Reihe Kurzbiographien des Karl von Vogelsang-Instituts). Wien 1990.
Enderle-Burcel, Gertrude: Christlich–ständisch–autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates, des Bundeskulturrates, des Bundeswirtschaftsrates sowie des Bundestages. Unter Mitarbeit von Johannes Kraus. Hg. vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und der Österreichischen Gesellschaft für Quellenstudien. Wien 1991, S. 252f.
Goldinger, Walter–Binder, Dieter A.: Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Wien 1992 (passim).
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, bes. S. 378ff.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 371f.