Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG, KRIEG UND WIDERSTAND
Daim wurde als Sohn eines christlichsozial eingestellten Färberei-Arbeiters geboren und wuchs in Wien-Hernals auf. Nach dem Besuch der Volksschule bei den Schulbrüdern in Wien-Währing (Schopenhauerstraße) kam er 1933 in das Internat der Schulbrüder in Wien-Strebersdorf, wo er das Realgymnasium besuchte. Allerdings verließ er dieses nach der vierten Klasse wegen mangelnden Erfolgs und ging daraufhin auf eine zweijährige Handelsschule. Danach besuchte er von 1940 bis 1942 eine Maturaschule in der Habsburgergasse und legte die Externistenmatura ab.
Aktiv war Daim in der Pfarrjugend seiner Heimatgemeinde Hernals (St. Bartholomäus,Kalvarienberg) tätig, wo er von dem dort tätigen Kaplan Josef Weinand (RBo), einem gebürtigen Koblenzer, stark geprägt wurde. Daim nahm auch an der legendären Kundgebung der Katholischen Jugend am 7. Oktober 1938 im Wiener Stephansdom mit Theodor Kardinal Innitzer (NdW) teil. In dieser Pfarrjugend bekam Daim Kontakt mit dem späteren Priester Karl Strobl (Rd), der bereits der Widerstandsgruppe „Eisen“ angehörte. Diese Gruppe bildete sich bereits im Frühjahr 1938 aus Mitgliedern des „Österreichischen Jungvolkes“, des Studentenfreikorps, des Katholischen Jungvolkes u. a. Sie verstreute Flugzettel und zerstörte Schaukästen des „Stürmers“. Die Gestapo verhaftete bereits am 9. Juli 1938 einige Aktivisten. Endgültig flog diese Gruppe am 7./8. Februar 1940 auf. Zur Gruppe „Eisen“ gehörten neben Strobl u. a. auch der spätere Bischof Alfred Kostelecky (Rd), der spätere VOP Helmut Gnambs (Rd) und Hubert Jurasek (Rd).
Daim beteiligte sich Anfang 1940 an Widerstandsaktionen (Flugzettelverteilung). Im Zuge dessen wurde er Anfang April 1940 zur Gestapo vorgeladen. Die dort herrschende „Euphorie“ aufgrund des gerade erfolgreich verlaufenden Norwegen-Feldzuges bewahrte ihn vor „negativen“ Konsequenzen. An seinem 19. Geburtstag (21. Juli 1942) wurde Daim zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Bei der Vereidigung hob er zwar die Hand, sprach jedoch nicht die Eidesformel mit, was aber nicht weiter auffiel. Nach der Ausbildung kam er im Herbst 1942 als Panzerjäger an die Ostfront, wo er insgesamt dreimal verwundet wurde. Am Karsamstag, dem 31. März 1945, wurde er bei Kattowitz zum dritten Mal am rechten Oberschenkel verwundet. Durch eine unglückselige bzw. nicht sachgerechte Behandlung mußte der Unterschenkel amputiert werden. Mit einem Lazarettzug gelangte er über Böhmen nach Preßburg und von dort in das bereits umkämpfte Wien, wo er sich nach Hause absetzen konnte.
STUDIUM, BERUFLICHE LAUFBAHN UND PUBLIZISTISCHE TÄTIGKEIT
Nach gesundheitlicher Wiederherstellung begann Daim das Studium der Psychologie und Anthropologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien (Dr. phil. 1948), wo er der Rudolfina beitrat (Couleurname Plato) und Consenior war. Als die Rudolfina für das Studienjahr 1948/49 zum Vorort gewählt wurde, übernahm Daim das Amt des 1. Vorortsbeisitzers. Als Thema für seine Doktorarbeit mußte er die Frage bearbeiten, wie man sich Telefonnummern optimal merken kann.
Nach seinem Studium baute Daim als Freiberufler eine psychologisch-psychoanalytische Praxis auf und erstellte für die Personalabteilungen österreichischer wie ausländischer Firmen graphologische Gutachten zu Bewerbern. Daneben hielt er Vorträge und veröffentlichte verschiedene Beiträge sowie bald zwei grundlegende tiefenpsychologische Bücher. Die Tiefenpsychologie wurde für ihn ein wichtiger Forschungsschwerpunkt. In dieser Zeit beschäftigte er sich auch mit Parapsychologie und experimentierte sogar damit. 1956 gründete er das Institut für politische Psychologie, das jedoch ein Ein-Mann-Betrieb blieb. Hierbei verfaßte er parteistrategische Konzepte, von denen die ÖVP teilweise Gebrauch machte. Von 1963 bis 1966 war er Mitarbeiter am Wiener Ford-Institut, nunmehr Institut für Höhere Studien.
Daim veröffentlichte zahlreiche Monographien, wie die nachstehende unvollständige Aufzählung dokumentiert. Diese befassen sich nicht nur mit seinem eigenen Fachgebiet der Psychologie, sondern gehen weit darüber hinaus. Besonders wird das deutlich bei seiner Studie „Der Mann, der Hitler seine Ideen gab“, die im Rahmen seines Schwerpunkts der politischen Psychologie entstand. Hier beschäftigt sich Daim mit Adolf Lanz, genannt Jörg Lanz von Liebenfels, einem ehemaligen Mönch des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz, der mit seiner Zeitschrift „Ostara“ und sonstigen Schriften den jungen Hitler in Wien hinsichtlich seiner rassenideologischen Vorstellungen wesentlich beeinflußt hat. Daim konnte diesen für seine Forschungen noch befragen.
Daims Untersuchung stellt einen bis heute wesentlichen Baustein der Forschung zu Hitlers jungen Jahren vor allem in Wien dar, an die keine seriöse Hitlerbiographie vorbeikommt (etwa Joachim Fest oder Ian Kershaw, von Brigitte Hamann jedoch etwas heruntergespielt). Seine Darstellung war grundlegend für das Verständnis der nationalsozialistischen Rassenideologie und ihrer Bedeutung als geistige Wurzel der Judenvernichtung. Für den CV bedeutsam war sein Nachweis, daß der im CV sehr bekannte Heiligenkreuzer Zisterzienser und Alttestamentler Nivard Schlögl (Nc) keinen Einfluß auf Adolf Lanz gehabt hatte.
In den siebziger Jahren entwickelte sich Daim auch als Kenner und Förderer von moderner Kunst, vor allem der Zwischenkriegszeit, und gilt als Entdecker der bislang unbekannten Maler Franz Probst (1903–1980) und Otto Rudolf Schatz (1900–1961). Er war aber nicht nur Sammler, sondern betätigte sich auch als erfolgreicher Kunsthändler, was dann zu einem nicht unerheblichen Teil seines Einkommens werden sollte.
DAIM ALS LINKSKATHOLIK
Daim kam bereits in seiner Aktivenzeit im CV mit dem Soziologen August M. Knoll (NbW) in Kontakt, der ihn dann nachhaltig prägen sollte. Zusammen mit ihm und mit Friedrich Heer (ehemals Baj) gab er 1963 das Buch „Kirche und Zukunft“ heraus, das innerkirchlich großes Aufsehen erregte und zu Diskussionen sowie zu Widersprüchen führte. Es wurde zu Beginn des II. Vatikanischen Konzil zu einem Zeitpunkt verfaßt und veröffentlicht, wo man noch nicht wußte, welche Ergebnisse dieses Konzil haben und wohin der künftige Weg der Kirche führen werde.
In seinem dortigen Beitrag „Rückkehr zur Brüderlichkeit“ stellte Daim 29 Forderungen auf, die zwar damals auf großes Unverständnis bzw. sogar auf große Ablehnung stießen – der Wiener Erzbischof Franz Kardinal König (Rd EM) warnte im Zusammenhang mit diesem Buch vor „falschen Propheten, die die Kirche ans Kreuz schlagen“ – , jedoch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten sukzessive (bis unter Papst Franziskus) und größtenteils verwirklicht wurden, so daß man diese Punkte laufend abhaken konnte. Unter diesen befanden sich z. B. die Forderungen nach Einführung der Volkssprache in der Liturgie sowie die Abschaffung der Papstkrone Tiara und des Index der verbotenen Bücher.
Daim gehörte damit zur Gruppe der prononcierten Linkskatholiken im ÖCV. Sie hatte ihren Ausgangspunkt in Ernst Karl Winter (NbW), der vor 1938 als Urheber dieser Denkrichtung gilt („Rechts stehen und links denken“). Diese Gruppe, der auch Knoll und Heer angehörten, hatte es in den sechziger und siebziger Jahren im ÖCV nicht immer leicht, wie der Ausschluß von Heer aus seiner Verbindung zeigt. Sie wurden mehrheitlich abgelehnt und teilweise sogar diffamiert. Der Lauf der Kirchengeschichte hat aber Daim, zumindest was die Forderungen in seinem Buch „Kirche und Zukunft“ betrifft, recht gegeben. Das trifft auch auf den Beitrag von Knoll in diesem Buch zu, der sich kritisch mit der Katholischen Aktion (KA) auseinandergesetzt hatte.
Als Folge seiner linkskatholischen Ausrichtung verschrieb sich Daim ab Ende der sechziger Jahre der Friedensbewegung und plädierte für die Abschaffung des Bundesheeres. Trotz alledem muß aber festgehalten werden, daß sich die Ansichten dieser linkskatholischen Gruppe innerhalb des Wahlspruches des ÖCV („in dubiis libertas“) bewegt hatten. Daim war, wie sein Biograph Peter Diem (Rd) feststellt, ein fruchtbarer Querdenker, jedoch kein Querulant. Er war ein aufrechter Gegner des Nationalsozialismus, ein bekennender Reformkatholik sowie vor allem ein origineller Denker und Zwischenrufer, ein Intellektueller im besten Sinn des Wortes.
Daim ehelichte die Tochter von Hans Karger (Aa), mit der er drei Kinder hatte, und war auch Mitglied der Katholischen Landsmannschaften Leopoldina und Maximiliana. Er starb nach längerem Leiden an den Folgen eines Schlaganfalls und wurde auf dem Ottakringer Friedhof begraben.
Werke:
(Auswahl)Experimente mit der Seele (1949).
Handschrift und Existenz (1950).
Umwertung der Psychoanalyse (1951).
Tiefenpsychologie und Erlösung (1954).
Der Mann, der Hitler die Ideen gab (1958, Neuauflage 1985 und 1994).
Die kastenlose Gesellschaft (1960).
Zur Strategie des Friedens (1962)
Kirche und Zukunft (mit Friedrich Heer und August M. Knoll). (1963).
Linkskatholizismus (1965).
Progressiver Katholizismus, zwei Bände (1967).
Christentum und Revolution (1967).
Der Vatikan und der Osten (1967).
Die Chinesen in Europa (1973).
Meine Kunstabenteuer (1997).
Als Christ im mörderischen Krieg (2011).
Quellen und Literatur:
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 451, 544, 660 Anm. 46 und 727.
Diem, Peter (Rd): Wilfried Daim. Querdenker zwischen Rot und Schwarz. Wien 2011.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Farbe Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 47f.
https://austria-forum.org/af/Biographien/Daim%2C_Wilfried(abgerufen am 07.07.2022)