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Gen.-Dir. Präs. Dkfm. Dr. Claus J. Raidl

Gen.-Dir. Präs. Dkfm. Dr. Claus J. Raidl

Urverbindung: Bajuvaria (15.06.1963)

Geboren: 06.11.1942, Kapfenberg (Bezirk Bruck/Mur, nunmehr Bruck/Mur-Mürzzuschlag, Steiermark)
Gestorben: 10.12.2024, Wien
Vorortspräsident, ÖCV-Amtsträger (Hochschulpolitik), Präsident (Generalrat Österreichische Nationalbank), Generaldirektor (Böhler- Uddeholm AG)

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Claus Josef Raidl, so sein voller Name, wurde als Sohn eines späteren Direktors eines Böhler Stahlwerkes (in Waidhofen/Ybbs, Niederösterreich) geboren. 1957 zog die Familie dorthin, wo dann Raidl die Realschule besuchte und bei der MKV-Verbindung Norika aktiv wurde, deren Senior er auch war. 1959/60 war er mittels des Schüleraustauschprogramms „American Field Service“ (AFS) an der Duxbury High School (Massachusetts, USA). Zurückgekehrt legte er 1961 in Waidhofen/Ybbs die Matura ab.

Anschließend begann Raidl das Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien, nunmehr Wirtschaftsuniversität (Dkfm. 1966; Dr. rer. comm. 1971), wo er der Bajuvaria beitrat (Couleurname Roland). Er engagierte sich auch bei der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) und war 1966/67 Vorsitzender des Hauptausschusses an Hochschule für Welthandel. In dieser Zeit waren gleichzeitig Hermann Kert (Baj) Vorsitzender des Zentralausschusses der ÖH und Viktor Liberda (Baj) Vorsitzender des Hauptausschusses der ÖH an der Technischen Hochschule Wien. Daß drei Angehörige derselben Verbindung, in diesem Fall der Bajuvaria, Vorsitzende des Zentralausschusses und zweier Hauptausschüsse waren, ist in der Geschichte des ÖCV einmalig.

Zwecks Abfassung einer Dissertation war Raidl 1970/71 Assistent am Institut für angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung. Dieses stand damals unter der Leitung von Karl Wenger (Kb), Professor für Wirtschaftsverwaltungsrecht an der Universität Wien. Raidl verfaßte dort eine Doktorarbeit über die Mehrwertsteuer. Dieses Thema war damals aktuell, weil in Österreich 1972 die Mehrwertsteuer eingeführt wurde. Nebenher engagierte er sich auch im ÖAAB für die Wirtschaftspolitik, insbesondere als im Mai 1971 Alois Mock (Nc) dessen Bundesobmann wurde.

BERUFLICHE LAUFBAHN

Von 1971 bis 1974 war Raidl bei einer Bank und bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie Konsulent der OECD zu Fragen des internationalen Steuerwesens, 1974 wurde er Prokurist bei der Österreichischen Volksfürsorge Allgemeine Versicherung AG. Diese war ein gewerkschaftseigenes Unternehmen, dessen leitende Funktionen politisch besetzt wurden. Deshalb stand dem ÖAAB bzw. der Fraktion Christlicher Gewerkschafter auch eine entsprechende Position zu.

1981 wurde Raidl Vorstandsmitglied der Wiener Holding GmbH. Diese war die Konzernzentrale der im Eigentum der Gemeinde Wien befindlichen Wirtschaftsbetriebe. Durch diese Funktion eingeübt, wurde er bereits 1982 Vorstandsmitglied der Österreichischen Industrieholdung AG (ÖIAG). Diese war die Konzernzentrale der Verstaatlichten Industrie Österreichs. 1986 wechselte er als stellvertretender Vorstandsvorsitzender in deren Tochtergesellschaft VOEST-ALPINE AG, was er bis 1992 blieb.

Dieser Wechsel erfolgte in einer für die VOEST sowie für deren Tochterfirma Noricum Liezen brisanten Zeit. 1985 lieferte Noricum, teilweise mit dem Umweg Libyen, zusammen über 300 Geschütze des Typs GHN (Gun Howitzer Noricum) an den Irak und an den Iran, die damals im Ersten Golfkrieg gegenüberstanden. Da diese Geschütze eine Schußweite von 40 km aufwiesen, verstießen sie gegen den Österreichischen Staatsvertrag Art. 13, Z. 1, lit. i. Denn nach dieser Bestimmung durfte Österreich nur Geschütze mit einer Schußweite bis 30 km besitzen bzw. herstellen. Es kam daher 1990 zu einem Prozeß wegen Verstoßes des Kriegswaffengesetzes und der Neutralitätsgefährdung gegen Manager jener verstaatlichten Unternehmungen, die an dieser Lieferung beteiligt waren. Darunter befand sich auch Raidl, obwohl er erst dann zur VOEST gestoßen ist, als diese Geschäfte schon längst abgewickelt waren. 1991 wurden 14 Urteile gefällt, auch Raidl wurde verurteilt. Es kam zu einem Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof, bei dem sieben Urteile aufgehoben wurden, darunter auch jenes von Raidl. 1990 wurden im Einvernehmen mit den vier Signatarmächten die militärischen Bestimmungen des Staatsvertrags für obsolet erklärt.

Der Prozeß hatte keinen nennenswerten Einfluß auf die weitere berufliche Karriere Raidls. Im Gegenteil, die VOEST-Unternehmensgruppe mußte von Grund auf reorganisiert und restrukturiert werden. Es war auch Raidls Leistung, daß die Gesundung dieses zentralen Konzerns der österreichischen Wirtschaft in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum bewältigt werden konnte. 1991 wurde er zum Vorstandvorsitzenden (Generaldirektor) des neu formierten Edelstahlkonzerns Böhler-Uddeholm AG bestellt, der aus der bisherigen Böhler AG hervorgegangen ist. Diese Funktion bekleidete er bis 2010. Zusätzlich war er noch 1993/94 Vorstandsmitglied der Austrian Industries, eines kurzzeitigen Tochter-Konzerns der ÖIAG, und 2007 bis 2010 Mitglied des Vorstands der voestalpine AG, in die inzwischen die Böhler-Uddeholm AG aufgegangen ist. In all diesen Positionen hatte er großen Anteil an der Entstaatlichung und Entpolitisierung der Verstaatlichten Industrie Österreichs.

2008 wurde Raidl von der österreichischen Bunderegierung zum Präsidenten des Generalrats der Österreichischen Nationalbank ernannt. Bei einer Novelle des Nationalbankgesetzes im Jahr 1998 im Hinblick auf die anstehende Einführung des Euro ging die bisherige oberste Exekutivfunktion der Nationalbank, nämlich der Präsident, auf den neu geschaffenen Gouverneur über. Der nunmehrige Präsident des Generalrats entspricht ab da ungefähr dem Präsidenten eines Aufsichtsrates. Raidl übernahm diese Funktion gerade zum kritischen Zeitpunkt einer internationalen Finanzkrise.

Darüber hinaus bekleidete Raidl weitere zusätzliche Funktionen. So war er von 2001 bis 2006 Vorsitzender des Fachhochschulbeirates und von seiner Gründung an Vorsitzender des Kuratoriums des Institute of Science and Technology Austria (I. S. T.). Außerdem war er seit 2012 auch Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach. Er gehörte zahlreichen Aufsichtsräten an, u. a. bei der Wienerberger AG, der Wiener Börse, der Donau Versicherung und der Flughafen Wien GmbH. Und er war seit 2011 als Nachfolger von Ludwig Steiner (AIn) Vizepräsident des Stiftungsrates und des Vereins Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), welche Funktion er bis kurz vor seinem Tod ausübte.

1993 beauftragte Bundespräsident Thomas Klestil (Baj) die Gründung eines „Sozialfonds des Herrn Bundespräsidenten“ (später „Sozialwerk“) als Verein, dessen Organisierung seitens der Präsidentschaftskanzle Heinz Hafner (Am) vornahm. Zweck des Vereins ist die Bereitstellung von Mitteln bei Hilfeansuchen an den Bundespräsidenten. Mitglieder des Vereins sind vor allem Banken und Versicherungen. Das wichtigste Mitglied ist die Nationalbank, dessen Vertreter den ersten Vizepräsidenten stellt (Präsident ist immer der Kabinettsdirektor). Als Raidl zum Präsidenten des Generalrats der Nationalbank ernannt wurde, ist er von dieser in dieses „Sozialwerk“ entsandt worden und übernahm die Funktion des ersten Vizepräsidenten. Er blieb nach seinem Ausscheiden aus der Nationalbank weiterhin deren Vertreter und war daher bis zu seinem Tod Vizepräsident dieses Sozialwerks.

Raidl hatte auch als wirtschaftspolitischer Experte und Berater in der ÖVP großen Einfluß, obwohl er nie eine politische Funktion ausgeübt hatte. Diese Funktion begann im ÖAAB unter dessen Obmann Alois Mock (Nc), dem er zeitlebens verbunden blieb. Vor allem war er Berater von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Daher kam es, daß er immer wieder als Minister genannt wurde. Sein diesbezüglicher Einfluß in der ÖVP kann nicht unterschätzt werden.

RAIDL UND DER ÖCV

Obwohl Raidl wegen seines ÖH-Engagements keine Funktion in seiner Verbindung ausgeübt hatte, wurde er zum Vorortspräsidenten (VOP) nominiert, als die Bajuvaria für das Studienjahr 1968/69 für den Vorort kandidiert hatte und im Mai 1968 auf der Cartellversammlung in Wiener Neustadt gewählt wurde. Sein unmittelbarer Vorgänger war Roderich Regler (Am). Einer der Hauptgründe war Raidls hochschulpolitische Erfahrung, denn seit Herbst 1967 begannen Überlegungen, die bisherige Studentenpartei Wahlblock, dessen Mitglieder die Verbände, darunter der ÖCV, waren, in eine Einzelmitgliederpartei umzuwandeln, was dann mit der Österreichischen Studentenunion (ÖSU) geschah.

Das Vorortsjahr 1968/69 war aus verschiedenen Gründen herausfordernd. Neben der genannten Gründung der ÖSU waren es vor allem die europaweit auftretenden spezifischen Phänomene des „Jahres 1968“. Zum einen auf den Universitäten, wo im Mai die Unruhen in Paris begannen, zum anderen mit dem sog. „Eurokommunismus“, als es am 21. August zur Besetzung der Tschechoslowakei und zum Ende des „Prager Frühlings“ kam. Bei dieser Gelegenheit war der Vorort bei der Organisation einer Demonstration in Wien involviert. Für den ÖCV als katholischen Verband war dann auch der Umstand relevant, daß kurz zuvor (25. Juli) Papst Paul VI. die Enzyklika „Humanae vitae“ („Pillen-Enzyklika“) veröffentlicht hatte, mit der der künstlichen Geburtenregelung eine Absage erteilt wurde. Das war eine große Enttäuschung für engagierte Katholiken, auch im ÖCV. Im September veröffentlichte Heinrich Drimmel (NdW) in der „Furche“ einen Beitrag mit dem Titel „Rutscht der CV nach links ab“. Raidl antwortete mit „Nicht die Wache von gestern“. Ebenso replizierte darauf Kurt Vorhofer (Nc) in der „Kleinen Zeitung“.

Im Herbst wurde versucht, auch in Wien die „Studentenrevolte“ zu praktizieren. Dabei sollte die Rektoratsinauguration auf der Universität Wien gestört werden. Mit Hilfe des WCV unter dem WCV-Senior Gerhard Erich Ortner (Merc) gelang es, das zu verhindern. Kurz danach gab es ein vom CV organisiertes Hearing im Hörsaal I des Neuen Institutsgebäudes, bei dem Raidl sich der Diskussion mit Linken stellte. Am 11. November veranstaltete der Vorort einen Republikkommers in Erinnerung an den 50. Jahrestag der Republikgründung.

Ende Januar 1969 fanden die ÖH-Wahlen statt, bei der erstmals die ÖSU kandidierte. Damals war der Hauptgegner der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), der sich bei der letzten Wahl 1967 steigern konnte und seit Jahren auf dem zweiten Platz lag. Die ÖSU konnte gegenüber den Wahlblock 1967 etwas zulegen, und der RFS stagnierte. Im europäischen Vergleich war es gerade sensationell, daß die linken Gruppierungen erfolglos blieben. Somit war der Transformationsprozeß vom Wahlblock zur ÖSU erstmals ein Erfolg. Dazu haben nicht nur die aus dem ÖCV stammenden ÖH-Funktionäre, sondern auch der ÖCV mit seinen Amtsträgern entscheidend beigetragen.

Raidl und der Vorort Bajuvaria haben auch Reformen im ÖCV angestoßen, die in der Folge beim Vorort in Richtung eines Präsidialprinzips ging. Diese Vorschläge wurden dann in den beiden folgenden Vororten umgesetzt. Auf der Cartellversammlung 1969 in Krems war es revolutionär, daß erst- und einmal im ÖCV auf einen Kommers verzichtet wurde. Stattdessen gab es ein Abendessen, daß vom niederösterreichischen Landeshauptmann Andreas Maurer gegeben wurde.

Das Vorortsteam bestand neben Raidl noch aus folgenden Bajuvaren: Norbert Vana (Baj) als 1. Vorortsbeisitzer, er wurde später Vorsitzender des ÖCV-Altherrenländerrates und Präsident des Europäischen Kartellverbandes; Herbert Hönigsmann (Baj) 2. Vorortsbeisitzer, er wurde im nachfolgenden Vorort Mercuria unter VOP Gerhard Erich Ortner (Merc) 1. Vorortsbeisitzer, wodurch die Kontinuität gewahrt werden sollte; Gerhard Hartmann (Baj) als 1. Vorortschriftführer, er war später der dritte Leiter der ÖCV-Bildungsakademie; Karl Barborka (Baj) als 2. Vorortschriftführer sowie als Beisitzer Peter Weninger (Baj) und Hannspeter Winter (Baj).

Raidl wurde auf der Cartellversammlung 1969 als Nachfolger von Helmuth Schattovits (Am) zum Leiter des Amtes für Hochschulpolitik gewählt. Er gestaltete somit die hochschulpolitische Ausrichtung des ÖCV weiter und half beim weiteren Gestehungsprozeß der ÖSU. Er legte jedoch diese Funktion nach einem Jahr zurück, weil er an seiner Dissertation arbeitete. Sein Nachfolger in diesem Amt wurde Sepp-Gottfried Bieler (Rt-D), der von 1967 bis 1969 Vorsitzender des Zentralausschusses der ÖH war.

Raidl pflegte eine offene sowie direkte Kommunikation und hielt seine Meinung nicht zurück, ohne dabei seinen Humor zu vergessen. Als Interviewpartner und als Vortragender, auch im ÖCV, war er gefragt. Sein Cousin war Leopold Wallner (Dan), der Generaldirektor der Casino Austria AG. Er starb nach längerer Krankheit am Dienstag einer Woche, in der zwei weitere bedeutende österreichische Wirtschaftspolitiker verstorben sind: Am Mittwoch der ehemalige SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch und am Samstag der ehemalige ÖVP-Bundesparteiobmann und bedeutende Unternehmer Josef Taus (Baj). Eine mehr als anmerkenswerte Abfolge von drei Todesfällen.

Der ebenfalls bekannte Unternehmer Michael Tojner (Baj) schrieb über sie am 19. Dezember 2024 in der „Kronenzeitung“: „Die Bereitschaft, sich immer wieder einzubringen und mitzugestalten, zeichnete die großen Persönlichkeiten Josef Taus, Claus Raidl und Hannes Androsch aus. Sie nutzten ihre internationale Offenheit, intellektuelle Kraft und Kreativität, um über parteipolitische Interessen hinaus unsere Heimat voranzubringen.“.



Werke:

Mehrwertsteuer und Preisniveau (1971).

Quellen und Literatur:

Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Kabinettsdirektor i. R. Heinz Hafner Am, Mitteilung 11. 12. 2024).
Verbindungsarchiv Bajuvaria.
Hartmann, Gerhard: Für Volk und Glauben. Hundert Jahre Bajuvaria 1920 bis 2020. Unter Mitarbeit von Herbert Markwitz. Wien 1920, 225, 257, 269–297, 323, 406, 474, 508, 517, 545f., 734f., 741 und 758.
Hartmann, Gerhard: Treu zu Gott und Vaterland. Die Geschichte des CV in Österreich. Wien–Kevelaer 2023, 793, 876, 880, 884, 907 und 933.