Lebenslauf:
DIE JAHRE BIS 1945
Steiner wurde als Sohn des Bäckermeisters und Innsbrucker christlichsozialen Gemeinderates (1924–1933) Ludwig Steiner geboren. Dieser wurde 1939 verhaftet, ins KZ Sachsenhausen verbracht und ein Jahr später entlassen. Im August 1941 starb er an den Folgen der Haft.
Steiner besuchte in Innsbruck die Volksschule und die Handelsakademie. Während dieser Zeit wurde er wegen seines Vaters viermal von der Gestapo zum Verhör geholt. Nach der Absolvierung der Handelsakademie im April 1941 wurde er zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen und war in der Nähe von Hildesheim sowie in Frankreich (Cognac) im Einsatz. Im Oktober desselben Jahres wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen (Gebirgsjäger-Ersatzbataillon 136 Innsbruck). Offizier konnte er vorerst nicht werden, weil seine „außerdienstliche Eignung nicht gegeben ist“. Im August 1943 wurde er an der Sapadnaja Liza, der Eismeerfront, 34 km vor Murmansk schwer verwundet.
Steiner kam zurück nach Innsbruck und war nach seiner Genesung als nunmehriger Leutnant Bataillonsadjutant beim Gebirgsjägerersatzbataillon 136. Hier begann er mit dem Aufbau von Widerstandsgruppen (Gruppe O5) innerhalb der Innsbrucker Garnison, an denen auch sein Bataillonskommandeur mitmachte. Steiner war auch an der Ausarbeitung eines Luftlandeplans für die Amerikaner beteiligt. Im Dezember 1943 begann er auch mit dem Studium der Volkswirtschaft an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck (Dipl.-Vw. 1947, Dr. rer. soc. oec. 1948). Diesen Studienzweig Volkswirtschaft gab es damals nur in Innsbruck
Im April 1945 kehrte Karl Gruber (AW) (alias „Dr. Brand“) von Berlin nach Innsbruck zurück und wurde der politische Kopf der Innsbrucker Widerstandsbewegung. Er forderte, daß Innsbruck vor Eintreffen der Alliierten von den Nazis befreit werden müsse. Dies geschah nun am 2. Mai. Die Spitzen von Wehrmacht und NSDAP wurden auf der Hungerburg gefangengenommen und das Landhaus erobert. Steiner nahm im Auftrag Grubers Kontakt mit den heranrückenden US-Truppen (103. Infanteriedivision) auf und war an der Befreiung Innsbrucks maßgeblich beteiligt. Am Abend des 3. Mai konnten diese in Innsbruck einmarschieren, wo bereits die rotweißroten Fahnen gehißt waren. Nach Aussagen Steiners wollte man damals auch eine Südtiroler Schützenkompanie für diese Aktion gewinnen.
STUDIUM UND SPITZENDIPLOMAT
Unmittelbar nach Kriegsende war Steiner zuerst Sekretär des provisorischen Landeshauptmanns von Tirol, Karl Gruber, und dann von 1946 bis 1948 des Innsbrucker Bürgermeisters Anton Melzer; auch war er Mitbegründer der Tiroler ÖVP. Ebenso setzte er im Herbst 1945 sein Studium an der Innsbrucker Universität fort und trat der Austria bei (Couleurname Lugg).
Nach Beendigung seines Studiums trat Steiner 1948 in Wien in den diplomatischen Dienst. Von 1949 bis 1951 war er als Legationssekretär der Österreichischen Gesandtschaft in Paris zugeteilt und 1951/1952 Leiter der Außenstelle Innsbruck des Bundeskanzleramtes-Auswärtige Angelegenheiten. 1952/53 war er Sekretär von Außenminister Karl Gruber in der Endphase von dessen Ministeramt. In dieser Phase war er auch mit der Südtirolfrage befaßt.
Danach war Steiner in einer der entscheidenden historischen Phasen der Zweiten Republik, nämlich von 1953 bis 1958, Sekretär bzw. Kabinettschef von Bundeskanzler Julius Raab (Nc). In dieser Eigenschaft war er im April 1955 Mitglied der österreichischen Delegation in Moskau und aktiv in der letzten Phase der Staatsvertragsverhandlungen beteiligt. So diktierte Raab seinem Sekretär Steiner am 14. April in Moskau, was er telefonisch nach Wien durchgeben sollte. Steiner notierte sich das auf einem Notizzettel, wo an der Spitze stand „Österreich wird frei!“.
Danach war Steiner von 1958 bis 1961 Geschäftsträger der Österreichischen Gesandtschaft in Sofia. Nach dem Rücktritt Raabs als Bundeskanzler zugunsten von Alfons Gorbach (Cl) wurde Steiner in dessen Regierung am 11. April 1961 zum Staatssekretär im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten unter Außenminister Bruno Kreisky ernannt. In dieser Regierung galt er als „Mann“ von Julius Raab. Anmerkenswert ist, daß Steiner von der innerparteilichen Konkurrenzsituation zwischen Karl Gruber und Julius Raab nicht tangiert wurde.
Nach dem Ausscheiden Steiners als Staatssekretär am 2. April 1964 war er bis 1972 Österreichischer Botschafter in Athen (in Zypern mitakkreditiert). In diese Zeit fielen 1967 der sog. Obristen-Putsch und der gescheiterte Gegenputsch von König Konstantin II., was auch besondere Probleme für die diplomatischen Vertretungen mit sich brachte. Steiner half damals politisch Verfolgten und deren Angehörigen. Dies tat auch der der damalige Deutsche Botschafter in Athen, Peter Limbourg (RBo). Allerdings wurde dieser dann im Gegensatz zu Steiner wegen Kontakte zur Opposition zur „persona non grata“ erklärt. Steiner und Limbourg verband auch der Umstand, daß sie beide 1955 in Moskau waren, nämlich Limbourg mit Bundeskanzler Konrad Adenauer im September. Steiners Nachfolger in Athen wurde Simon Koller (Cl).
1972 kehrte Steiner nach Wien zurück und war unter den Außenministern Rudolf Kirchschläger und Willibald Pahr stellvertretender Generalsekretär des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und Politischer Direktor mit dem Dienstrang eines ao. und bev. Botschafters (IX. Dienstklasse). In dieser Eigenschaft war er auch Vorsitzender der Großen Gemischten Kommissionen Österreichs mit allen kommunistischen Staaten in Ost- und Mitteleuropa.
IN DER AKTIVEN POLITIK
Der damalige Bundesparteiobmann Josef Taus (Baj) konnte Steiner bewegen, für die Nationalratswahlen 1979 zu kandidieren, um mit ihm einen profilierten Außenpolitiker zu haben. Steiner wurde gewählt und gehörte dem Nationalrat vom 5. Juni 1979 bis zum 4. November 1990 an. Dort war er dann der außenpolitische Sprecher der ÖVP unter dem nunmehrigen Obmann Alois Mock (Nc). Als solcher setzte er sich auch besonders um die Belange Südtirols ein. Anfänglich war er wegen der von ihm hochgeschätzten Neutralität Österreichs bezüglich eines EWG- bzw. EU-Beitritts zurückhaltend, weil er u. a. das Veto der Sowjetunion befürchtete. Bekannt wurde er auch als Vorsitzender dreier parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu den Affären Lucona sowie Noricum und zum Ankauf der Saab-Draken-Düsenjäger.
Von 1979 bis 1991 war Steiner auch Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVE) sowie Vizepräsident der Union der Christdemokraten. Von 1980 bis 1991 war er Vorsitzender der Politischen Kommission der PVE und dabei auch Berichterstatter bezüglich der Militärdiktatur in der Türkei. Von 1991 bis 1996 war er Landesobmann-Stellvertreter der ÖVP Tirol.
Steiner, der erst relativ spät, nämlich mit 57 Jahren, in den Nationalrat gewählt wurde, war auch nach seinem Ausscheiden aktiv. So war er von 1989 bis 1996 Präsident der Politischen Akademie der ÖVP. Am 20. Dezember 2000 wurde er zum Vorsitzenden des Komitees des „Österreichischen Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit“ (ÖVF) zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter bestellt, welche Funktion er bis 2005 ausübte. Auch war er in dieser Zeit Mitglied des Verwaltungsrates der Europäischen Beobachtungsstelle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Von 1994 bis 2011 war er auch Vizepräsident des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) und von 1995 bis 2010 Mitglied des Kuratoriums beim „Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus“ sowie dem „Allgemeinen Entschädigungsfonds“.
Steiner wurde im zunehmenden Alter zu einer Art „elder statesman“, der oft und gerne als „Zeitzeuge“ besonders für die Jahre 1945 und 1955 befragt wurde. Er war zweifelsohne einer der profiliertesten österreichischen (Außen-)Politiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1994 erhielt er den Ehrenring der Austria Innsbruck. Aufgrund seiner bereits geschwächten Gesundheit hielt er die Festrede beim Kommers anläßlich des 150. Stiftungsfestes der Austria mittels einer Videoeinspielung. Er starb nach kurzer, schwerer Krankheit und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben.
Werke:
Diplomatie–Politik. Ein Leben für die Einheit Tirols. Ein Leben für Österreich (2008).Quellen und Literatur:
Zeugen des Widerstandes. Eine Dokumentation über die Opfer des Nationalsozialismus in Nord-, Ost- und Südtirol von 1938 bis 1945. Innsbruck 1977, S. 95.Biographisches Handbuch der österreichischen Parlamentarier 1918–1993. Hg. von der Parlamentsdirektion. Wien 1993, S. 567.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 456, 568 (hier ist der Notizzettel vom 15. 4. 1955 in Faksimile abgedruckt) und 575.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Farbe Verfolgung. Hg. von Herbert Fritz und Peter Krause (Rt-D). Wien 2. wesentlich verb. Aufl. 2013, S. 537f.
http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Biographien/Steiner,_Ludwig (Abruf 29.ö. 2015).
Email von Gaby Wagner Steiner an den Philx der Austria Innsbruck, 29. 6. 2015.
Vytiska, Herbert: Zwei Abschiede – symbolhaft für die Zeitenwende, in: Österreichische Academia 65 (2015) Oktober, S. 32f.