Lebenslauf:
Stummvoll besuchte nach der Volks- und Bürgerschule die Oberrealschule in Baden, wo er 1920 die Matura abgelegt hat. Danach begann er das Studium der Technischen Chemie an der Technischen Hochschule in Wien (Dipl.-Ing. 1924), wo er der Austria beitrat. Sein Leibbursch war Bruno Suchanek (AW). Ursprünglich plante er eine Dissertation und strebte eine Assistentenstelle an, jedoch bewarb er sich aufgrund einer Stellenanzeige für einen Techniker im Bibliotheksdienst an der 1912 in Leipzig gegründeten Deutschen Bücherei und wurde dort Ende April 1925 angestellt.
Diese wurde vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, von der Stadt Leipzig und vom Königreich Sachsen als Archiv des deutschen Schrifttums errichtet. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die 1946 in Frankfurt/Main gegründete Deutsche Bibliothek und die größere Deutsche Bücherei unter der Bezeichnung „Die Deutsche Bibliothek“ zusammengefaßt und heißt seit 2005 „Deutsche Nationalbibliothek“. Standorte sind Leipzig und Frankfurt/Main. An diese müssen seitens der Verlage die Pflichtexemplare geliefert werden. Sie ist daher in ihrer Funktion mit der Österreichischen Nationalbibliothek vergleichbar.
Stummvoll wurde in Leipzig zum Bibliotheksdienst ausgebildet. Im Zuge dessen war er 1926 acht Monate Assistent an der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Im Oktober 1927 legte er die Fachprüfung für den Höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken ab. Nebenher studierte er noch Philosophie, Psychologie und Zeitungswissenschaften an der Universität Leipzig (Dr. phil. 1932). Von September 1933 bis Oktober 1937 war er beurlaubt, um die Bibliothek an der in Ankara gegründeten landwirtschaftlichen bzw. tierärztlichen Hochschule aufzubauen. In diesen Jahren war auch Clemens Holzmeister (Nc) in Ankara als Architekt tätig. Stummvoll nützte diese Zeit, um Reisen nach Syrien, Palästina und Ägypten zu unternehmen.
Eine bereits ausgesprochene Berufung Stummvolls als Leiter der Bibliothek am Deutschen Museum in München wurde zurückgezogen, da sich die NSDAP dagegen ausgesprochen hatte. Er verkehre mit Juden sowie Emigranten und habe sich gegen das „Dritte Reich“ ausgesprochen. Trotzdem wurde er dann mit 1. Januar 1939 zum Bibliotheksrat befördert und im Oktober 1939 dem Reichspatentamt Berlin als stellvertretender Bibliotheksdirektor zur Dienstleistung zugewiesen. Im Dezember 1942 wurde er beim Reichsministerium für Bewaffnung und Munition dienstverpflichtet. Reichsminister war damals Albert Speer.
Nachdem es zu Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vorgesetzten gekommen war, wurde Stummvoll am 26. Juli 1943 zur Luftwaffe eingezogen. Er geriet Ende des Krieges in sowjetische Kriegsgefangenschaft und mußte in Niederschlesien Zwangsarbeit leisten. Im Oktober 1945 wurde er entlassen und konnte gegen Ende dieses Jahres nach Baden bei Wien zurückkehren. Er hatte im Mai 1939 eine Schwedin geehelicht, die während des Krieges nach Schweden gezogen war und die im September 1946 zu ihm zurückkehren konnte.
Stummvoll entschloß sich, in Österreich zu bleiben, und hat sich um die Aufnahme in die Österreichische Nationalbibliothek beworben. Mit 1. Mai 1946 trat er dort seinen Dienst an und wurde mit 4. April 1947 zum Oberstaatsbibliothekar ernannt. Generaldirektor der Nationalbibliothek war zu dieser Zeit Josef Bick (Fd). Er hatte bereits das Pensionseintrittsalter überschritten (Jahrgang 1880) und favorisierte als seinen Nachfolger Stummvoll. Dieser wurde bereits 1947 Generaldirektor-Stellvertreter und schließlich mit 12. Oktober 1949 zum Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek ernannt. Daneben beendete er sein Studium an der Technischen Hochschule Wien (Dr. techn. 1950).
Stummvoll knüpfte zahlreiche internationale Kontakte und war oft im Ausland unterwegs, um Bibliotheken zu besuchen. Im April 1952 wurde er von der UNESCO gebeten, als Berater für das Bibliothekswesen in Teheran tätigt zu werden, wo er ein Jahr blieb. 1958 wurde er vom UN-Generalsekretär Dag Hammerskjöld eingeladen, die Leitung der Neuorganisation der UNO-Bibliothek zu übernehmen. Nachdem das Unterrichtsministerium seine Karenzierung genehmigt hatte, begab er sich im Dezember 1959 nach New York, von wo er vorläufig im März 1961 nach Wien zurückkehrte. Im November 1961 wurde die UN-Bibliothek eröffnet. Endgültig beendete er seine Tätigkeit für die UNO am 31. Januar 1963.
Wieder in Wien, widmete sich Stummvoll mit Tatendrang der Nationalbibliothek. Zu seinen bedeutendsten Projekten zählten die Anfertigung eines Nominalkatalogs der Bestände bis 1929 für das Publikum. Dazu mußten 1,3 Millionen Zettel abgeschrieben werden. In seiner Amtszeit ist der Buchbestand von 1,4 Millionen auf zwei Millionen Exemplare angewachsen. Ab 1954 wurde der Prunksaal – erstmals nach seinem Erbau Mitte des 18. Jahrhunderts – einer Generalsanierung unterzogen. Ein wichtiges Unterfangen war die Schaffung eines neuen Lesesaales im Komplex der Neuen Hofburg. Dazu wurde eine ebene Räumlichkeit im Hochparterre an der Seite zum Burggarten herangezogen. Diese diente im Krieg als Lazarett und danach bis in die fünfziger Jahre als Orthopädisches Krankenhaus. Ende September 1966 wurde dieser Lesesaal eröffnet und existiert nach Umbauten als solcher immer noch.
Im Zeitalter der Digitalisierung kann man sich kaum vorstellen, wie damals das Kopieren und die Reproduktionen funktionierten. Zu Ende von Stummvolls Dienstzeit kamen die Kopiergeräte auf, die damals noch umständlich in der Handhabung waren. Zusätzlich zu diesen Umbauten wurden in den Kellern der Neuen Hofburg weitere Magazine eingerichtet. Diese, mehr oder minder unterhalb des Lesesaals, führten in der Folge auch zu einer rascheren Bedienung der Bibliotheksbenützer.
Stummvoll stand nach dem Zweiten Weltkrieg an der Spitze einer sehr wichtigen kulturellen österreichischen Einrichtung und hat in den Jahren seiner Generaldirektion zum einen die Gott sei Dank relativen geringen Schäden des Zweiten Weltkriegs beseitigt, zum anderen aber auch den Grundstein für einen modernen Bibliotheksbetrieb gelegt. Ein besonderes Anliegen war ihm auch die internationale Vernetzung. Schließlich wurde er ad personam mit 1. Januar 1965 in die Dienstklasse IX befördert, die einem Sektionschef entspricht, obwohl der Generaldirektor der Nationalbibliothek nicht zu dieser Dienstklasse gehört.
Von Stummvoll stammt der Ausspruch: „Ich wünschte mir seit jeher einen Beruf, in dem man mit zunehmendem Alter durch sein Wissen und seine Erfahrung immer wertvoller und leistungsfähiger wird.“ Sein Wunsch ging nicht Erfüllung, er mußte, wie es damals das Beamtenrecht vorsah, am Ende jenes Jahres in Pension gehen, in dem er sein 65. Lebensjahr vollendet hat, das war der 31. Dezember 1967. Es gab keine wie immer geartete weitere Verwendung für ihn. Aus Anlaß seiner Pensionierung erhielt er das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, das u. a. den Beamten der IX. Dienstklasse zusteht. Diese Auszeichnung hat er zuerst angenommen, jedoch im August 1967 wieder ohne Gründe zurückgegeben. Möglicherweise resultierte diese Handlung aus dem unerfüllten Wunsch.
Stummvoll wurde auf dem Pfarrfriedhof in Baden bei Wien bestattet (01/01/M31+32).
Quellen und Literatur:
Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Kabinettsdirektor i. R. Heinz Hafner Am, Mitteilung 20. 10. 2025).Mauthe, Gabriele: https://www.onb.ac.at/forschung/forschungsblog/artikel/eine-glueckliche-aera-der-nachlass-generaldirektor-josef-stummvoll