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Max Ghezze

Max Ghezze

Urverbindung: Raeto-Bavaria (02.05.1911)

Geboren: 01.09.1889, Cortina (Bezirk Ampezzo, Tirol)
Gestorben: 06.11.1912, Innsbruck (als Opfer einer Schlägerei)
Student, Opfer einer Schlägerei mit Corpsstudenten

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Ghezze wurde als Sohn eines armen, aber angesehenen Bauern geboren, der 1911 verstarb, und gehörte zur Volks- bzw. Sprachgruppe der Ladiner. Sein Familienname ist auch ladinisch. Das Gebiet Ampezzo gehörte seit 1511 zum Reich bzw. zur Grafschaft Tirol. Nach der Abtrennung Südtirols von Österreich wurde dieses Gebiet wegen der exklaveartigen geographischen Situation von der nunmehrigen Provinz Bozen (Alte Adige) der Provinz Belluno zugeschlagen. Kirchlich gesehen gehörte es zum Bistum Brixen, 1964 kam es dann zum Bistum Belluno. Im Tal Ampezzo wurde bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Ladinisch gesprochen. Da es nun nicht mehr zur Region Bozen-Trient gehört, stand diese Sprachgruppe nicht mehr unter Minderheitenschutz, so daß sie dort nun weitgehend ausgestorben ist.

Bis 1918 wurde in Österreich Ladinisch statistisch als Italienisch geführt. Daher hat sich Ghezze bei der Immatrikulation an der Universität Innsbruck als Italiener bezeichnet, was in der Folge zu Mißverständnissen geführt hat – nicht zuletzt auch seitens des Innsbrucker Corps Gothia, die ihn als „Welschen“ bezeichneten. Die Ladiner selber fühlten sich aber nicht als Italiener und waren auch keine Anhänger des italienischen Irredentismus. Sie standen treu zu Österreich. Cortina – ein ladinischer Name – hieß auch Hayden. Dieser Ortsname war aber schon vor 1918 amtlich nicht mehr in Gebrauch.

Ghezze besuchte in Cortina die Volksschule und absolvierte danach das Gymnasium (Vizentinum) in Brixen. Nach der Matura im Jahr 1909 trat er in das Brixener Priesterseminar ein und studierte an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt. Nach drei Semestern verließ er das Priesterseminar und begann ab dem Sommersemester 1911 das Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck, wo er der Raeto-Bavaria beitrat (Couleurname Roland). Seine Aufnahme als Ladiner bzw. Italiener in eine deutsche Studentenverbindung ist insofern beachtenswert, weil das damalige Aufnahmeprinzip „deutsch“ offenbar nicht so streng gehandhabt wurde.

Im Sommersemester 1912 wurde Ghezze geburscht. Ebenfalls in diesem Semester sowie in den Sommerferien absolvierte er den ersten Teil des Einjährig-Freiwilligenjahrs bei den Kaiserjägern in Innsbruck.

DER TRAGISCHE TOD VON MAX GHEZZE

Bekannt wurde Ghezze durch seinen in jungen Jahren erlittenen tragischen Tod. Was war geschehen? Nach dem Bericht in der „Academia“ stellt sich der Tathergang folgendermaßen dar:

Am Abend des 4. November 1912 hatte die Raeto-Bavaria Tanzkurs, danach ging man noch in ein Innsbrucker Lokal („Jörgele“), um den Namenstag eines Austriers zu feiern (Karl Borromäus). Kurz nach Mitternacht machte man sich auf den Heimweg und gelangte in der Maria-Theresien-Straße bis zum „Breinößl“, damals ein beliebtes Lokal der Schlagenden. Da gellte plötzlich der Ruf: „Klerikale Schweine!“ Mitglieder des Corps Gothia riefen das von ihrem Lokal aus hinunter. Nach einer kurzen Wechselrede stürmten sie auf die Straße. Es entstand nun eine Rauferei, die eine Stunde gedauert haben soll. Bei dieser Schlägerei fielen fünf Gothen über Ghezze her und schlugen auf ihn ein. Die übrigen Raeto-Bavaren zogen sich mit einem ebenfalls verwundeten Fuchsen in ein Café zurück, um ihn zu verbinden.

Währenddessen bemerkte der zufällig vorbeikommende und kurz zuvor bei Austria rezipierte Medizinstudent Max Hofmann (AIn) Ghezze, wie er schwerverletzt auf ihn zuwankte und sagte: „Ich kann nicht mehr!“ Kurz danach brach er in der Maximilianstraße bewußtlos zusammen. Hofmann holte die Polizei, teilte den Sachverhalt mit und bat, für den Bewußtlosen zu sorgen.

Am nächsten Tag suchten Raeto-Bavaren in Innsbrucker Kliniken nach dem Verletzten, von Ghezze war jedoch nichts bekannt. Bei der Polizei wurde ihnen schließlich mitgeteilt: „Der Besoffene schläft seinen Rausch aus!“ In der Tat fand man den Schwerverletzten ohnmächtig und blutüberströmt im Polizeikotter. Seine Bundesbrüder brachten ihn sofort weg, der Arzt ordnete die Einweisung in eine Klinik an. Die Diagnose lautete „schwere Gehirnerschütterung, verbunden mit Gehirnblutung“. Die sofort vorgenommene Operation verlief zwar gut, konnte aber sein Leben nicht mehr retten. Am 6. November „um halb zwölf Uhr nachts war der Blutzeuge seiner katholischen Überzeugung nach Empfang der hl. Ölung verschieden“. Die gerichtliche Obduktion der Leiche ergab, daß Ghezze „infolge eines mit einem elastischen Gegenstand auf die linke hintere Kopfseite geführten Hiebes gestorben ist“. Der Eintritt des Todes wurde „durch die äußerst unsachgemäße Behandlung, die dem Todwunden im Polizeiarrest zuteil wurde, beschleunigt“. Ghezze zog sich nämlich im Kotter noch dazu eine beiderseitige Lungenentzündung zu.

Ghezze wurde im Austrier-Haus aufgebahrt, sein Begräbnis am 9. November war eine Demonstration des katholischen Österreichs und Tirols. Zahlreiche Gastchargierte aus dem CV, auch aus München, begleiteten den Trauerkondukt. Der damalige VOP war ebenfalls dabei. Ebenso nahmen der Rektor der Universität, der Dekan der Medizinischen Fakultät sowie zahlreiche Professoren teil. Ghezze wurde in Innsbruck begraben. Bilddokumente zeigen, daß das Spalier an den Straßenrändern ziemlich voll war. Berichte sprachen von ca. 10.000 Menschen.

Auf Initiative des CV bzw. der Raeto-Bavaria wurde eine Max-Ghezze-Stiftung ins Leben gerufen, um die Mutter und die Schwester Ghezzes finanziell zu unterstützen, die nach dem Tode des Vaters nun mittellos waren.

DER FALL GHEZZE UND DER AKADEMISCHE KULTURKAMPF

Der Tod von Ghezze ist im Rahmen des Akademischen Kulturkampfes auf Österreichs Universitäten vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu sehen. In diesem versuchte die schlagende Studentenschaft (Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften, Sängerschaften usw.), den katholischen Studentenverbindungen, vornehmlich denen des CV, die Gleich- wie Existenzberechtigung abzusprechen. Dies geschah oft mit handgreiflichen Begleiterscheinungen, wobei in Graz zweifelsohne der Schwerpunkt lag.

Diese Auseinandersetzungen fanden auch ihren Niederschlag in den Zeitungen, wobei es natürlich unterschiedliche Darstellungen bzw. Interpretationen zwischen den katholischen und nationalliberalen Blättern gab, so auch im Fall Ghezze. So stellte das Corps Gothia fest, daß die Provokation seitens der Raetio-Bavaria ausgegangen sei und daß Ghezze bereits bei derartigen Auseinandersetzungen auffällig war. Die Stadt Innsbruck als Sicherheitsbehörde erster Instanz erklärte, man habe den Polizeiorganen nicht mitgeteilt, daß Ghezze verletzt sei, so daß man Trunkenheit annehmen mußte. Dem widersprach Max Hofmann (AIn), er hätte den Polizisten sehr wohl auf eine Verletzung aufmerksam gemacht.

Die Frage, wer nun die konkrete Schlägerei provoziert hatte, ist jedoch nebensächlich, insbesondere für die strafrechtliche Beurteilung des Vorfalls. Unbestritten ist, daß Ghezze eine schwere Verletzung im Sinne des § 152 des damaligen österreichischen Strafgesetzes (StG) zugefügt wurde. Da die jedoch im Rahmen einer „zwischen mehreren Personen entstandenen Schlägerei“ geschah, wäre jedoch § 157 StG zur Anwendung gelangt, wonach alle Beteiligten zur Verantwortung hätten gezogen werden müssen, wenn nicht ein bestimmter Täter nachgewiesen werden kann. Tatsächlich wurden Angehörige des Corps Gothia in Haft genommen, die aber in der Folge mangels an Beweisen wieder freigelassen wurden.

Juristisch unbestritten ist, daß bei dieser Schlägerei keine Mordabsicht bestanden hat. Daher ist Ghezze nicht ermordet worden bzw. kein Mordopfer. Es ist wohl damals nicht gutachterlich eruiert worden, ob er unabhängig von seinem Polizeiaufenthalt den Verletzungen erlegen wäre – in diesem Fall hätte man von schwerer Körperlverletzung mit Todesfolge sprechen können – oder ob sein Tod in ursächlichem Zusammenhang mit seiner unsachgemäßen Behandlung im Polizeigewahrsam gestanden hat. Im letzteren Fall wäre das nach heutigem Maßstab der Tatbestand der fahrlässigen Tötung, der jedoch nicht den Angehörigen des Corps Gothia anzulasten gewesen wäre.

Obwohl der genaue Tathergang nicht eruierbar ist, steht jedoch der tragische Tod des jungen Studenten Ghezze im Zusammenhang mit dem Ausgrenzungskampf der schlagenden Studentenschaft gegenüber den CV. Hätte es den nicht gegeben, wäre Ghezze derart nicht verstorben. Insofern ist das damalige feindselige Verhalten der Burschenschaften, Corps etc. gegenüber dem CV, das in manchen Zügen eliminatorischen Charakter hatte, Ursache und hat auch Schuld an den tragischen Folgen dieses Vorfalls.

PROPAGANDISTISCHE AUSWIRKUNG

Der Fall Ghezze war für die katholische Bewegung bzw. den Politischen Katholizismus in Österreich Anlaß, auf die Ungerechtigkeiten auf den Hochschulen hinzuweisen und die akademische Gleichberechtigung für katholische Studenten bzw. für den CV zu fordern. So fand am 14. November 1912 eine Kundgebung in der Volkshalle des Wiener Rathauses statt, die vom Volksbund der Katholiken Österreichs gemeinsam mit dem CV veranstaltet wurde. Hauptredner war der Chefredakteur der „Reichspost“, Friedrich Funder (Cl). Er führte u. a. aus:

„Wir verlangen von unseren Volksvertretern, daß sie allen kompetenten Stellen klarmachen, daß es nicht mehr so weitergeht, daß die akademischen Behörden für Ordnung sorgen und die drückende faktische Rechtsungleichheit beseitigen müssen. Ehre ihm, dem gefallenen Jüngling, dem Märtyrer einer großen Sache. Aber das Blut schreit zum Himmel, und sein Schrei wird nicht verstummen, bis sich die jetzige akademische Unfreiheit in Freiheit [...] verwandelt. (Stürmischer Beifall.) Die Hochschulfrage ist eine Ehrenfrage des christlichen Volkes in Österreich geworden! (Großer Applaus).“

Danach ergriff „der Führer der christlichsozialen Arbeiterschaft und ein aufrichtiger Freund des CV“, der LAbg. Leopold Kunschak (Nc EM), das Wort, weiters sprach auch der RRAbg. Richard Wollek (AIn). Am Schluß wurde eine Resolution verabschiedet, in der „die Entrüstung über das unmännliche und eines Kulturvolkes unwürdige Vorgehen eines Teiles der deutschnationalen Studentenschaft gegenüber den Angehörigen katholischer Studentenverbindungen“ ausgesprochen wurde.

Vierzehn Tage nach dem Begräbnis fand der offizielle Trauerkommers im Austrier-Haus statt. Die Trauerrede hielt Heinrich Stecher (Le, R-B), Gründungssenior der Raeto-Bavaria und Vater des späteren Bischofs von Innsbruck, Reinhold Stecher (R-B): „... Da geht’s wie ein gewaltiges Zittern durchs katholische Österreich. Das Unfaßbare war geschehen. Der jahrelange Kampf der katholischen Studentenschaft an Österreichs hohen Schulen um ihr gutes Recht hatte abermals ein Todesopfer gefordert.“ Stecher nahm hier offenbar bezug zu dem mysteriösen Todesfall Anton Gesers (Na, Cl) im Jahr 1906, bei dem jedoch eine Tat seitens eines Schlagenden nicht nachgewiesen werden konnte.

Ob Ghezze, Geser oder 1931 Engelbert Weinzierl (NbW) – drei junge Menschen mußten einen sinnlosen Tod sterben, der im Zusammenhang mit weltanschaulich-politischen Auseinandersetzungen stand. Das sollte auf jeden Fall Mahnung sein.

Ghezze wurde auf dem Innsbrucker Westfriedhof begraben.

Quellen und Literatur:

Ac 25 (1912/13), SS. 333f., 357–369.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 166f.
Bösche, Andreas: Zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Schönerer. Die Innsbrucker
Universität und ihre Studentenverbindungen 1859 – 1918. Innsbruck 2008, S. 157f.
Klier, Walter: Leutnant Pepi zieht in den Krieg. Das Tagebuch des Josef Prochaska. Hohenems 2008, S. 74–84 (hier sind Meldungen der „Innsbrucker Nachrichten“ von damals wörtlich zitiert).