Lebenslauf:
Raab wurde am Gedenktag des hl. Blasius als Sohn des Bauunternehmers Julius Raab (Fa. Wohlmeyer & Raab) geboren. Der Großvater väterlicherseits war ein Drahthüttenbesitzer in Niedermohrau (nunmehr Dolní Moravice) am Fuße des Altvatergebirges (Österreichisch-Schlesien). Dieser zog zuerst nach Wien, trat dann 1885 in St. Pölten in die Baufirma Wohlmeyer ein und ehelichte die Tochter Franziska des 1884 verstorbenen Besitzers Josef Wohlmeyer, des Großvaters mütterlicherseits von Raab. Deren Bruder Johann Wohlmeyer (1850–1932) besaß eine eigene Baufirma und war Gründer der Christlichsozialen in St. Pölten sowie in der Folge niederösterreichischer Landtagsabgeordneter und Reichsratsabgeordneter.
Raab besuchte die ersten vier Klassen des Gymnasiums in St. Pölten und wechselte dann auf das Stiftsgymnasium der Benediktiner in Seitenstetten (Matura 1912). Danach begann er für das gymnasiale Lehramt das Studium der Geschichte und Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien (Dr. phil. 1919), wo er der Norica beitrat (Couleurname Faust). Sein Studium wurde ab 15. Oktober 1914 durch den Kriegsdienst in der k. u. k. Armee im Feldhaubitzenregiment Nr. 3 (Marburg) unterbrochen (letzter Dienstgrad: Oberleutnant der Reserve; Auszeichnungen: Militärverdienstkreuz mit Kriegsdekoration und Schwertern, silbernes Signun laudis, silbernes Signum laudis am Band mit Schwertern, silberne Tapferkeitsmedaille II. Klasse, Karl-Truppenkreuz). Eingesetzt war er als Batteriekommandant zuerst an der Ostfront und dann an der Alpenfront.
Nach dem Krieg setzte Raab im November 1918 sein Studium fort und war 1919 u. a. mit seinem älteren Bruder, dem späteren Bundeskanzler Julius Raab (Nc), und dem späteren Bundeskanzler Leopold Figl (Nc) Mitbegründer der katholischen Pennalie Nibelungia St. Pölten (nunmehr MKV) und deren erster Philistersenior. Raab beendete 1919 sein Studium und legte Ende Oktober 1920 die Lehramtsprüfung für Deutsch und Geschichte ab. Bereits ab Mitte September 1919 unterrichtete er zuerst am Stiftsgymnasium der Zisterzienser in Mehrerau bei Bregenz, wo er Kontakte zur Schweiz unterhielt, bei der Gelegenheit er seine spätere Frau kennenlernte. Mitte September 1921 kam er an die Bundeslehrerbildungsanstalt in St. Pölten, wo er in der Folge auch das angeschlossene Internat leitete.
Mit der Gründung der Vaterländischen Front (VF) im Jahr 1933 engagierte sich Raab bei ihr und wurde gleich Bezirksführer für St. Pölten. Nach den Februarereignissen des Jahres 1934 wurden die Sozialdemokraten aus den politischen Funktionen entfernt, so auch der damalige Bürgermeister von St. Pölten. Raab wurde am 18. Februar 1934 zum Regierungskommissär bestellt und am 12. Dezember 1934 vom nunmehr ständisch zusammengesetzten Gemeinderat zum Bürgermeister gewählt. Einer seiner Vizebürgermeister war Viktor Müllner (ehemals Dan EM), der in den sechziger Jahren in einen Skandal verwickelt war. In Raabs Amtszeit wurde das Kontrollamt errichtet, deren Leiter bis 1938 Franz Dostal (F-B) war, und jährlich ein Rechenschaftsbericht veröffentlicht. Darüber hinaus wurden auch zahlreiche Bauvorhaben verwirklicht. So wurden z. B. in seiner rund vierjährigen Amtszeit über 600 Gemeindewohnungen errichtet. Mit diesen Baumaßnahmen wollte er die Arbeitslosigkeit bekämpfen, was ihm auch teilweise gelang.
Nach dem Anschluß Österreichs im März 1938 an das Deutsche Reich wurde Raab für zwei Tage in St. Pölten in Polizeihaft genommen und aus all seinen politischen sowie beruflichen Funktionen entlassen. Diese Entlassung wurde später rückwirkend in eine Versetzung in den Ruhestand unter Zuerkennung der Hälfte des Ruhegenusses umgewandelt. Nach einer kurzen Tätigkeit für einen Berliner Verlag beschloß er, in die Schweiz zu emigrieren, und fand eine Anstellung am Kantonsgymnasium Karl Borromäus in Altdorf (Kanton Uri), von wo seine Frau stammte. Aufgrund seines Auslandsaufenthaltes wurde ihm der Ruhegenuß nicht ausbezahlt.
Nach dem Krieg wurde Raab mit Bescheid vom 19. August 1947 mit Wirksamkeit 1. Mai 1945 beruflich rehabilitiert, jedoch wurde von einer Dienstleistung an einer Höheren Schule abgesehen. Er wurde im Rahmen des Auswärtigen Dienstes der damaligen österreichischen Gesandtschaft, später dann Botschaft in Bern als Presseattaché zugeteilt. Im Zuge des Ausbaus des Bundespressedienstes und der damit verbundenen Maßnahmen für den einheitlichen Einsatz aller Presseattachés wurde Raab am 31. Oktober 1955 in den Personalstand des Bundeskanzleramtes-Bundespressedienst übernommen und zum Chefredakteur (Verwendungsgruppe A) ernannt. Aus diesem Anlaß wurde ihm der Berufstitel Hofrat verliehen. 1960 ging er in Pension.
In einschlägigen historischen Darstellungen wird Heinrich Raab durch sein im Mai 1945 abgefaßtes Memorandum für eine österreichische Neutralität erwähnt. Darin pries er die 1815 (also 130 Jahre zuvor) beim Wiener Kongreß anerkannte Neutralität der Schweiz für „Österreich, unser liebes Vaterland“. Er ging damals auch davon aus, daß die Sowjetunion die für Österreich und den Donauraum maßgeblichste Großmacht sein werde, und empfahl daher freundschaftliche Beziehungen zu ihr. Dieses Memorandum überreichte er noch 1945 seinem Bruder Julius Raab (Nc), dem späteren Staatsvertragskanzler, und Leopold Figl (Nc), kurz danach erster Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, die er familiär bzw. durch die Norica sehr gut kannte.
Allerdings war Julius Raab anfänglich diesen Vorschlägen distanziert gegenüber eingestellt. Heinrich Raab berichtet in seinen Lebenserinnerungen (sie befinden sich im Stadtarchiv St. Pölten), daß er immer noch im Ohr hat, wie sein Bruder gebrummt hat: „Du mit deinem Kantönligeist, willst uns auch noch verschweizern.“ Tatsache ist aber, daß Julius Raab ab 1953 als Bundeskanzler einen betont sowjetfreundlichen Kurs einschlug und dann 1955 bei den Staatsvertragsverhandlungen die Neutralität Österreichs ins Spiel brachte, die die SPÖ Vertreter Adolf Schärf und Bruno Kreisky zuerst vehement ablehnten. (Später wurde die SPÖ zur „Gralshüterin“ der Neutralität.) Es ist demnach nicht von der Hand zu weisen, daß das Memorandum von Heinrich Raab schlußendlich doch seinen Bruder animiert haben könnte.
Altbundeskanzler Julius Raab besuchte im Jahr 1963 seinen Bruder Heinrich Raab in Altdorf anläßlich dessen 70. Geburtstags. Die beiden Brüder werden sich wohl zum letzten Mal gesehen haben, denn Julius Raab starb ein knappes Jahr später. Heinrich Raab war auch Bandphilister der St. Pöltener MKV-Verbindungen Aggstein sowie Carolina, starb unerwartet und wurde auf dem Friedhof der Pfarrkirche von Altdorf begraben, sein Sohn war Heinz-Joachim Raab (Berchtoldia Bern [StV], Nc).
Werke:
Dichteranekdoten (1943).Deutsche Redewendungen (1952).
Quellen und Literatur:
Verbindungsarchiv Norica (Georg Schmitz, 26. 9. 2020), diverse Nachrufe und Lebensläufe zu Heinrich Raab.Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Kabinettsdirektor i. R. Heinz Hafner Am, Mitteilung 28. 9. 2020.
NÖ Landesarchiv, Schreiben 13. 11. 2020 (betr. Haft nach dem Anschluß).
Stourzh, Gerald: Geschichte des Staatsvertrages 1945 – 1955. Österreichs Weg in die Neutralität. Graz 3. Auflage 1985, S. 99f. (über das Memorandum).