Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG UND EINTRITT IN DEN ORDEN
Reinisch wurde als Sohn eines Finanzbeamten geboren, der in der Folge mit seiner Familie aus beruflichen Gründen nach Innsbruck zog. Nach dem Besuch einer dortigen Volksschule absolvierte Reinisch 1922 das Franziskanergymnasium in Hall in Tirol, wo er 1919 bei der katholischen Pennalie (nunmehr MKV) Sternkorona aktiv wurde. Danach begann er das Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, wo er der Leopoldina beitrat (Couleurname Spund). Allem Anschein nach war er ein begeisterter Couleurstudent.
Im Sommersemester 1923 wechselte Reinisch an die Universität Kiel, um dort Medizin zu studieren. Während dieser Zeit war er zwar bei der Rheno-Guestfalia aktiv, erhielt jedoch von dieser kein Band und wurde dort auch nicht als Bandphilister geführt. Im Sommer 1923 kehrte er nach Innsbruck wieder zurück und begann dort mit dem Studium an der Theologischen Fakultät. 1925 trat er in das Priesterseminar in Brixen ein, wo er an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt weiterstudierte. Am 29. Juni 1928 wurde er in Innsbruck zum Priester geweiht.
Während des Studiums in Brixen lernte Reinisch Angehörige des Ordens der Pallottiner (SAC) kennen. Das brachte ihn dazu, nach der Priesterweihe bei diesem einzutreten. Anfang November 1928 begann er sein zweijähriges Noviziat in der Nähe von Bamberg. Nach dessen Beendigung wurde er an der ordenseigenen Hauslehranstalt als Dozent für Philosophie eingesetzt. Im Herbst 1931 ging er für zwei Semester zum Studium an die Theologische Fakultät in Salzburg. Im Herbst 1932 kam er nach Friedberg bei Augsburg, dem Sitz des Provinzialats der Pallottiner, um sich dort des Ordensnachwuchses anzunehmen.
REINISCH ALS GEGNER DES NATIONALSOZIALISMUS
In Friedberg kam Reinisch mit der damals noch mit den Pallottinern verbundenen Schönstatt-Bewegung des Joseph Kentenich in Kontakt, der er sich anschloß. Durch diese wurde u. a. seine NS-Gegnerschaft geformt. So fiel er in den kommenden Jahren der Gestapo durch regimekritische Äußerungen auf, die er an verschiedenen Orten, wohin ihn der Orden schickte, tätigte. In der Zeit vor 1938 verfestigte sich sein Entschluß, „niemals Hitler-Mitläufer zu werden“.
Anfang März 1938 hielt sich Reinisch in Innsbruck auf. Auf der Semesterantrittskneipe der Leopoldina am 4. März hielt Reinisch eine Rede. Er sprach von der schweren Zeit, die Österreich nun bevorstünde, von der Treue zu Christus und zur Heimat, die in den kommenden Jahren die Feuerprobe bestehen müsse. Er sprach diese Worte, als ob er sein eigenes Schicksal bereits vorausgeahnt hätte.
Die Ereignisse in seiner Heimat (Anschluß) vergrößerten seine Distanz zum NS-Regime noch weiter, und Reinisch hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er erkannte bald, daß er aus Gewissensgründen den Dienst in Hitlers Armee ablehnen müsse. Im Sommer 1939, kurz vor dem Krieg, äußerte er sich gegenüber seinem Orden: „Unser Gewissen verbietet es uns, einer Obrigkeit zu folgen, die nur Mord und Totschlag in die Welt bringt, um der lüsternen Eroberung willen. Man darf diesem Verbrecher keinen Eid leisten.“
Aufgrund zweier Predigten, die Reinisch am 3. April und am 13. Juni 1940 in der Nähe von Rottweil (heute Baden-Württemberg) gehalten hatte, verhängte die Gestapo am 12. September 1940 ein Redeverbot über ihn. Er ließ sich aber nicht beirren und verlegte seine Agitation mehr in den Untergrund. In Zivil, um nicht erkannt zu werden, reiste er durch Deutschland und traf sich mit gleichgesinnten Gruppen.
EIDVERWEIGERUNG UND HINRICHTUNG
Nach der Musterung am 14. August 1940 in Bendorf bei Koblenz erhielt Reinisch, der sich damals in Vallendar-Schönstatt (bei Koblenz) aufhielt, am 1. März 1941 den sog. „Bereitschaftsbefehl“, d. h., er sollte sich bereit halten, zur Deutschen Wehrmacht eingezogen zu werden. Am 8. April 1942 erhielt er dann den Einberufungsbefehl für den 14. April zur Sanität. Er erschien bewußt einen Tag später in der Kaserne von Bad Kissingen.
Reinisch war nun fest entschlossen, den Fahneneid nicht zu leisten. Er erklärte: „Auf das deutsche Volk kann ich den Fahneneid leisten, aber auf einen Mann wie Hitler nie.“ Daraufhin wurde er am 16. April festgenommen. Die Ordensleitung der Pallottiner versuchte nun, auf ihn Druck auszuüben. Zu diesem Zweck besuchte ihn am 20. April 1942 ein Mitbruder, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Als dies nichts fruchtete, teilte er ihm den Ausschluß aus dem Orden mit.
Reinisch wurde über das Divisionsgericht Würzburg an das Reichskriegsgericht in Berlin-Charlottenburg überstellt und ab 8. Mai 1942 im Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel inhaftiert. Am 7. Juli 1942 fand die Gerichtsverhandlung statt. Er wurde bereits nach wenigen Minuten wegen „Verweigerung des Fahneneids und Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode verurteilt. Drei Tage danach bekam er Besuch von seinem Provinzial, der ihm mitteilte, daß er keineswegs aus dem Orden ausgeschlossen wurde.
Am 25. Juli – noch vor Rechtswirksamwerden des Todesurteils und genau acht Jahre nach dem gewaltsamen Tod von Engelbert Dollfuß (F-B) – hatte Reinisch die Gelegenheit zu einer Schlußerklärung. Dort heißt es u. a.: „Er [damit meinte er sich selber, Anm. d. Verf.] ist daher gerne bereit, für Christus, den König, und die deutsche Heimat sein Leben hinzugeben, damit Christus, der Herr, diese antichristlich-bolschewistischen Kräfte und Mächte des Auslands wie besonders in der Heimat besiegen möge, auf daß unser Volk wieder werde: ein starkes und freies Gottesvolk inmitten der Völker des Abendlandes.“
Am 11. August 1942 wurde Reinisch in das Gefängnis Brandenburg-Görden überstellt und am 21. August um 5.03 Uhr durch das Fallbeil hingerichtet. Es gelang 1946, die Urne mit der Asche von Reinisch, die auf dem Friedhof von Brandenburg beigesetzt wurde, aus der Sowjetischen Besatzungszone in den Westen zu bringen. Sie wurde dann am 17. Oktober 1946 in Vallendar, dem Sitz der Schönstatt-Bewegung, feierlich beigesetzt.
1991 teilte der Leitende Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Schweinfurt mit, daß das Todesurteil gegen Reinisch gemäß § 9 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege aufgehoben wurde. Das Landgericht Schweinfurt war deswegen zuständig, weil in dessen Sprengel Bad Kissingen liegt, wo die „Tat“ der Eidverweigerung, aufgrund derer Reinisch hingerichtet wurde, begangen wurde.
WÜRDIGUNG
Reinisch war der einzige Priester des „Großdeutschen Reiches“, der Hitler den Eid verweigert hat und deshalb hingerichtet wurde. Wie aus einem Bericht des Pallottiner-Ordens an Papst Pius XII. (Tfs EM) im August 1943 zu entnehmen ist, begründete Reinisch die Ablehnung des Soldateneids mit folgenden drei Überlegungen: 1. Hitler hat gegen alles Völkerrecht Österreich gewaltsam besetzt. 2. Der NS-Staat hat das Konkordat dazu mißbraucht, die Kirche zu knechten. 3. Es sei ihm 1940 ohne Grund verboten worden, im gesamten Deutschen Reich zu predigen.
Reinisch stellte sich – so wie Franz Jägerstätter – in Kontrast zum damaligen Grundtenor der kirchlichen Hierarchie, die sich – auf den Römerbrief 13,1ff. („Jedermann sei der obrigkeitlichen Gewalt untertan.“) rekurrierend – positiv zum Dienst für das Vaterland stellte und zu solchen „Gewissensskrupel“ Distanz hielt. Dahinter stand eine Differenzierung zwischen dem Nationalsozialismus als Weltanschauung, die es durchaus zu kritisieren und gar zu bekämpfen galt, und dem Staat (bzw. dem Vaterland), der für den Nationalsozialismus quasi „nichts konnte“.
So äußerte sich z. B. der sel. Bischof von Münster, Clemens August Graf Galen (R-GM EM) 1939: „Der Krieg [...] ist aufs Neue ausgebrochen und hat unser Volk und Vaterland in Bann gezogen.“ Der Freiburger Erzbischof Konrad Gröber (Wld EM) veröffentlichte zu Kriegsbeginn ein Hinterwort mit dem Titel „Arbeite als ein guter Kriegsmann Christi“. Der Bamberger Erzbischof Joseph Otto Kolb (AIn) stellte fest: Für den Christen genügt das Unrecht, das seinem Vaterland angetan wird, Gehorsam zu leisten, „den er der weltlichen Obrigkeit schuldet, um das Schwert zu zücken und seinem Fahneneid getreu zu kämpfen“. Der Erzbischof von Paderborn, Lorenz Jaeger (Sb EM), forderte noch im Januar 1945 die Katholiken auf, sich weiterhin am Krieg Deutschlands gegen Kommunismus und Demokratie zu beteiligen.
Vor diesem Hintergrund war es klar, daß solche Gewissensnöte, wie sie bei Reinisch auftraten, bei den zuständigen kirchlichen Oberen vordergründig auf kein Verständnis stießen. Nicht zuletzt war es auch die auf Abwägungen begründete Angst, bei Unterstützung solcher Positionen die Kirche als ganzes in Bedrängnis zu bringen. Bei der Bewertung der Haltung von Reinisch müssen aber noch folgende Aspekte berücksichtigt werden.
Aus seinen Ausführungen geht u. a. eindeutig hervor, daß er den Wehrdienst nicht generell abgelehnt hat. Im Gegenteil, er war bereit, für das deutsche Volk gegen den Bolschewismus zu kämpfen. Er hatte sich lediglich geweigert, Hitler bzw. seinem verbrecherischem Regime den Eid zu leisten. Es ist daher falsch, in Reinisch einen Vertreter der Friedensbewegung oder gar ein Vorbild für die Wehrdienstverweigerung in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu erblicken
Aus der Sicht der traditionellen Moraltheologie ist der Gewissensentscheid von Reinisch vor dem Hintergrund von Gewissensbildung bzw. irrendem Gewissen zu hinterfragen. Das wurde gerade bei dem oben erwähnten Gespräch am 20. April 1942 zwischen ihm und einem ins Gefängnis entsandten Mitbruder deutlich. Kann der persönliche Gewissensentscheid, der für die subjektive Rechtfertigung immer die oberste Norm darstellt, zweimal objektiv richtig sein, nämlich für einen, der Wehrdienst leistet, und für einen anderen, der diesen ablehnt?
Es ist auch mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß es Reinisch voll bewußt war, zu welcher Konsequenz sein Beharren führen wird: nämlich zur unweigerlichen Hinrichtung. Es ist daher auch zu hinterfragen, wie eine Haltung moralisch zu bewerten ist, die unweigerlich zum eigenen Tod führt bzw. also den eigenen Tod billigend in Kauf nimmt.
All diese Fragen sind im Christentum bzw. in der Theologie nicht neu. Sie haben die Christen seit Mitte des 3. Jahrhunderts, der ersten systematischen Christenverfolgung unter Kaiser Decius, immer wieder beschäftigt. Man denke nur an die damalige Diskussion um die sog. „lapsi“, die „Abgefallenen“, die – um ihr Leben zu schonen – den Götzen geopfert hatten. Diese Fragen sind keine einfachen, und auf diese gibt es auch keine allseits befriedigenden Antworten.
Völlig unbestritten ist aber, daß Reinisch mit seiner konsequenten Haltung in dieser Zeit der größten Verirrung der Geschichte Deutschlands und Österreichs ein unerschütterliches Zeichen für sich, für damals sowie auch für spätere Generationen gesetzt hat. Er ist somit in dieser Hinsicht ein Vorbild. Und er war zweifelsohne ein Märtyrer in der klassischen Tradition des frühen Christentums. Daher bemühen sich die Pallottiner bzw. die Schönstatt-Bewegung seit langem, ein Seligsprechungsverfahren in Gang zu setzen. Der sog. Informativprozeß findet am Diözesangericht in Trier statt, weil Reinisch in Vallendar bestattet ist, das zu dieser Diözese gehört. Postulator ist der Pallottinerpater Heribert Niederschlag (F-Rt).
In jener Kaserne in Bad Kissingen, wo Reinisch festgenommen wurde, ist 1987 eine Gedenktafel an ihn angebracht worden. Nach 1945 wurde diese Kaserne von der US-Army benutzt. 2018 wurde ein Musical über Reinisch uraufgeführt, Textautor und Komponist ist Wilfried Röhrig.
Im Haller Franziskanergymnasium wird auf einer Gedenktafel jener sechs Absolventen erinnert, die direkte und indirekte Opfer des NS-Regimes waren. Unter den direkten Opfern befindet sich neben Franz Reinisch auch Walter Krajnc (Vi), unter den indirekten Josef Anton Geiger (Vi). Der Wahlspruch der Leopoldina lautet: „Immobiles sicut patriae montes.“ Auf dieser Gedenktafel im Gymnasium von Hall steht: „Unverrückbar wie die Berge der Heimat steht unser Glaube an Christus und Maria!“ Der Platz vor der Pfarrkirche in Hall wurde 2023 nach ihm benannt.
Werke:
Im Angesicht des Todes. Tagebuch aus dem Gefängnis. Hg. von Klaus Brantzen (1987)Geheimnis der gekreuzigten Liebe. Meditation in der Gefängniszelle. Hg. von Klaus Brantzen (1987).
Geht hinaus in alle Welt! Unser missionarischer Auftrag. Vorträge. Hg. von Martin J. Emge, Klaus Hagmann und Klaus Brantzen (1993).
Quellen und Literatur:
Mitteilungen der K. Ö. H. V. Leopoldina, Nr. 40, Dezember 1946, S. 12f.Steiner, Herbert: Gestorben für Österreich. Widerstand gegen Hitler. Wien 1968, S. 180.
Kempner, Benedicta Maria: Priester vor Hitlers Tribunalen. München 3. Aufl. 1970, S. 337ff.
Zeugen des Widerstands. Eine Dokumentation über die Opfer des Nationalsozialismus in Nord-, Ost- und Südtirol 1938 bis 1945. Bearbeitet von Johann Holzner, P. Anton Pinsker SJ, P. Johann Reiter SJ und Helmut Tschuol. Innsbruck 1977, S. 80ff.
Die Furche, Nr. 34, 25. 8. 1982, S. 8.
Widerstand und Verfolgung im CV. Die im Zweiten Weltkrieg gefallenen CVer (Zählbild). Eine Dokumentation. Hg. von der Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum e. V. München 1983, S. 165ff.
Rheinischer Merkur, Nr. 16, 22. 4. 1983, S. 25.
Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung. Im Auftrag der
Deutschen Bischofskonferenz unter Mitwirkung der Diözesanarchive bearbeitet von Ulrich von Hehl (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen. Band 37). Mainz 1984, S. 1369
kathpress, 12. 1. 1987, S. 3.
Riedler, Monika: Die Verfolgung katholischer Priester während der NS-Zeit in Österreich von 1938 – 1945. Der Hakenkreuzweg zehn auserwählter Priesterschicksale. Wien Dipl. Arb. 1989, S. 88–94.
Academia 96 (2002), S. 126.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 431, 464–467.
Feldmann, Christian: Einen Eid auf Hitler? Nie! Franz Reinisch: Ein Leben für die Menschenwürde. Vallendar 2012.
Hartmann, Gerhard: Unverrückbar wie die Berge der Heimat stand sein Glaube. Zum Gedenken an den Märtyrer Franz Reinisch (Le), in: Academia intern 4/2012, S. 10f.
Academia 108 (2015), Nr. 3, S. 50f.
Peter Pichler (Le): Leben und Wirken des Pallottinerpaters Franz Reinisch. Hg. von der KÖHV Leopoldina. Innsbruck 2016.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 274–277.