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K. k. Minister Leopold Leo Graf Thun und Hohenstein

K. k. Minister Leopold Leo Graf Thun und Hohenstein

Ehrenmitgliedschaften: Austria-Wien

Geboren: 07.04.1811, Tetschen (Děčín, Nordböhmen)
Gestorben: 18.12.1888, Wien
k. k. Minister, Gubernialpräsident (Böhmen), Mitglied des Herrenhauses, Landtagsabgeordneter (Böhmen)
Politische Haft: 1848 Prag

Lebenslauf:

HERKUNFT, AUSBILDUNG UND BEAMTENLAUFBAHN

Thun und Hohenstein wurde als dritter Sohn des Franz Anton Graf Thun und Hohenstein und der Theresia Maria, geb. Gräfin Brühl, geboren. Sein Taufname war Leopold, sein Firmname Leo, der dann sein Rufname wurde. Die Familie ist Tiroler Uradel, der 1145 mit Bertholdus de Tonno erstmals urkundlich erscheint. 1495 wurde ihr der Reichsfreiherrenstand verliehen. 1629 wurde sie in den Grafenstand erhoben. Dies hing mit der Erwerbung der niedersächsischen Herrschaft Hohenstein zusammen, wodurch es zum zweiten Namen kam. Diese blieb aber nicht lange im Besitz der Familie, die weit verzweigt ist. Thun und Hohenstein gehörte dem Zweig „Castel Brughier“ und innerhalb diesem der Böhmischen Linie, Fideikommiß Tetschen, an.

Wie im Adel damals üblich wurde Thun und Hohenstein in Prag privat unterrichtet, studierte dann vom Wintersemester 1827/28 bis zum Sommersemester 1831 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Ferdinands-Universität Prag (abs. iur.) und unternahm anschließend bis 1835 die im Adel weit verbreitete „Kavalierstour“ in europäische Länder. Nach seiner Heimkehr trat er 1836 in den Staatsdienst ein und war zuerst beim Prager „Criminalgericht“, dann bei Kreisverwaltungen eingesetzt.

1845 wurde Thun und Hohenstein als Regierungssekretär nach Wien berufen und war bei der Vereinigten Hofkanzlei tätig. Neben seinen Aufgaben als Staatsbeamter veröffentlichte er mehrere politischen Schriften. In diesen trat er auch für die tschechische und slowakische Sprache bzw. Kultur ein. Im Jahr 1846 war er einige Monate in Galizien eingesetzt, kehrte wieder nach Wien zurück und wurde am 30. Oktober 1847 zum Gubernialrat in Galizien ernannt. Im April 1848 – mitten in der unruhigen Revolutionszeit – wurde er zum Gubernialpräsidenten für Böhmen bestellt, wo er versuchte, zwischen den verschiedenen Parteiungen und den beiden Sprachgruppen vermittelnd zu wirken.

Während der Pfingstunruhen (Slawenkongreß) in Prag wurden Thun und Hohenstein und seine Frau am Pfingstmontag, dem 12. Juni 1848, von Aufständischen inhaftiert. Dabei wurde von diesen angekündigt, ihn aufzuhängen, falls Militär eingesetzt werde. Dies geschah dann nicht, so dass beide bereits am 13. Juni wieder freigelassen wurden. Da er in der Folge mit der Regierung in Wien nicht harmonierte, wurde er als Gubernialpräsident am 19. Juli 1848 entlassen und lebte in Prag vorerst als Privatier.

THUN UND HOHENSTEIN ALS BILDUNGSREFORMER

Mit kaiserlichen Erlaß vom 28. Juli 1849 wurde Thun und Hohenstein zum k. k. Minister für Cultus und Unterricht ernannt. Die Kultusangelegenheiten waren bisher dem Innenministerium zugeteilt. Mit seiner Ernennung wurden sie ins Unterrichtsministerium überführt, wo sie bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts verblieben. Am 22. August 1849 trat er in Wien seinen Dienst an.

Während der Revolutionszeit sind die Unterrichts- und Bildungsangelegenheiten in den Hintergrund getreten. Jedoch hat sich ein enormer Reformstau angesammelt, dessen Erledigung an der Schwelle zur Moderne unbedingt notwendig war, um die Stellung Österreichs als kontinentale Großmacht zu sichern. Im Gymnasium wurde außer den klassischen Sprachen Latein und Griechisch kaum was anderes unterrichtet, der Fortschritt in den Naturwissenschaften und der Technik blieb weitgehend ausgeblendet. Und die Universitäten hatten primär die Aufgabe, staatstreue Beamte und Ärzte auszubilden.

Thun und Hohenstein setzte relativ rasch die notenwendigen Reformen um, wobei er auf zahlreiche Vorarbeiten zurückgreifen konnte und diese nun politisch durchsetzte. Bereits am 16. September 1849 wurden die Gymnasien reorganisiert und 1851 die Realschulen eingeführt. Bei den Gymnasien wurde die sechsjährige Schulzeit auf acht Jahre erhöht, wofür dann der zweijährige Vorbereitungskurs auf den Universitäten entfiel. Der allgemeinen Bildung wurde mehr Stellenwert eingeräumt. Die Realschulen dienten vorzugsweise dem gewerblichen Unterricht. Aus ihnen entstanden dann die sog. Staatsgewerbeschulen, die Vorläufer der Berufsbildenden Höheren Schulen, wo Österreich im Vergleich noch heute einzigartig dasteht. Ebenso wurde die Lehrerausbildung verbessert.

1849/50 erfolgten die Verordnungen über das Studienwesen an den drei weltlichen Fakultäten. Zahlreiche weitere Verordnungen im Bereich Universitäten und Schulwesen wurden erlassen. Dabei wurde dem Beispiel des Humboldt’schen Prinzips von der Verbindung von Wissenschaft und Lehre gefolgt. Auch wurde eine vorerst selbständige Evangelisch-Theologische Fakultät in Wien errichtet und das Institut für Österreichische Geschichtsforschung als Post-graduate-Einrichtung durch Albert Jäger (AIn EM) gegründet. Damit wurde das Bildungswesen in Österreich auf einen Stand gebracht, der dann mehr als 100 Jahre halten sollte. Erst unter dem Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (NdW) (1954 bis 1964) begannen dann wieder Reformen, die erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts ihren vorläufigen Abschluß fanden.

In die Amtszeit Thun und Hohensteins fielen auch die Verhandlungen zu einem Konkordat, das dann am 18. August 1855 unterzeichnet wurde. Er hatte hohen Anteil an dessen Zustandekommen. Es sollte aber nur 15 Jahre Bestand haben. Denn nach der Verkündigung des Infallibilitätsdogmas auf dem I. Vatikanischen Konzil im Jahr 1870 wurde es seitens Österreichs aufgekündigt.

THUN UND HOHENSTEIN ALS KATHOLISCH-KONSERVATIVER POLITIKER

Aufgrund des Oktoberdiploms vom 20. Oktober 1860 trat Thun-Hohenstein an diesem Tag als Minister zurück. Die provisorische Leitung des Ministeriums übernahm bis 4. Februar 1861 sein bisheriger Unterstaatssekretär Josef Alexander Frhr. von Helfert (AW EM). Danach wurde das Ministerium in einen k. k. Unterrichtsrat umgewandelt, der dem Staatsministerium (Regierung) direkt unterstand und dessen Präsident dann Helfert bis 1863 war. Erst 1867 wurde das Ministerium wieder errichtet.

Mit seinem Rücktritt als Minister wurde Thun und Hohenstein zum Mitglied des durch das Oktoberdiplom eingeführten ständigen Reichsrats ernannt. Dies blieb er nur kurze Zeit bis März 1861. Mit dem Februarpatent von 1861 wurde der Reichsrat mit zwei Häusern eingerichtet, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Thun und Hohenstein wurde am 18. April 1861 von Kaiser Franz Joseph zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses ernannt.

Mit dem Februarpatent wurden in den Ländern auch die Landtage wieder eingeführt, zu denen nach dem Kurienwahlrecht gewählt wurde. Thun und Hohenstein wurde in Böhmen vom Großgrundbesitz gewählt und gehörte dessen Landtag vom 6. April 1861 bis 21. Dezember 1866 (I. Wahlperiode), vom 30. August 1870 bis zum 13. März 1872 (IV. Wahlperiode) und vom 5. Juli 1883 bis zu seinem Tode (VII. Wahlperiode) an.

Thun und Hohenstein betätigte sich im Herrenhaus wie im böhmischen Landtag als eifriger Debattenreden, wo er zum einen für die Rechte der katholischen Kirche bzw. der Katholiken eintrat, zum anderen sich zu juristischen Fragen zu Wort meldete. Ab 1883 gehörte er in Böhmen der tschechischen Autonomiefraktion an. Als 1868 die kulturkämpferischen sog. „Mai-Gesetze“, mit denen das Konkordat ausgehöhlt wurde, zur Abstimmung gelangten, wollte er als Herrenhausmitglied zurücktreten, was aber der Kaiser ablehnte.

Thun und Hohenstein wurde dadurch zu einem der Wegbereiter des Politischen Katholizismus in Österreich und stand mit am Anfang der Katholisch-Konservativen Bewegung. Von seiner Einstellung war er Föderalist sowie gegen jeden Zentralismus eingestellt und trat für gewisse Autonomien der Volksgruppen ein. Von 1865 bis 1888 – kurz vor seinem Tod – war er Herausgeber der katholisch-konservativen Tageszeitung „Das Vaterland“, in dessen Redaktion er 1875 Karl Frhr. von Vogelsang (AW EM) holte, obwohl das Verhältnis zwischen den beiden nicht immer konfliktfrei war.

Thun und Hohenstein war mit Karoline, geb. Gräfin Clam-Martinitz, verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Er war Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies und besaß u. a. das Großkreuz des Leopoldordens. Die Ehrenmitgliedschaftsverleihung der Austria Wien an ihn stand im Zusammenhang mit deren Stellung innerhalb der Katholisch-Konservativen Bewegung.

Thun und Hohenstein wollte nicht in der Gruft des Schlosses Tetschen bestattet werden sondern außerhalb. So wurde er diesem Wunsch entsprechend in der äußeren Umfriedung der St. Johannes-Kapelle, die sein Vater über der alten Gruft erbauen ließ, bestattet. Der feierlichen Einsegnung der Leiche im St. Stephansdom zu Wien wohnte der Kaiser bei.

In seiner Gedenkrede entwarf der Präsident des Herrenhauses das folgende Charakterbild: „Die schönsten und edelsten Eigenschaften des Geistes und Herzens zeichneten den Grafen Leo Thun aus. Erfüllt vom wärmsten Patriotismus, war sein Leben seinem Vaterland und allem, was er als edel erkannte, gewidmet. Und wenn im parlamentarischen Leben eine jede mit voller Kraft der Überzeugung vertretene Ansicht Gegner findet, so wird dem Grafen Leo Thun gegenüber gewiß auch der Gegner erkannt haben, wie sehr in ihm das edelste Gefühl der Pflicht, für das einzustehen, was er als heilsam und gut erkannt, der Beweggrund seines Denkens seines Handelns und Wirkens war. Unmöglich kann ich hier unerwähnt lassen sein seltenes Rednertalent, durch welches er zum Ruhme und zur Zierde des Hauses beitrug, und mit welchem er sich immer auszeichnete und bewährte als tiefdenkender Staatsmann, als Mann von Edelsinn, charakterfester Überzeugung und bis in sein innerstes Wesen durchdrungen von einem warmen Gefühl für Religion und Moral, für alles Gute, Edle und Schöne.“

Werke:

(Auswahl)
Die Notwendigkeit der moralischen Reform der Gefängnisse (1836).
Über den gegenwärtigen Stand der böhmischen Literatur (1842).
Der Stellung der Slowaken in Ungarn (1843).
Die staatliche Zweispaltung Österreichs (1867).
Zur Revision des ungarischen Ausgleichs (1877).

Quellen und Literatur:

Wurzbach, Constantin: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Band 45. Wien 1882, 54–62.
Franfurter, Salomon: Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Unterrichtsreform. Wien 1893.
Frankfurter, Salomon: Leo Graf Thun-Hohenstein, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Band 28. Leipzig 1894, 178–212.
Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Gräflichen Häuser 1912. Gotha o. J. (1912), 959f.