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Univ.-Prof. Dr. Josef Nadler

Univ.-Prof. Dr. Josef Nadler

Urverbindung: Ferdinandea (Prag) zu Heidelberg (17.10.1904)

Geboren: 23.05.1884, Neudörfel (Nová Víska, Bezirk Reichenberg [Liberec] Böhmen)
Gestorben: 14.11.1961, Wien
Aus dem CV ausgeschieden, Universitätsprofessor (Germanistik)

Lebenslauf:

Nadler wurde als Sohn eines Werkmeisters in einer Stahlfabrik geboren. Das Gymnasium besuchte er zuerst bei Jesuiten in Mariaschein (Bohosudov), dann in Böhmisch-Leipa (Ceská Lípa), wo er 1904 die Matura ablegte. Anschließend begann er das Studium der Germanistik (Nebenfach Klassische Philologie) an der deutschen Karl-Ferdinands-Universität Prag (Dr. phil. 1908), wo er der Ferdinandea beitrat. Am selben Tag wie er wurde auch der spätere steirische Landesrat Adolf Enge (Fd, Cl) rezipiert. Nadler wurde noch rasch vor den Sommerferien 1908 promoviert, weswegen er sich wegen mangelnden „Doktorpotus“ in der „Academia“ entschuldigte. Er findet sich nicht in den CV-Gesamtverzeichnissen der Jahre 1927, 1929 und 1931, wohl jedoch im ersten ÖCV-Gesamtverzeichnis 1935. Daher dürfte er zeitweise nicht der Ferdinandea angehört haben.

Nach dem Studium absolvierte Nadler sein Einjährig-Freiwilligenjahr. Danach begann er eine wissenschaftliche Laufbahn im Fach Germanistik bzw. deutsche Literaturgeschichte. Von einem Regensburger Verlag erhielt er den Auftrag, eine zweibändige populäre deutsche Literaturgeschichte zu verfassen. Durch seinen Lehrer in Prag August Sauer wurde er nun angeregt, diese Literaturgeschichte nach den „deutschen Stämmen“ zu gliedern, um feststellen zu können, welche Einflüsse regionale Gegebenheiten auf die Literatur hatten. 1912 erschien der erste Band, 1913 der zweite und 1918 der dritte Band seiner „Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften“.

Aufgrund seines ersten Bandes erhielt Nadler bereits 1912 einen Ruf nach Freiburg/Schweiz, wo er als Nachfolger von Wilhelm Kosch (NbB [ehemals Nc]) zuerst zum außerordentlichen und dann 1914 zum ordentlichen Universitätsprofessor für Germanistik ernannt wurde. Dort lehrte er – unterbrochen nur vom Kriegsdienst von 1914 bis 1917 – bis 1925. In diesem Jahr erhielt er einen Ruf an die Universität Königsberg (Ostpreußen) und 1931 einen nach Wien. Nadler arbeitete damals auch an der 4. Auflage der bisher erschienen drei Bände seiner Literaturgeschichte sowie an dem vierten Band.

Nadler stellte eigenen Angaben zufolge Mitte August 1938 den Antrag um Aufnahme in die NSDAP, war also ab diesem Zeitpunkt „Parteianwärter“. Diesem Antrag wurde im Winter 1939/40 stattgegeben, und Nadler erhielt die Mitgliedschaft mit 1. Mai 1938 datiert. Dieses Datum bekamen in der Regel nur die „Illegalen“, die vor dem Anschluß Österreichs der NSDAP beigetreten waren. Ende 1942 sah sich Nadler gezwungen, wegen einer „diskriminierenden Angelegenheit“ das Gaugericht Wien zu befassen, wobei es um Beschwerden u. a. gegen Joseph Goebbels ging. Mit dieser Angelegenheit war auch Martin Bormann, der „Sekretär des Führers“, befaßt.

Nachdem bekannt wurde, daß Nadler 1935 gegen jemanden geklagt hatte, der ihn als Nazi bezeichnet hat, entschied Bormann, daß Nadler zu Unrecht das prominente Eintrittsdatum 1. Mai 1938 erhalten hatte. Seine Aufnahme sei daher zurückzunehmen und Nadler „ehrenvoll“ aus der Partei zu entlassen“. Diese Entscheidung der Parteikanzlei wurde jedoch in Wien, u. a. vom Gauleiter Baldur von Schirach, hintertrieben. Es ist daher nicht klar, ob und in welchem Sinn hier entschieden wurde. Nadler hatte jedenfalls von diesen Hin und Her nichts erfahren.

Nach dem Krieg wurde aber davon ausgegangen, daß Nadler NSDAP-Mitglied gewesen war. Er wurde daher 1945 außer Dienst gestellt und 1947 pensioniert. Auf jeden Fall wurde er deswegen nach dem Krieg nicht mehr in die Ferdinandea bzw. den CV wiederaufgenommen.
Er kämpfte jedoch um seine Rehabilitierung und veröffentlichte weiter, so u. a. 1948 seine Literaturgeschichte Österreichs. Während des Krieges unterstützte er seinen Bundesbruder Josef Bick (Fd) finanziell, der seines Postens als Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek enthoben wurde.

Nadlers vierbändige Literaturgeschichte ist die letzte große Gesamtdarstellung nach dem Gliederungsgrundgedanken des „Stammes“ bzw. nach nunmehriger Diktion der Region. Sie wurde dadurch zu einem wesentlichen Dokument der Germanistik und hatte wegen ihres umfangreichen eingearbeiteten Materials einen großen Erfolg mit mehreren Auflagen. Jedoch läßt sich in der Abfolge der vier Bände eine Entwicklung Nadlers feststellen. Während er noch bis 1918 dem kulturell-politischen Rahmen der Habsburgermonarchie verbunden blieb, sind in seinem vierten Band, der bis 1940 reicht, großdeutsche bzw. nationalsozialistische Tendenzen (wie z. B. Antisemitismus) erkennbar. Allerdings gibt es in letzter Zeit (2012) ernstzunehmende Tendenzen den Wurf Nadlers mit seiner Literaturgeschichte wieder positiv zu sehen. Er war auf jeden Fall einer der bedeutendsten deutschsprachigen Literaturhistoriker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Einer seiner Schüler war übrigens der Germanist Moritz Enzinger (ehemals Cl), zuerst Professor in Innsbruck, dann in Wien. Er trat kurz vor dem Anschluß aus der Carolina aus und der NSDAP bei, wurde aber nach 1945 trotzdem weiterbeschäftigt.

Werke:

(Auswahl)
Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, vier Bände (1912–1928).
Das österreichische Volksstück (1921)
Buchhandel, Literatur und Nation in Geschichte und Gegenwart (1932).
Franz Grillparzer (1948).
Literaturgeschichte Österreichs (1948).
Geschichte der deutschen Literatur (1951).

Quellen und Literatur:

Academia 21 (1908/09), S. 172.
Meissl, Sebastian/Nemec, Friedrich: Josef Nadler, in Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 690–692. Online-Fassung: www.deutsche-biographie.de/pnd11873805 (Abruf 9, 1, 2016)
Garber, Klaus: Stämme, Regionen und die Dichtung. Rudolf Borchardt und Josef Nadler: Literaturgeschichte als Zeugnis deutschen Geistes, in: Frankfurter Allgemeine, 17. 10. 2012, S. N3.
Fechter, Beate: Josef Bick. Versuch einer Monographie. Wien (phil. Dipl.-Arb.) 2013, S. 89–114.