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RA LAbg. Univ.-Prof. Rektor Dek. Dr. Eduard Reut-Nicolussi

RA LAbg. Univ.-Prof. Rektor Dek. Dr. Eduard Reut-Nicolussi

Urverbindung: Austria Innsbruck (19.10.1906)

Bandverbindungen: R-D, Trn, AlIn

Geboren: 22.06.1888, Trient
Gestorben: 18.07.1958, Innsbruck
Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer, Landtagsabgeordneter (Tirol), Obmann der Tiroler Volkspartei (Südtirol), Universitätsprofessor (Völkerrecht), Rechtsanwalt

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Reut-Ni­co­lus­si wurde als Sohn eines Leh­rers ge­bo­ren und stamm­te aus der deut­schen (cim­bri­schen) Sprach­in­sel Lu­sern (Lu­ser­na) am Rande der „Sie­ben Ge­mein­den“ (setti com­mu­ni). Dort hieß jeder zwei­te Ein­woh­ner Ni­co­lus­si. Die Volks­schu­le sowie das deut­sche Gym­na­si­um ab­sol­vier­te er in Tri­ent. Nach der Ma­tu­ra be­gann er 1906 mit dem Stu­di­um an der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Inns­bruck (Dr. iur. 1911), wo er der Aus­tria bei­trat (Cou­leur­na­me Dr. cer. Schill). Dort war er hin­ter­ein­an­der im Som­mer­se­mes­ter 1908, im Win­ter­se­mes­ter 1908/09 und im Som­mer­se­mes­ter 1909 drei­mal Se­ni­or. In seine Stu­di­en­zeit fiel auch der Hö­he­punkt des aka­de­mi­schen Kul­tur­kamp­fes („Wahr­mund­jahr 1907/08“). Da­nach ab­sol­vier­te er das Ge­richts­jahr und war ab 1912 als Rechts­an­walts­an­wär­ter tätig. Seit 1920 war er selb­stän­di­ger Rechts­an­walt in Bozen.

Vom Ok­to­ber 1915 bis zum Ende des Krie­ges dien­te Reut-Ni­co­lus­si beim 4. Ti­ro­ler Kai­ser­jä­ger­re­gi­ment, wurde gleich am 28. Ok­to­ber 1915 am Col die Lana schwer ver­wun­det (letz­ter Dienst­grad Ober­leut­nant der Re­ser­ve; Aus­zeich­nun­gen: Si­gnum lau­dis, gol­de­ne Tap­fer­keits­me­dail­le, Karl-Trup­pen­kreuz).

POLITISCHE LAUFBAHN

Nach dem Krieg wid­me­te sich Reut-Ni­co­lus­si dem Kampf für die Rech­te Süd­ti­rols und grün­de­te 1919 den An­dre­as-Hofer-Bund für die Lan­des­ein­heit Ti­rols. Er ge­hör­te seit dem 26. Ok­to­ber 1918 dem Ti­ro­ler Na­tio­nal­rat an, dem Voll­zugs­aus­schuß der Ti­ro­ler Na­tio­nal­ver­samm­lung (die deut­schen Ab­ge­ord­ne­ten des ehe­ma­li­gen Land­tags und des Reichs­rats), ab 21. De­zem­ber 1918 der pro­vi­so­ri­schen Ti­ro­ler Na­tio­nal­ver­samm­lung (neues, von den Par­tei­en be­schick­tes Gre­mi­um) und ab 1. Juli 1919 dem Ti­ro­ler Land­tag als er­nann­tes Mit­glied.

Am 4. April 1919 wurde Reut-Ni­co­lus­si als Süd­ti­ro­ler Ab­ge­ord­ne­ter zum Mit­glied der Kon­sti­tu­ie­ren­den Na­tio­nal­ver­samm­lung (KNV) auf­grund einer Par­tei­en­ver­ein­ba­rung be­ru­fen, nach­dem in­fol­ge der be­reits er­folg­ten ita­lie­ni­schen Be­set­zung eine Wahl zur KNV in Süd­ti­rol nicht mehr mög­lich war. Auf­grund des Frie­dens­ver­trags von St. Ger­main en­de­ten seine Man­da­te of­fi­zi­ell am 18. No­vem­ber bzw. 15. De­zem­ber 1919. Seine letz­ten Worte in der KNV waren: „Es wird jetzt in Süd­ti­rol ein Ver­zweif­lungs­kampf be­gin­nen um jeden Bau­ern­hof, um jedes Stadt­haus, um jeden Wein­gar­ten. Es wird ein Kampf sein mit allen Waf­fen des Geis­tes und mit allen Mit­teln der Po­li­tik. Es wird ein Ver­zweif­lungs­kampf des­halb, weil wir – eine Vier­tel­mil­li­on Deut­sche – gegen 40 Mil­lio­nen Ita­lie­ner ste­hen, wahr­haft ein un­glei­cher Kampf.“. Er frag­te er die Ab­ge­ord­ne­ten, was sie von der Ab­tren­nung Süd­ti­rols hiel­ten, sie rie­fen ein­stim­mig: „Nein, nein, nie­mals, nie­mals!“

Reut-Ni­co­lus­si be­tä­tig­te sich wei­ter in der Po­li­tik, wurde Ob­mann der Ti­ro­ler Volks­par­tei Süd­ti­rols und bil­de­te mit den Gro­ß­deut­schen für die am 15. März 1921 statt­ge­fun­de­nen ita­lie­ni­schen Par­la­ments­wah­len unter dem Namen „Deut­scher Ver­band“ eine Wahl­platt­form. Der ita­lie­ni­schen Ab­ge­ord­ne­ten­kam­mer ge­hör­te er ab 21. Juni 1921 an. Am „Blut­sonn­tag“ in Bozen, dem 24. April 1921, ent­ging er nur durch Zu­fall knapp den Ku­geln der Fa­schis­ten. Kurze Zeit spä­ter, am 22. Juli, wurde er vor der Kam­mer in Rom von einem Fa­schis­ten tät­lich in­sul­tiert.

Für die letz­ten halb­wegs frei­en Wah­len in Ita­li­en im April 1924 wurde Reut-Ni­co­lus­si wegen sei­ner kom­pro­mi­ß­lo­sen Hal­tung nicht mehr als Kan­di­dat auf­ge­stellt. Be­reits 1923 legte er die Ob­mann­schaft der Ti­ro­ler Volks­par­tei nie­der, blieb aber wei­ter­hin ge­mein­sam mit Mi­cha­el Gam­per (AleI EM) im „Deut­schen Ver­band“ füh­rend tätig.

KÄMPFER FÜR DIE RECHTE DER SÜDTIROLER

Sein Kampf für die Rech­te der Süd­ti­ro­ler brach­te Reut-Ni­co­lus­si am 19. Sep­tem­ber 1927 die Strei­chung aus der An­walts­lis­te ein. Ihm wurde vor­ge­wor­fen, die Ver­tei­di­gung von zwei Leh­re­rin­nen über­nom­men zu haben, die pri­vat Kin­dern Deutsch­un­ter­richt er­teilt hät­ten. Da nun sei­ner be­ruf­li­chen Exis­tenz der Boden ent­zo­gen war und er auch Ge­fahr lief, ver­haf­tet zu wer­den, floh er auf­grund einer ver­trau­li­chen War­nung am 23. Sep­tem­ber 1927 bei „Nacht und Nebel“ über die Ötz­ta­ler Glet­scher nach Ös­ter­reich bzw. Inns­bruck. Das tat vier Jahre spä­ter auf der­sel­ben Route auch Josef Luch­ner (Vi), der aber wäh­rend der Flucht an Ent­kräf­tung starb.

In Inns­bruck setz­te Reut-Ni­co­lus­si sei­nen Kampf für die In­ter­es­sen Süd­ti­rols in Wort und Schrift fort und fand damit auch im CV (Aca­de­mia) Be­ach­tung, ge­riet aber bei der Po­si­tio­nie­rung sei­ner Süd­ti­rol­po­li­tik zu­neh­mend zwi­schen den Polen des Heim­wehr-Fa­schis­mus und des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus.

Am 20. No­vem­ber 1931 ha­bi­li­tier­te sich Reut-Ni­co­lus­si an der Inns­bru­cker Uni­ver­si­tät für Völ­ker­recht. Nach­dem er sich offen gegen eine deut­sche Eh­rung an den ita­lie­ni­schen Un­ter­richts­mi­nis­ter aus­ge­spro­chen hatte, wurde am 8. No­vem­ber 1932 seine Vor­le­sung von na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stu­den­ten ge­sprengt. Das war der Be­ginn des „hei­ßen Herbs­tes“ 1932 (Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen CVern und Na­tio­nal­so­zia­lis­ten), an des­sen Ende die Auf­lö­sung der Deut­schen Stu­den­ten­schaft in Ös­ter­reich stand. Am 28. März 1934 wurde er zum au­ßer­or­dent­li­chen Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor für Völ­ker­recht an der Uni­ver­si­tät Inns­bruck er­nannt.

Die Süd­ti­rol-Po­li­tik in der Vor­pha­se zum „Stän­de­staat“ bzw. in des­sen ers­ter Phase war stark von des­sen Af­fi­ni­tä­ten zu Mus­so­li­ni und dem ita­lie­ni­schen Fa­schis­mus ge­prägt. Das führ­te zu einer Di­stan­zie­rung Reut-Ni­co­lus­sis vom „Stän­de­staat“ bzw. sogar zu Kon­flik­ten mit ihm, die 1935 auch zu einem Zer­würf­nis mit sei­ner Mut­ter­ver­bin­dung Aus­tria führ­ten, der ja auch Bun­des­kanz­ler Kurt Schu­sch­nigg (AIn) an­ge­hör­te. Reut-Ni­co­lus­si er­hielt sogar ein Haus­ver­bot bei der Aus­tria. Deut­lich spie­gelt sich das auch in einem Schrei­ben Ri­chard Wol­leks (AIn) im Juni 1935 an ihn wie­der.

Ob­wohl ein Geg­ner des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus hoff­te Reut-Ni­co­lus­si mit dem An­schluß 1938 auf eine Lö­sung des Süd­ti­rol­pro­blems, wurde aber bald ent­täuscht, nicht zu­letzt auf­grund der 1939 zwi­schen Hit­ler und Mus­so­li­ni ver­ein­bar­ten Aus­sied­lung der Süd­ti­ro­ler (sog. „Op­ti­on“), die dann in­fol­ge des Krie­ges nicht in dem ge­wünsch­ten Sinn von­stat­ten gehen konn­te.

VON 1938 BIS ZU SEINEM TOD

Reut-Ni­co­lus­si blieb nach dem An­schluß zwar Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Inns­bruck, war je­doch po­li­ti­schem Druck aus­ge­setzt. Es be­stand die Ge­fahr einer Ver­set­zung nach Wien. Gegen Ende des Krie­ges war er in Inns­bruck aktiv im Wi­der­stand tätig. Als An­fang Mai 1945 US-Trup­pen Inns­bruck be­setz­ten, hielt er sich um Land­haus auf und hielt eine Be­grü­ßungs­re­de an die ame­ri­ka­ni­schen Kom­man­dan­ten.

Am 8. No­vem­ber 1945 wurde er zum or­dent­li­chen Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor er­nannt sowie für 1946/47 zum Dekan und 1951/52 zum Rek­tor der Uni­ver­si­tät Inns­bruck ge­wählt. Nach dem Krieg war Reut-Ni­co­lus­si wei­ter­hin un­er­müd­lich für Süd­ti­rol im Ein­satz. Al­ler­dings war er vom sog. „Gru­ber-De-Gas­pe­ri-Ab­kom­men“ zwi­schen dem ös­ter­rei­chi­schen Au­ßen­mi­nis­ter Karl Gru­ber (AW) und dem ita­lie­ni­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Al­ci­de de Gas­pe­ri vom Sep­tem­ber 1946 ent­täuscht und zog sich von der ak­ti­ven Po­li­tik zu­rück. 1958 wurde er eme­ri­tiert, kurz da­nach erlag er einer tü­cki­schen Krank­heit.

Reut-Ni­co­lus­si war einer der Stif­ter (im Sta­tus eines Band­phi­lis­ters) der am 23. Juni 1927 ge­grün­de­ten Rheno-Da­nu­bia.

Werke:

(Auswahl)
Tirol unterm Beil (1928, Reprint 1978).
Das altösterreichische Nationalitätenrecht in Welschtirol. Ein Beitrag zur Erforschung des Minderheitenproblems (1930).
Zur Problematik der Heiligkeit der Verträge. Eine Studie über die clausula rebus sic stantibus im Völkerrecht (1931).
Sind die Südtiroler eine geschützte Volksgruppe? (1957).

Quellen und Literatur:

Academia 40 (1927/28), 183.
Austrier-Blätter Nr. 27, 1958, 383–387.
Gehler, Michael: Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918 1958. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols. Zwei Teile (Biographie – Dokumentenband). Innsbruck 2007
„Mit allen Waffen des Geistes“. Ein Gedenken an Eduard Reut-Nicolussi (2008).
Kriss, Simon–Zathammer, Stefan: Austriae mortuis I. Die Verstorbenen Austrier der Rezeptionsjahrgänge von 1864–1910. Innsbruck 2024, 413f. und 537.