Lebenslauf:
HERKUNFT UND STUDIUM
Schlageter wurde als sechstes von elf Kindern eines katholischen Landwirts im südbadischen Wiesental (Südschwarzwald) geboren. Schönau gehörte bis 1805 zu Vorderösterreich. Nach der Volksschule besuchte er das Gymnasium jeweils in Freiburg/Br. sowie in Konstanz und lebte dort in erzbischöflichen Konvikten, weil er Priester werden wollte.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs legte Schlageter das Notabitur ab und rückte im Dezember 1914 zum 5. Badischen Feldartillerieregiment Nr. 79 ein. Dieses war den ganzen Krieg an der Westfront eingesetzt. Er wurde zweimal verwundet und 1917 zum Leutnant der Reserve ernannt. Im April 1918 wurde ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen. Im Wintersemester 1915/16 inskribierte er als Kriegsteilnehmer an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg/Br. Nach Kriegsende kehrte er nach Freiburg/Br. zurück, wechselte Anfang 1919 zum Studium der Nationalökonomie und trat der Falkenstein bei. Doch bereits im März 1919 verließ er Freiburg/Br., um sich einem Freikorps anzuschließen, und wurde in der Folge bei Falkenstein nicht mehr als Mitglied geführt.
SCHLAGETER ALS FREIKORPSKÄMPFER
Schlageter zählte zu jenen nicht wenigen jungen Männern, die sich nach 1918 im bürgerlichen Leben nicht mehr zurechtfanden und sich zu einer Art Condottiere entwickelten. Es zog ihn daher zu den zahlreichen „Schlachtfeldern“ der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sein erster, von der Reichsregierung beschlossener Einsatz führte ihn zum Lettischen Unabhängigkeitskrieg, wo er u. a. als Batterieführer im Mai 1919 an der Eroberung Rigas beteiligt war. Bis Ende 1919 kehrten diese Freikorpsverbände nach Deutschland zurück.
Danach gehörte Schlageter einem Freikorps an, das im März 1920 den Kapp-Putsch in Breslau unterstützte und an der Niederschlagung eines linken Aufstands im Ruhrgebiet beteiligt war. Danach war er als Landarbeiter tätig. Ab Anfang 1921 nahm er bei einem Freikorps an den Kämpfen in Oberschlesien teil und eröffnete 1922 mit einem Freikorps-Führer in Berlin ein Handelsunternehmen.
SCHLAGETER UND DER NATIONALSOZIALISMUS
Dazu sind zwei Vorbemerkungen notwendig. Zum einen ist es unbestritten, daß Schlageter, ohne seine katholische Verwurzelung in Frage zu stellen, durch sein Freikorps-Engagement in ein rechtsextrem-völkisches Milieu abgedriftet ist, wie es für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg für Deutschland zeittypisch war. In dieser Gemengelage ist in Bayern auch die NSDAP entstanden, bei der dann Adolf Hitler die Führung übernahm.
Zum anderen kann man die NSDAP der frühen zwanziger Jahre mit der der frühen dreißiger Jahre bzw. der vor allem ab 1933, nicht vergleichen. Ihr Wirkungskreis war damals mehr oder minder auf Bayern beschränkt. Erst ab 1924, nach der Haftentlassung Hitlers, begann die Partei, sich auch außerhalb Bayerns auszubreiten und in Berlin festzusetzen. Es gab zwar zwischen diesen frühen völkischen Splittergruppen und Kleinparteien untereinander Kontakte, deren tatsächliches Ausmaß aber quellenmäßig nicht übermäßig nachweisbar ist und rekonstruiert werden kann.
So wurde im November 1922 in Berlin-Steglitz die Großdeutsche Arbeiterpartei (GDAP) gegründet. Sie ist aber kaum in Erscheinung getreten und scheint bei den Berliner Kommunalwahlen nicht als wahlwerbende Gruppe auf. Es gibt zwar eine Mitgliederliste von ihr, bei der Schlageter aufscheint, jedoch aber keinen letztstichhaltigen Beweis, daß er Gründungsmitglied dieser Partei war. Möglicherweise ist das eine nachträgliche Erfindung der Nazis, um ihn so besser für sich vereinnahmen zu können.
Tatsache ist jedenfalls, daß es Ende 1922 in Berlin noch keine NSDAP-Ortsgruppe gegeben haben dürfte. Auch die Goebbels-Biographie von Rald-Georg Reuth (München 1990, S. 10uf.) läßt eindeutig den Schluß zu, daß in Berlin Ende 1922 alles andere, aber nicht die NSDAP vorhanden war. Tatsache dürfte es sein, daß die GDAP eine der zahlreichen völkischen Splitterparteien der frühen Weimarer Republik war, die sich ideologisch kaum unterschieden und in der Folge in der NSDAP aufgingen.
Selbst wenn Schlageter tatsächlich Mitglied dieser Partei gewesen wäre, so hat er ja relativ bald nach ihrer Gründung Berlin verlassen, um ins Ruhrgebiet zu ziehen. Möglich ist auch, daß ehemals „versprengte“ Mitglieder dieser Mini-Partei später beim Aufbau der NSDAP in Berlin beteiligt waren und sich daher so ein solcher Mythos herausgebildet hat. Auch hat sich Adolf Hitler Anfang 1923 aus taktischen Motiven vehement gegen die Beteiligung der NSDAP am Ruhrkampf ausgesprochen und angedroht, Mitglieder aus der Partei auszuschließen, die sich daran teilnehmen. Wäre also Schlageter Mitglied der NSDAP gewesen, so wäre er eo ipso ausgeschlossen worden. Die nachträgliche NS-Propaganda um Schlageter hatte aber diesen Umstand bewußt verschwiegen.
Festgehalten kann daher werden, daß Schlageter nicht Mitglied der (frühen) NSDAP war, wohl aber wahrscheinlich einer Berliner Splitterpartei, die ihr damals ideologisch sehr nahestand und deren Mitglieder später womöglich der NSDAP beigetreten sind.
SCHLAGETER IM RUHRKAMPF
Als am 11. Januar 1923 französische Truppen das Ruhrgebiet wegen ausbleibender Reparationszahlungen besetzten, rief die deutsche Reichsregierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno (Sv) zum passiven Widerstand auf, der breite Unterstützung fand. Da die Reichswehr gegen fünf einmarschierende französische Divisionen machtlos war, setzte man auf Sabotageakte, und der Reichsarbeitsminister und Priesterpolitiker Heinrich Brauns (Nv) unterstützte die streikenden Arbeiter finanziell.
Schlageter, seiner „bürgerlichen“ Existenz ohnedies nicht froh, sah seine Stunde wieder gekommen und stellte sich zur Verfügung. Er und sein „Stoßtrupp Essen“ verübten verschiedene Sprengstoffattentate: Insgesamt wurden zwischen März und August 1923 in diesem Ruhrkampf ca. 180 Sabotageakte verübt. Er bekam nun den Auftrag, eine Brücke auf der Haupteisenbahnstrecke zwischen Düsseldorf und Duisburg zu sprengen, und zwar bei Kalkum, nunmehr nördlicher Stadtteil von Düsseldorf. Diese Brücke befand sich unmittelbar nördlich des nunmehrigen Flughafenbahnhofes.
Dieses Attentat geschah am 15. März, und die Berichte über das Ausmaß des Schadens sind widersprüchlich. Jedenfalls kamen dabei Menschen nicht zu Schaden. Die Franzosen konnten Schlageter am 7. April wahrscheinlich aufgrund eines Verrates verhaften und verurteilten ihn am 9. Mai wegen Spionage und Sabotage zum Tode. Eine Revision wurde abgewiesen. Gnadengesuche des Heiligen Stuhls, der Erzbischöfe von Köln und Freiburg/Br. sowie der schwedischen Königin Viktoria, einer geborenen badischen Prinzessin (Schlageter stammte ja aus Baden) blieben erfolglos. Aus innenpolitischen Gründen sah sich der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré gezwungen, die Verurteilung vollstrecken zu lassen. Vom ihn betreuenden Gefängnispfarrer Hermann Faßbender (RBo, Fl) erhielt Schlageter die letzten Tröstungen, am 26. Mai 1923 um 3 Uhr in der Früh wurde er zur Erschießung auf die Golzheimer Heide (nördliches Düsseldorf) geführt. Diese ist inzwischen weitgehend verbaut.
DER KULT UM SCHLAGETER
Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich damals der Bevölkerung Deutschlands und auch Österreichs, an der Spitze natürlich auch des CV: „CV, er war von deinem Blut!“, so schrieb der Academia-Redakteur Joseph Weiß (Ae). Der CV hielt zahlreiche Trauerkundgebungen und Gottesdienste ab, so auch in Österreich. Schlageter wurde zur Symbolgestalt des Widerstands gegen den „Versailler Diktat- und Schandfrieden“. Bald konstituierte sich ein über die Parteigrenzen hinweg zusammengesetztes Denkmalkomitee, das vom CV unterstützt wurde. Der damals an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrende Architekt Clemens Holzmeister (Nc) wurde für den Entwurf eines Denkmals am Düsseldorfer Nordfriedhof, in der Nähe des Erschießungsortes, betraut, das 1931 fertiggestellt, jedoch dann 1946 nach Beschluß des Düsseldorfer Stadtrats wieder geschliffen wurde. Das Düsseldorfer Denkmal war das erste dieser Art, diesem Beispiel folgend wurden weitere errichtet.
Die zweite „Hinrichtung“ Schlageters fand aber durch die Nazis statt, als sie sich bald seiner propagandistisch bemächtigten: „Der erste Soldat des Dritten Reiches.“ Hitler erwähnte ihn gleich zu Beginn seines Buches „Mein Kampf“, das 1924 – ein Jahr nach der Hinrichtung Schlageters – abgefaßt wurde. Ähnlich wie Horst Wessel (C! Normannia Berlin, C! Alemannia Wien-Linz) sollte er zu einer nationalsozialistischen Vorläufer-Ikone hochstilisiert werden. Die deutsche Kriegsmarine benannte nach ihm sogar ein Segelschulschiff, das dann bis über die letzte Jahrhundertwende hinaus in Portugal im Einsatz war. Als nach der Zerschlagung des studentischen Verbindungs- und Vereinswesens Kameradschaften des NSDStB errichtet wurden, wurde faktisch in jeder Hochschulstadt eine solche nach Schlageter benannt. Ebenso wurden nach der Machtergreifung Hitlers zahlreiche Straßen nach ihm benannt, die 1945 wieder rückbenannt wurden.
Nach 1945 geriet Schlageter naturgemäß in Vergessenheit, bis in den siebziger Jahren rechte Gruppen versuchten, sich seiner Person wieder zu bemächtigen. Bemerkenswert hingegen ist, daß sich der bekannte Schriftsteller Martin Walser 1981 für ihn verwendete: „Ich halte Schlageter weder für einen Bluthund noch für einen Mörder. [...] Ich halte ihn für einen Braven, für einen Katholiken, für einen Begabten, für einen Bauernbuben, für einen Reinen, für einen, der erzogen wurde, Höherem zu dienen.“
Schlageter war möglicherweise ein aus der damaligen Zeit her erklärbarer Wirrkopf, ein durch die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts existentiell Entwurzelter, aber rückblickend bzw. aus den Erfahrungen bis 1945 kein Nazi. Er war hingegen gläubiger Katholik. Um zu verhüten, daß bei den Anschlägen Menschen umkommen, hat er z. B. die Pistolen seiner Kameraden eingesammelt. Und beim Prozeß redete er sich nicht heraus und nahm seine Mitangeklagten in Schutz.
SCHLAGETER UND DER CV
Für den CV bis 1933 war Schlageter eine verehrungswürdige Symbolgestalt, ein „Held des Vaterlands“ (Reichskanzler Wilhelm Cuno), ein Märtyrer, der erste in der Reihe der 1282 Gefallenen CVer des Ersten Weltkriegs. Im CV wurde Schlageter nach 1945 mehr oder minder „schamhaft“ verschwiegen. Als im Mai 2002 die Cartellversammlung in Düsseldorf in einem Hotel in unmittelbarer Nähe der Hinrichtungsstätte stattfand, gab es keinen wie immer gearteten Hinweis auf den örtlichen wie auch zeitlichen Zusammenhang.
Bezüglich der CV-Mitgliedschaft Schlageters gab es immer wieder Unklarheiten, damals wie heute. Dazu erklärte der Vertreter der Falkenstein auf der 57. Cartellversammlung 1927 in Münster, daß – nachdem sich Schlageter „einer Grenzschutzorganisation angeschlossen“ hatte – es keinen Kontakt mehr zwischen ihm und der Verbindung gegeben hätte. Daraufhin sei er ein Jahr später als Mitglied gestrichen worden. Nach seiner Verhaftung und dem Bekanntwerden seines Schicksals sei er bei Falkenstein wieder als Mitglied geführt worden, so daß er als CVer gestorben ist. Schlageter stellte im CV auch einen zweifelhaften Rekord auf: Zwischen 1933 und 1945 war er jener CVer, nach dem die meisten Straßen benannt wurden.
Schlageter wurde zuerst auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof bestattet. Bald darauf wurde er auf den Friedhof seines Heimatortes Schönau überführt.
Quellen und Literatur:
http://www.kreuzberg.de/geschich/1920, 3, vom 28. 8. 2002Derichsweiler, Peter: Geschichte und Tat. Gedanken zum Heldensterben Albert Leo Schlageters und Das Schlageter-Ehrenmal in Düsseldorf, in: Hagen, Hermann (Th): Der CV gedenkt seiner im Weltkrieg gefallener Brüder. Im Auftrag des CV-Beirates herausgegeben (= Flugschriften aus dem CV, Neue Folge 9). München 1930, S. 54–56.
Klocke, Aloys: Geschichte der Katholischen Deutschen Studentenverbindung im CV Falkenstein in Freiburg (Breisgau) 1912–1962. Freiburg/Br. o. J. (1962).
Franke, Manfred: Albert Leo Schlageter. Der erste Soldat des 3. Reiches. Die Entmythologisierung eines Helden. Köln 1980.
Walser, Martin: Schlageter – eine typisch deutsche Verlegenheit, in: Allmende. Eine alemannische Zeitschrift 1 (1981), S. 78f.
Academia 76 (1983), S. 132 (Norbert Stahl)
Janssen, Karl-Heinz: „Der erste Soldat des Reiches.“ Schicksal und Mythos des Albert Leo Schlageter, in: Die Zeit, 2. 12. 1999, S. 106.
Zwicker, Stefan: Albert Leo Schlageter – eine Symbolfigur des deutschen Nationalismus zwischen den beiden Weltkriegen, in: Nationalismus und nationale Identität in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von BERNARD LINEK und KAI STRUVE (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung Bd. 12). Marburg 2000.
Hartmann, Gerhard (Baj): C. V. auf blutgetränktem Boden. Erinnerung an Albert Leo Schlageter (Fl) wurde versäumt, in: Academia 94 (2002), S. 255–257.
Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“: Albert Leo Schlageter und Julius Fucik. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Paderborn 2006.
Hartmann, Gerhard): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich.
Kevelaer 2006, S. 351–353.
Pohl, Markus (G-S): Albert Leo Schlageter. Soldat–CVer–Mythos, in: Studenten-Kurier 2/2018, 11–17.