Wartungsfunktionen

Gerhard Pchalek

Gerhard Pchalek

Urverbindung: Traungau (24.05.1930)

Geboren: 20.05.1910, Zalenze (poln. Załęże, damals Kreis Beuthen, Oberschlesien)
Gestorben: 25.09.1980, Jena (Thüringen)
Aus dem ÖCV ausgeschieden, Universitätsprofessor (Strafrecht), Staatsanwalt, Richter

Lebenslauf:

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Pchalek wurde als Sohn eines Schlossers und SPD-Mitglieds geboren, der nach dem Ersten Weltkrieg durch Fortbildung zur Kriminalpolizei kam. Durch seine Mutter wurde Pchalek katholisch erzogen. Nach dem Krieg kam der Ort Zalenze, obwohl er für den Verbleib beim Deutschen Reich stimmte, zu Polen. Die Familie zog nach Ratibor (nunmehr poln. Racibórz). Dort besuchte Pchalek das Realgymnasium und legte vor Osten 1930 das Abitur ab.

Anschließend begann Pchalek das Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, wo er dem Traungau beitrat. Er gehörte zu jener nicht kleinen Zahl von Oberschlesiern, die ab ca. 1928 über Anregung des oberschlesischen Priesterpolitikers Karl Ulitzka (Cl) in Österreich, vornehmlich in Graz, studierten und dort hauptsächlich der Carolina, in geringerem Maße auch dem Traungau, beitraten. Pchalek berichtete nach 1945, daß er in Graz mit dem großdeutschen Gedanken vertraut gemacht wurde. Der Traungau war innerhalb des Grazer CV am stärksten dahingehend orientiert.

1931 kehrte Pchalek wieder nach Schlesien zurück und setzte sein Studium an der Universität Breslau fort. Er wurde aber – wie eigentlich im CV gefordert – bei keiner der dortigen CV-Verbindung aktiv. Aus diesem Grund trat er im Sommer 1933 infolge der Abschaltung des ÖCV und der Gleichschaltung des CV der „Auffangverbindung“ Austria-Köln bei. Sie wurde für reichsdeutsche Urmitglieder einer österreichischen CV-Verbindung, die ansonsten kein Band einer deutschen CV-Verbindung besaßen, eigens ins Leben gerufen. Pchalek war zwar nicht Mitglied der NSDAP, jedoch bei einigen NS-Vorfeldorganisationen, u. a. bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK).

Pchalek legte im Dezember 1934 das erste und Anfang 1939 das zweite juristische Staatsexamen ab. Ab 1935 war er Referendar an verschiedenen Gerichten und bekam dann im August 1939 eine feste Stellung bei der Justiz. Doch bereits im Dezember wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen, aus der er im Juni 1941 als Unteroffizier aus gesundheitlichen Gründen entlassen wurde.

IN DER NS- UND DDR-JUSTIZ

Pchalek wurde nun der Staatsanwaltschaft im oberschlesischen Bielitz (nunmehr. poln. Bielsko-Biala) zugeteilt. Später war er dann Staatsanwalt beim Oberlandesgericht Beuthen (nunmehr poln. Bytom) und Kattowitz. Dort war er auch bei politischen Strafverfahren eingesetzt und beantragte in mindestens 20 Fällen die Todesstrafe in Bagatellsachen, die dann – wie damals üblich – auch vollstreckt wurden.

Im Laufe des März 1945 wurden die oberschlesischen Behörden nach Westen verlegt. Die Staatsanwaltschaften gelangten so ins thüringische Gera. Dort konnte Pchalek in seinem Personalakt die ihm möglicherweise belastenden Schriftstücke entfernen. Gegen Ende des Krieges wurde Thüringen von US-Truppen eingenommen, die versuchten, wieder ein geordnetes Leben einzuerrichten. Im Mai 1945 wurde im Zuge dessen Pchalek als Leiter der Staatsanwaltschaft Gera eingesetzt. Pchalek trat im Herbst 1945 der neu entstandenen SPD bei und wurde bei der Zwangsvereinigung von SPD und KPD im April 1946 dadurch automatisch Mitglied der SED.

1946 wurde Pchalek zum Stellvertreter des Generalstaatsanwaltes des damaligen Landes Thüringen ernannt. 1948 bis 1950 war er dann mit der Wahrnehmungen der Geschäfte des Generalstaatsanwalts betraut. Seit 1945 war er auch Mitglied des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und später zeitweise Vorsitzender der Gewerkschaft Wissenschaft des Landes Thüringen.

Es gelang also Pchalek im Jahr 1945 mühelos der Schwenk. Er arbeitete eng mit der sowjetischen Besatzungsmacht und dessen politischer Polizei NKWD zusammen. Aktiv war er u. a. bei „Schauprozessen“, die dem Zweck der Zerschlagung privater Wirtschaftsstrukturen dienten, so u. a. der Raiffeisenkassen. Inzwischen wurden seitens der Sowjetischen Militäradministration (SMA) der Justizdienst von NS-Juristen konsequent gesäubert, auch von solchen, die nur NS-Vorfeldorganisationen angehörten. Pchalek bliebt trotz einiger Probleme im Amt, womöglich weil er bei den genannten „Schauprozessen“ den Sowjets positiv aufgefallen war.

Im April 1951 wechselte Pchalek in den Richterstand. Er wurde Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Erfurt. Bereits seit 1949 hatte er einen Lehrauftrag an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena und strebte dort eine Professur dort. Im Juni 1952 wurde er – ohne Dissertation und Habilitation – zum ordentlichen Professor für Strafrecht in Jena ernannt.

DER PROZESS PCHALEK

Im Februar 1959 wurde in Jena vom sog. Ausschuß für Deutsche Einheit eine Ausstellung vorbereitet. Im Zuge dessen fand eine Studentin in den Ausstellungsunterlagen belastendes Material bezüglich der Rolle Pchaleks in der NS-Zeit. Die Staatsanwaltschaft wurde informiert, und Pchalek wurde am 19. Februar 1959 nach Absprache mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verhaftet. Es wurde nun gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gem. § 211 StGB eröffnet.

Die DDR-Justizbehörden agierten in diesem Fall rasch, weil damals seitens der DDR ein Propagandakrieg gegen die Bundesrepublik Deutschland lief, weil dort noch zahlreiche NS-Richter etc. im Amt waren. Daher durften sie sich in dieser Sache keine Blöße geben. Die Anklage wurde nun formell am 19. Dezember 1959 erhoben. Zur Hauptverhandlung kam es dann am 5. und 8. April 1960, wobei aus den genannten Gründen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Diese fand vor dem Bezirksgericht Gera statt. (In der DDR wurden zwischenzeitlich die Länder abgeschafft und eine Bezirkseinteilung vorgenommen. Das Bezirksgericht entsprach einem ehemaligen Landgericht.)

In dem Verfahren konnten Pchalek mindestens 20 Todesurteile in nebensächlichen Straftaten nachgewiesen werden. Es werden aber wohl mehr gewesen sein. Er wurde daher zu vier Jahren verurteilt, wobei ein Teil der Untersuchungshaft angerechnet wurde. Das Strafmaß ist rechtsstaatlicher angemessen gewesen, es wäre auch in der Bundesrepublik Deutschland oder in Österreich bei dieser Sachverhaltslage ausgesprochen worden.

Zuerst kam Pchalek in das Gefängnis Brandenburg, dann wurde er im September 1960 in das berüchtigte Gefängnis Bautzen verlegt. Wegen guter Führung wurde bereits im Juli 1962 die Verbüßung der weiteren Strafe ausgesetzt. Der Hintergrund dieser Maßnahme lag darin, daß das MfS Pchalek in Bautzen als Agent angeworben hat. Er wurde in die Rechtsabteilung des VEB Zeiss Jena eingeschleust und als „IM Heinz Straube“ dort Spitzel. Zusätzlich observierte Pchalek – er blieb weiterhin praktizierender Katholik – auch seine Katholische Pfarrgemeinde in Jena, dessen damaliger Pfarrer der spätere Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, war.

Nachdem Pchalek in Rente gegangen war, endete auch weitgehend seine Spitzeltätigkeit für das MfS. Er starb bald danach und wurde auf dem Friedhof in Gera begraben.

Die deutsche und auch österreichische Geschichte hat in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts (und manchmal sogar darüber hinaus) zu massiven Irritationen in den persönlichen Biographien vieler Menschen geführt. Zu diesen zählte auch Pchalek, der aber bemerkenswerterweise immer Katholik geblieben war. Sein wechselvolles Leben wurde erst durch Forschungen von Peter Riegel (Fl), einem ehemaligen Ministerialbeamten in Bonn, in der Behörde des Thüringischen Landesbeaufragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

PCHALEK UND DER CV

Wie steht es nun mit Pchaleks Mitgliedschaft beim Traungau bzw. CV? Als 1933, wie oben erwähnt, die betreffenden Angehörigen einer österreichischen Verbindung der Austria-Köln beitraten, schieden diese formell aus ihrer Urverbindung aus. Daher findet man im ersten GV des ÖCV im Jahr 1935 keine „reichsdeutschen“ ÖCVer mehr. Dieser Übertritt geschah mehr oder minder zwangsweise, so daß nach 1945 die betreffenden Urmitgliedschaften wieder automatisch auflebten – allerdings nur dann, wenn sie sich bei ihrer Urverbindung wieder gemeldet hatten.

Das geschah nicht immer, und oft dauerte es solcher Rückholprozeß oft 20 Jahre wie z. B. bei der Carolina. Besonders traf das dann jene Mitglieder des CV, die nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. dann in der DDR wohnten. Deren Mitgliedschaft im CV mußte aus Sicherheitsgründen nicht offenkundig werden. Daher findet man in den ersten Gesamtverzeichnisse des deutschen CV nach dem Krieg an der Stelle, wo ein solcher CVer stehen sollte, lediglich ***. Deren Mitgliedschaft blieb dann im Prinzip bis 1989/90 in Schwebe.

Da Pchalek vor der Wende verstorben ist, muß sein Verhalten aus der Sicht der Prinzipien beurteilt werden. Fest steht, daß er nicht Mitglied bei der NSDAP war und auch immer praktizierender Katholik war. Seine Mitgliedschaft bei der SPD und dann vor allem bei der SED hätten aus dem Selbstverständnis des ÖCV in den Jahren nach dem Krieg zu einer Dimissio geführt. Spätestens aber mit seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens in der NS-Zeit, wäre eine solche ausgesprochen worden. Daher ist Pchalek als ehemaliger CVer anzusehen.

Quellen und Literatur:

Riegel, Peter (Fl): Der tiefe Fall des Professors Pchalek. Ein Thüringer Jurist zwischen NS-Justiz, Besatzungsmacht, Rechtsprofessur und Spitzedienst. Hg. vom Landesbeauftragten des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Erfurt 2007.
Academia 100 (2007), S. 270.
„Frankfurter Allgemeine“, 8. 1. 2008, S. 7.
Hartmann, Gerhard (Baj): Der tiefe Fall des Professors Pchalek. Verstrickt in der NS- und DDR-Justiz und Stasi-Agent, in: Academia intern 5/2007. S. 5.