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Präl. Kan. Dompfr. Dr. Karl Raphael Dorr

Präl. Kan. Dompfr. Dr. Karl Raphael Dorr

Ehrenmitgliedschaften: Rugia

Geboren: 10.08.1905, Brunn am Gebirge (Bezirk Mödling, Niederösterreich)
Gestorben: 05.03.1964, Wien
Domkapitular (Wien), Dompfarrer (St. Stephan, Wien), Weltpriester

Lebenslauf:

Karl Dominik Alois Rudolf Raphael Dorr, so seine vollständigen Vornamen, wurde als Sohn eines Volksschuldirektors geboren. Er besuchte zuerst das Gymnasium in Mödling sowie dann das in Hollabrunn (Niederösterreich) als Frequentant des dortigen erzbischöflichen Knabenseminars. Nach seiner Matura begann er das Studium an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (dort abs. theol. 1930). Er studierte auch an der Universität Münster, wo er auch staatswissenschaftliche Vorlesungen besuchte, und wurde am 13. Juli 1930 in Wien zum Priester geweiht. Danach war er vier Jahre Kaplan in Laa/Thaya (Bezirk Hollabrunn, Niederösterreich) und anschließend bis 1936 in St. Josef ob der Laimgrube (Wien-Mariahilf).

Dorr gehörte ab 1930 zu jenen Priesterpersönlichkeiten, die in Österreich bzw. in der Diözese Wien die Einführung der Katholischen Aktion (KA) als ein in Unterordnung unter die Hierarchie tätiges Laienapostolat betrieben. Damit verbunden war die weitgehende Zurückdrängung der autonomen katholischen Verbände. Er reiste 1932 zusammen mit dem späteren Generalsekretär der KA Leopold Engelhart (Rd) nach Italien, um die dortige, nunmehr aufgrund der faschistischen Verhältnisse umgebaute KA zu studieren. Nach ihrer Rückkehr wurden sie zusammen mit Karl Rudolf (Am) zu den wichtigsten Betreibern eines Umbaus des katholischen Organisationswesens nach italienischem Vorbild. Die dortige starke Bindung an die Hierarchie sowie die damit zusammenhängende Gliederung nach Pfarren, Dekanaten und Diözesen bzw. nach Naturständen hatten auf sie einen tiefen Eindruck gemacht. So wurde er 1934 Leiter der Kinderseelsorge und 1936 der Jugendseelsorge der Erzdiözese Wien.

Mit 1. Juli 1936 wurde Dorr zum Domprediger und Domvikar an St. Stephan sowie auch zum Leiter der Hofburgkapelle ernannt, welche Funktionen er nach dem Anschluß im März 1938 beibehielt. Er verfaßte gemeinsam mit Karl Rudolf (Am) die Druckschrift „Missionserneuerung“, die Anfang 1941 in einer Auflage von 5000 Exemplaren erschienen ist und verboten wurde. Daraufhin wurde über Dorr mit 22. Juni 1941, dem Beginn des Rußlandfeldzuges, ein Gauverbot verhängt. Er zog daraufhin zuerst nach Tübingen, um an der dortigen Theologischen Fakultät zu studieren und wurde an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg/Br. zum Dr. theol. promoviert (18. Juli 1942. Mit diesem Tag erhielt er auch von Wien den Titel Geistlicher Rat). In den folgenden Jahren lebte er in Weitingen (nunmehr Gemeinde Eutingen, Landkreis Freudenstadt, nunmehr Baden-Württemberg), wo er in der Seelsorge mithalf.

Nach Ende des Krieges kehrte Dorr aus dem Exil wieder nach Wien zurück, nahm als zusätzlichen Vornamen Raphael an und versah wieder seinen Dienst am Stephansdom. Mit 30. November 1948 wurde vom Wiener Erzbischof, Theodor Kardinal Innitzer (NdW), die Dompfarre St. Stephan sui iuris errichtet. Damit zusammenhängt auch die Eigentümerschaft des Domgebäudes durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Mit 15. Dezember 1948 wurde Dorr zum Dompfarrer ernannt und führte als solcher den Titel Cur- und Chormeister (fälschlicherweise oft Chur… geschrieben). Mit 31. März 1952 erhielt er die Würde eines Ehrendomherren und am 13. Januar 1953 wurde er schließlich in das Wiener Domkapitel berufen, wo er die Funktion eines Canonicus theologus bekleidete und zugleich Wirklicher Erzbischöflicher Konsistorialrat wurde. Am 1. Juni 1960 wurde er zum Stadtdechanten für den 1. Bezirk ernannt. Am 11. November 1960 erhielt er den Titel eines Päpstlichen Hausprälaten, und mit 6. Dezember 1960 wurde er für das Fach Pastoraltheologie zum Erzbischöflichen Prüfungskommissär bei Rigorosen an der Wiener Theologischen Fakultät berufen.

Nach 1945 und dann nach seiner Ernennung 1948 zum Dompfarrer widmete sich Dorr besonders der Seelsorge an der Pfarre St. Stephan. Sein erstes großes Werk waren 1946 öffentliche Exerzitien, an denen rund 3000 Personen teilnahmen und aus denen das Wiener Oratorium erwuchs. Dieses vereinigte apostolisch gesinnte Laien zu größeren religiös-künstlerischen Veranstaltungen, bei denen eine Predigt im Mittelpunkt stand. Bis zur Wiedereröffnung des Doms traf sich das Oratorium in der Kirche Am Hof. Dorr hat die Seelsorge der Dompfarre außerordentlich intensiviert und auf neue Grundlagen gestellt, wodurch sie zu einer der lebendigsten Pfarren der Erzdiözese Wien wurde.

Dorr war auch ein begnadeter Prediger. In der Regel hielt er im Dom die Predigt an Sonn- und Feiertagen während des Hochamtes um 10 Uhr, wo er aus diesem Grund auch eine eigene Gemeinde um sich scharte. Damals – in den fünfziger und frühen sechziger Jahren – gab es in Wien drei Priesterpersönlichkeiten mit besonderer Predigt-Begabung, die jeweils eine entsprechende Anhängerschaft hatten. Das waren neben Dorr der weitere Domprediger und Akademikerseelsorger Otto Mauer – er predigte im Dom in der Regel am Sonntag in der Abendmesse – und der Dominikanerpater Diego Götz, der in der Dominikanerkirche predigte. Deren jeweilige Anhänger wurden im Wiener katholischen Volksmund als Dorr-Röschen, Mauer-Blümchen und Götzen-Diener bezeichnet.

Besondere Verdienste erwarb sich jedoch Dorr beim Wiederaufbau des in den letzten Kriegstagen stark in Mitleidenschaft gezogenen Stephansdomes. Es war ein sinniger Zufall, daß vier Tage nach seiner Ernennung zum Dompfarrer der Großteil des Domes für den Gottesdienst freigegeben wurde. Der abgebrannte Holz-Dachstuhl war inzwischen durch eine Stahlkonstruktion ersetzt und das eingestürzte Gewölbe des Albertinischen Chores war wieder hergestellt worden. Daher konnte die Trennungsmauer vor diesem entfernt werden. Vor dieser Mauer stand bis dahin der Wiener Neustädter Altar, der dann provisorisch auf den Platz des Hochalters verlegt wurde. Die am 19. Dezember 1948 stattgefundenen diesbezüglichen Feierlichkeiten wurden im Radio national wie auch teilweise international übertragen. Zum Schluß wurde das Allerheiligste von der Unteren Sakristei in einer feierlichen Prozession unter dem Gesang des Ave verum von Wolfgang A. Mozart zum Hochaltar gebracht.

Doch damit war die Wiederherstellung des Domes bei weitem noch nicht vollendet. Mit Dorrs Initiative, seiner Energie und seinen unermüdlichen Bemühungen ist es zu danken, daß die Wiederherstellungsarbeiten am Dom im Herbst 1960 praktisch ihren Abschluß finden konnten. Aufgrund seines Kunstverständnisses hatte er maßgeblichen Einfluß bei der Außen- und Innengestaltung genommen. Er war die Seele der in baulicher wie finanzieller Hinsicht besonders schwierigen Herstellung dieses Wahrzeichens Wiens und Österreichs. Dazu zählten auch die Fertigstellung der großen Orgel und die Einrichtung eines neuen Geläutes. Als die finanziellen Mittel zu versiegen drohten, gelang es ihm, Bund, Länder, verschiedene Organisationen, die Wirtschaft aber auch Private zur Hilfe zu bewegen. Seine letzte Maßnahme war 1963/64 die Errichtung der Domherrengruft in den sog. Katakomben. Wegen dieser seiner besonderen Verdienste um St. Stephan beantragte der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (NdW) die Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

Dorr wurde in seinen jungen Jahren von der bündischen Jugend (Bund Neuland) geprägt und stand vor dem Krieg dem CV distanziert gegenüber, wie u. a. seine Aktivitäten rund um die Implementierung der Katholischen Aktion (KA) gezeigt haben, die ja eine Verdrängung der katholischen Organisationen zum Ziel hatte. Jedoch rückte er von dieser Position nach dem Krieg wohl ab und bezeichnete gegenüber dem späteren ÖCV-Seelsorger Gerhard Schultes (Rd) die Einführung des „Führerprinzips“ in der KA als Fehler. 1950 erhielt er das Ehrenband der Rudolfina, und 1956 verlieh die Rugia „ihrem“ Pfarrer die Ehrenmitgliedschaft (deren Bude lag damals in der Pfarre St. Stephan). Heinrich Drimmel schrieb über ihn in einem Nachruf: „Er hatte in jedem Fall die konkrete Beziehung zur Gemeinschaftsform und zur Gemeinschaftsidee, die er in den meisten Fällen zugleich sinnfälliger deuten konnte als die meisten Urmitglieder. So trug er ohne Bruch mit den bündischen Jugendidealen das Band und die Mütze einer katholischen Studentenverbindung.“

Als ob es eine schicksalshafte Vorsehung war: Dorr befaßte sich in seiner letzten Silvesterpredigt am 31. Dezember 1963 sehr eindrucksvoll und bewegend mit den „Letzten Dingen“. 65 Tage später erlag er in seiner Wohnung im Curhaus einem plötzlichen Herzinfarkt und wurde als erster in der von ihm initiierten Domherrengruft der Stephanskirche beigesetzt. An deren Außenmauer ist eine Gedenktafel für ihn und seine Verdienste um den Wiederaufbau des Domes angebracht. In seinem Geburtsort Brunn am Gebirge wurde eine Straße nach ihm benannt.

Heinrich Drimmel endete seinen Nachruf mit den Worten: „Wenige Tage vor seinem Tod war mein Freund Karl Raphael Dorr bei mir zu Gast. Beim Weggehen, unter dem Haustor, vertraute er mir seine Sorgen um den Wiederaufbau des Domes an. Er schien bedrückt zu sein, und ich hatte keinen Rat zur Hand. So wollte ich ihn mit einem heiteren Wort hinweghelfen. Ich erinnerte ihn an den einfallsreichen Pfaffen vom Kahlenberg, dem einmal das Geld ausgegangen war, während niemand seinen sauren Wein kaufen wollte. Da versprach er den Wienern an einem heißen Tag, vom Kirchturm aus über die Donau zu fliegen. Da kamen die neugierigen Wiener in Scharen, der Flug blieb aus, aber der Durst wollte gelöscht werden. So kam der Pfarrer zu seinem Geld. ‚Sauren Wein gibt es genug‘, sagte mein Freund Dorr. ‚Aber fliegen müßte man können, vielleicht…‘. Aber dieses letzte Wort kam schon aus dem Dunkel der Straße, aus der er nicht wiederkam.“



Werke:

Kanzelreden, zwei Bände (posthum 1966/67).

Quellen und Literatur:

Verbindungsarchiv Rugia (Wolfgang Ruff, 25. 8. 2021)
DiözesanarchivWien. Priesterdatenbank (30. 8. 2021)
Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Kabinettsdirektor i. R. Heinz Hafner Am, Mitteilung vom 31. 8. 2021.
Karl Raphael Dorr. Worte des Gedenkens, herausgegeben von Erwin Hesse und Alois Penall. Mit Beiträgen von Franz Kardinal König (Rd EM), Leopold Figl (Nc), Heinrich Drimmel (NdW) u. a. Wien 1964.
Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. Band 3: 1938–1945. Wien 1975, S. 32.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 237, 244–246, 541.
Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan, 62. Jahrgang 2008, Nr. 3 (Weihnachten), S. 40.