Lebenslauf:
Pieller wurde als Sohn eines Portiers der Anglo-Österreichischen Bank geboren und auf den Namen Wilhelm getauft. Nach dem Besuch der Volksschule trat er mit dem Wunsch, Priester zu werden, in das Gymnasium Wien-Alsergrund (Wasagasse) ein, mußte es aber mit 14 Jahren nach dem Tod seines Vaters verlassen. Anschließend besuchte er einen Handelsschulfachkurs und war dann in einer Uniformierungsanstalt in Wien tätig.
Am 4. September 1909 trat Pieller in das Grazer Franziskanerkloster als Novize ein, nahm den Ordensnamen Johann Kapistran an und wurde nach dem Noviziatsjahr nach Hall in Tirol geschickt, um am dortigen Franziskaner-Gymnasium 1914 die Matura abzulegen.
Bereits am 9. September 1913 legte Pieller die feierliche Profeß ab. Nach der Matura begann er mit dem Studium an den Theologischen Fakultäten der Universitäten Graz und Wien (abs. theol. 1918) und wurde am 21. Juli 1918 zum Priester geweiht. Danach kam er als Kaplan nach St. Pölten, wo er auch die Mittelschülerkongregation leitete. 1924 wurde er Seelsorger an der Grazer Franziskanerkirche und vom Orden für ein Weiterstudium auserwählt. So begann er mit dem Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz (Dr. rer. pol. 1927, Dr. iur. 1929), wo er der Carolina beitrat (Couleurname Kapuzistran). In dieser Zeit war er bei der Verbindung auch als Seelsorger tätig.
Ab 1931 war Pieller dann bei den Franziskanern in St. Pölten und absolvierte von dort ein Doktoratsstudium an der Theologischen Fakultät der Universität Wien (Dr. theol. 1937). Ab 1939 war er an verschiedenen Franziskanerklöstern und zuletzt ab 1940 als Guardian in Eisenstadt tätig.
Bereits 1937 lernte Pieller den in St. Pölten lebenden Novizen Eduard Pumpernig kennen, der dann nicht im Orden verblieb und nach dem Krieg Gemeinderat in Graz und in der Folge auch Mitglied des Bundesrates (im 1. Halbjahr 1985 auch dessen Vorsitzender) war. Dieser wurde dann zur Wehrmacht eingezogen und traf 1941 in Eisenstadt Pieller, dem er über die Ziele der „Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs“ (AFÖ) berichtete.
Diese entstand im selben Jahr in Kärnten und setzte dort bereits auch einige Aktivitäten. Ihr gehörten u. a. Arthur Trattler (Cl), Anton Jaklitsch (Trn) und Otto Tiefenbrunner (AIn) an, ebenso aber auch Piellers Ordensbruder und Provinzial Angelus Steinwender. Weitere Sympathisanten waren u. a. Arthur Schuschnigg (Bruder des Bundeskanzlers), Alois Karisch (später Kärntner Landesrat) und Erzbischof Andreas Rohracher (AIn EM). Pieller geriet nun in engeren Kontakt mit der AFÖ und unterstützte sie. So gab er Pumpernig Geld, eine Pistole und diktierte u. a. auch gleich einen Aufruftext an die Tiroler. Doch die Gestapo kam dieser Bewegung auf die Spur. Nachdem bereits vorher einige Mitglieder verhaftet worden waren, wurde auch Pieller am 23. August 1943 um 13 Uhr festgenommen.
Bei der Verhaftung Piellers fand man auch Briefe von Max Kurz-Thurn-Goldenstein (Cl), in denen vom „Grazer Freundeskreis“, gemeint die Carolina, die Rede war. Die Gestapo vermutete daher, daß Kurz in Graz das Haupt der Bewegung sei, und unternahm bei ihm eine Hausdurchsuchung. Kurz wurde aber vorher heimlich verständigt und konnte so noch einiges beiseite schaffen.
Vom 9. bis 11. August 1944 kam es zur Gerichtsverhandlung vor dem Volksgerichtshof Wien. Pieller und sieben weitere Angeklagte, darunter Angelus Steinwender, wurden zum Tode verurteilt. Von Prozeßbeobachtern wurde nun gegenüber Eduard Pumpernig der Vorwurf erhoben, daß er, um seine Haut zu retten, sich als „Kron“- bzw. Belastungszeuge ins Spiel gebracht und andere, weit weniger als er in die AFÖ verstrickte Personen, darunter Pieller, belastet hatte. Dies geht auch aus dem vorliegenden Quellenmaterial hervor. Pumpernig wurde daher nur zu zehn Jahren Haft mit Frontbewährung verurteilt.
Diese Angelegenheit, die zwar in der einschlägigen Literatur bekannt war, kam erst anläßlich des Gedenkens an den 40. Jahrestag der Hinrichtung Piellers im Frühjahr 1985 an die Öffentlichkeit. Pumpernig war im ersten Halbjahr 1985 turnusmäßig Vorsitzender des Bundesrates und hatte ohnedies beabsichtigt, mit 30. Juni aus der Politik auszuscheiden, so daß diese Sache für ihn keine nennenswerte Auswirkung mehr gehabt hatte.
Pieller blieb vorerst in Wien in Haft. Karl Ebner (ehemals Kb) war damals stellvertretender Gestapochef von Wien und ein ehemaliger Confuchs von Pieller, weil er 1924 ursprünglich bei Carolina rezipiert wurde. Ebner versuchte, ihn vor der Hinrichtung zu bewahren, wurde aber Anfang 1945 selber verhaftet, weil seine „Hilfsaktionen“ aufflogen. Am 5. April 1945, die Rote Armee war schon nahe an Wien herangekommen, mußten die zum Tode Verurteilten des Wiener Landesgerichts zu zweit angekettet einen Leidensweg über Stockerau und den Wagram nach Krems-Stein antreten. Dort wurden sie am 15. April 1945 – Wien war bereits befreit – erschossen und im Hof der Strafanstalt in einem Massengrab bestattet.
Im Grazer Franziskanerkloster wurde 1985 mit Unterstützung der Carolina eine Gedenktafel an Pieller enthüllt. Vor diesem Kloster wurde auch ein Platz nach ihm benannt. Eine weitere Gedenktafel für ihn befindet sich in der Franziskanerkirche Eisenstadt. Am 15. Juni 2018 wurde anläßlich des 130. Stiftungsfestes der Carolina in deren Haus eine Kapelle eingeweiht, die u. a. dem Gedenken an Pieller dient.
Quellen und Literatur:
Liebmann, Maximilian: Die „Antifaschistische Freiheitsbewegung“, in: Geschichte und Gegenwart 4 (1985), S. 255–303.Hartmann, Gerhard (Baj): Im Gestern bewährt. Im Heute bereit. 100 Jahre Carolina. Zur Geschichte des Verbandskatholizismus. Unter Mitarbeit von Dieter A. Binder. Herausgegeben von Maximilian Liebmann im Auftrag des Altherrenbundes der K. Ö. H. V. Carolina (= Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und Kirchlichen Zeitgeschichte Band 2). Graz 1988, S. 273, 307, 389, 395, 410.
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 454, 463, 469, 473.
Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung. Hg. von Peter Krause (Rt-D), Herbert Reinelt und Helmut Schmitt. Zweite wesentlich erweiterte Auflage. Teil 2: Kuhl, Manfred (F-B): Ergänzungsband Biographien. Wien 2020, S. 254–256.