Lebenslauf:
HERKUNFT, AUSBILDUNG UND BERUFLICHER WERDEGANG
Liebmann wurde als Sohn eines Landwirts geboren. Nach der Volksschule besuchte er von 1947 bis 1955 das Bischöfliche Gymnasium in Graz und begann nach der Matura das Studium an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz (abs. theol. 1960; Dr. theol. 1961), wo er der Carolina beitrat (Couleurname Dr. cer. Perikles). Gleichzeitig trat er in das Grazer Priesterseminar ein und blieb dort einige Jahre. Bei der Carolina war er im Sommersemester 1961 und im Wintersemester 1961/62 Senior.
Nach dem Abschluß des Theologiestudiums (1960) studierte Liebmann noch Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Graz und war 1961/62 als Redakteur bei der Grazer „Kleinen Zeitung“ tätig. Ab 1962 unterrichtete er Katholische Religion an Grazer Schulen (zuletzt an einem Gymnasium). Von 1964 bis 1968 leitete er das Grazer Studentenheim Hafnerriegel der Österreichischen Studentenförderungsstiftung.
Aufgrund seiner Dissertation („Die Rolle Kardinal Piffls in der Kirchenpolitik seiner Zeit 1912–1932“) erhielt er 1968 das Angebot, als Assistent am Institut für Kirchengeschichte an der Grazer Katholisch-Theologischen Fakultät tätig zu werden, und schlug damit die wissenschaftliche Laufbahn als Kirchenhistoriker ein. 1977 habilitierte er sich für Kirchengeschichte mit einer reformationsgeschichtlichen Arbeit („Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation“) und wurde 1979 zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. 1982 übernahm er im Rahmen des Instituts für Kirchengeschichte die Leitung der Abteilung Theologiegeschichte und kirchliche Zeitgeschichte, und 1989 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Universitätsprofessor für Kirchengeschichte an der Universität Graz. In den Studienjahren 1991/92 bis 1998/99 war er Dekan der Theologischen Fakultät und danach bis 2001 Mitglied des Senats der Universität. 2002 wurde er emeritiert.
LIEBMANNS WISSENSCHAFTLICHE LAUFBAHN
Liebmanns Forschungsschwerpunkt war neben der Reformationsgeschichte vor allem die österreichische Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und da wiederum vor allem der Themenbereich Kirche und Nationalsozialismus, den er in zahlreichen Monographien und Beiträgen behandelte. Hier interessierte ihn u. a. die Rolle des Wiener Erzbischofs Theodor Kardinal Innitzer im Jahr 1938 beim Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich, wodurch er durch Berücksichtigung bislang unbekannter Quellen erhebliche Korrekturen an dem bisher tradierten Bild über Innitzer beitragen konnte. Neben verschiedenen anderen Veröffentlichungen geschah das vor allem in seinem 1988 erschienenen Buch „Theodor Innitzer und der Anschluss. Österreichs Kirche 1938“. Damit hat er einen wesentlichen Beitrag zum damaligen Diskurs zum Anlaß „50 Jahre Anschluß“ geleistet und die Stimme der Kirche eingebracht.
Ein wichtiges wissenschaftliches Interesse von Liebmann bezog sich auch auf die Rolle des Laien in der Kirche und den Verbandskatholizismus. Hierbei wurde vor allem das Augenmerk auf das Beziehungsgeflecht zwischen Politischem Katholismus und den katholischen Laienorganisationen (Katholische Aktion sowie Katholische Verbände) in Österreich gelegt. Vor allem behandelte er dieses Thema in seiner 2009 erschienenen Studie „Heil Hitler – Pastoral bedingt. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus.
Diese beiden Schwerpunkte Liebmanns und noch viele andere wissenschaftliche Interessen schlugen sich in zahlreichen Veröffentlichungen in Buchform und in Beiträgen (Zeitschriften, Beiträge in Sammelwerken und Lexika) sowie in der Organisation wissenschaftlicher Tagungen nieder. Aufgrund seiner Expertise in der kirchlich relevanten österreichischen Zeitgeschichte wurde er sehr oft zu Stellungnahmen zu diesen Fragen in Tages- und Wochenzeitungen sowie im Fernsehen und im Radio gebeten. Er wurde dadurch im ausgehenden 20. Jahrhundert und im beginnenden 21. Jahrhundert zur Stimme der katholischen Kirche, wenn es um heikle Fragen der jüngsten Geschichte Österreichs ging, und hat ihr damit einen großen sowie nicht zu unterschätzenden Dienst im oft tagespolitischen und ideologisch aufgeladenen historischen Diskurs erwiesen.
LIEBMANN UND DIE ÖCV-BILDUNGSAKADEMIE
Liebmann war nicht zuletzt aufgrund seines Studiums und seiner wissenschaftlichen Laufbahn an Bildungsthemen interessiert. Als im Studienjahr 1963/64 die Grazer CV-Verbindung Babenberg den Vorort innehatte, unterstützte er diese bei Bildungsveranstaltungen und leitete im März 1964 ein ÖCV-Symposion zum Thema „CV von morgen“. Als 1967 der damalige Leiter des Amtes für Bildungsfragen, der spätere ÖVP-Politiker Herbert Schambeck (Rd), nicht mehr kandidierte, wurde er von der Carolina als Nachfolger vorgeschlagen. Bei der Wahl auf der Cartellversammlung 1967 konnte er sich knapp gegen einen Wiener Kandidaten durchsetzen. Im Rückblick sollte sich das als Glücksfall in der Geschichte des ÖCV erweisen.
Liebmann setzte sofort interessante Initiativen. So veranstaltete er bereits im November 1967 eine Studienreise in die damals kirchlich wie politisch interessanten Niederlande. Dort traf man u. a. Spitzenvertreter der gerade gegründeten Partei „Demokraten 66“, die bei den Parlamentswahlen im März 2021 zweitstärkste Kraft wurde. Und für den März 1968 organisierte er das II. ÖCV-Symposion in Seggauberg, das damals die Diskussion über den „neuen CV“ entscheidend anregte. Es folgten u. a. eine ÖCV-Studienreise Ende April/Anfang Mai 1968 nach Prag und 1969 das III. ÖCV-Symposion zum Thema „Neue Linke“.
Liebmann erkannte bereits bald nach seinem Amtsantritt, daß mit dem bisherigen Instrumentarium des Bildungsamtes nur wenige Möglichkeiten für eine gezielte Arbeit vorhanden waren. Von der Cartellversammlung in Klosterneuburg am 7. bis 10. Mai 1970 fuhr er mit dem Auto nach Hause (Graz), wählte aber nicht die herkömmliche Route über den Wechsel, die damals noch fast ausschließlich auf der Bundesstraße zu absolvieren war, sondern fuhr zuerst auf der Westautobahn, um sich dann von dort nach Süden zu bewegen. Er erzählte einmal, daß es in der Höhe von Melk war, als er beim Nachdenken über den wenig erfolgversprechenden Verlauf der CVV den Beschluß zu einem organisatorischen Neubeginn faßte.
Bereits am 13. Mai 1970 schrieb Liebmann an einen Kreis von CVern: „Selten schien die Ziel- und Konzeptlosigkeit des CV so groß wie jetzt. Ich glaube, daß die letzte CVV es, wie kaum jemals, notwendig macht, intensiv über unsere Ziele und die Schulung nachzudenken.“ 11Dann folgte die Einladung zu einem Treffen nach Graz-Mariatrost mit einer Tagesordnung. Als letzter Punkt wurde „CV-Akademie“ angeführt. Bei dieser Tagung, die vom 27. bis 29. Juni 1970 stattfand, wurde die Idee der Bildungsakademie geboren, wobei bereits damals das Prinzip der Teilnahmeverpflichtung für alle CVer festgehalten wurde. Auf einem zweiten Treffen in Graz-Mariatrost vom 11. bis 13. Dezember 1970 wurden die Vorschläge weiter diskutiert und verfeinert.
Danach konnte Liebmann einen Diskussionsentwurf für die Gründung einer Bildungsakademie zur verbandsinternen Begutachtung versenden, der die wesentlichen Merkmale bereits enthielt: Eine Studienwoche als Voraussetzung für die Burschung, eine weitere Fortbildungswoche als Voraussetzung für die Philistrierung sowie Schulungen für ÖCV-Funktionäre. Nach weiteren Gesprächen konnte der endgültige Antrag für die Cartellversammlung 1971, die in Seggauberg stattfand, fertiggestellt werden. Ein Glücksfall war, daß der damalige Vorort Traungau mit dem VOP Eduard Saxinger (Trn) sich voll und ganz mit diesem Antrag identifizierte. Aber auch die Altherrenfunktionäre in der Verbandsführung, Hans-Egon Gros (Nc) als Vorsitzender der Altherrenschaft und Hans Heger (BbW) als Vorsitzender des Altherrenländerrates, konnten für diese Idee gewonnen, ja sogar begeistert werden. Bedenken und Widerstände konnten in oft mühevoller Kleinarbeit ausgeräumt werden, so dass der Antrag auf der CVV 1971 durchging. Ende Januar 1972 konnte der Betrieb eröffnet werden, die ersten Studienwochen in Seggauberg begannen zu laufen.
Liebmann hat nicht nur den Anstoß zur Gründung der Bildungsakademie gegeben, sondern diese vor allem in den ersten Jahren aufgebaut. Sie ist nach mehr als 50 Jahren ihres Bestehens aus dem ÖCV nicht mehr wegzudenken und hat einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung des ÖCV in den unruhigen Jahren nach 1968 geleistet. Darüber hinaus trägt sie auch dazu bei, daß der katholische Charakter des ÖCV und seiner Verbindungen den Mitgliedern vermittelt wird. Betont muss auch dabei werden, daß die Bildungsakademie eine Initiative des frei organisierten Laienapostolats ist, die wenige Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil, wo dieses Prinzip betont wurde, in die Tat umgesetzt wurde.
1977 hatte die Österreichische Bischofskonferenz einen Bericht an Rom (Quinquennalbericht) über den Stand der gesellschaftlichen Wirksamkeit der Kirche übermittelt. Im Kapitel „Wissenschaft und Hochschulwesen“ heißt es u. a.: „Herkömmlich christlich ausgerichtete Studentenorganisationen (z. B. CV-Verbindungen) traten an der Universität als solche merklich weniger in Erscheinung als in früheren Zeiten; im internen Verbindungsleben finden indessen bemerkenswerte Bemühungen um die (u. a. theologische und gesellschaftspolitische) Fortbildung der Mitglieder statt. Namentlich die Seminare, Symposien und Kurse der ÖCV-Bildungsakademie müssen hier erwähnt werden.“
Es ist beachtenswert, daß bereits fünf Jahre nach Inbetriebnahme der Bildungsakademie deren Aktivitäten in der Amtskirche derart wahrgenommen wurden. Ohne Übertreibung kann man festhalten, daß damit ein erstes Urteil der kirchlichen Zeitgeschichte über die Idee und Wirksamkeit der Bildungsakademie gesprochen wurde.
Die Verpflichtung, daß jedes Mitglied vor endgültiger Aufnahme eine Schulung mitmachen muß, ist ein Alleinstellungsmerkmal des ÖCV. Es gibt keine Organisation dieser Größenordnung, die das verlangt, weder bei studentischen Verbänden, bei katholischen Organisationen oder sonstigen Vereinen oder Parteien. Auch im deutschen CV wurde eine CV-Akademie dem Beispiel des ÖCV folgend bereits Mitte der siebziger Jahre errichtet, sie kennt aber keine Verpflichtung.
Liebmann kommt das Verdienst zu, die Initiative zur Gründung der Bildungsakademie gesetzt zu haben. Mit Recht wurde ihm nach seinem Rücktritt 1974 der ÖCV-Ehrenring verliehen. Seine Nachfolger Wolfgang Mantl (Nc) (1974–1976) und Gerhard Hartmann (Baj) (1976–1981) setzten die Aufbauarbeit in seinem Sinne fort. Dabei wurden auch in der Öffentlichkeit beachtete Veranstaltungen abgehalten, die letztlich 1977 zu der eingangs erwähnten Passage im Bericht der österreichischen Bischöfe nach Rom geführt haben.
Liebmann war von 1984 bis 1988 Philistersenior der Carolina, währenddessen er maßgeblich an der Organisation des 100. Stiftungsfestes beteiligt war. 1991/92 war er auch Vorsitzender des Altherrenlandesbundes des ÖCV Steiermark. Er engagierte sich auch als „katholischer Laie“. So war er u. a. Mitglied des Österreichischen Synodalen Vorgangs (1973/74) und eine Zeitlang Vorsitzender des Diözesankomitees Katholischer Organisationen (DKO) der Diözese Graz-Seckau.
Liebmann starb trotz vollständiger Impfung an den Folgen einer Covid-19-Infektion als 50 Jahre zuvor, im Januar 1972, die erste Studienwoche der gerade gegründeten ÖCV-Bildungsakademie in Seggauberg abgehalten wurde. Das feierliche Requiem für ihn im Grazer Dom zelebrierter Bischof Wilhelm Krautwaschel in Anwesenheit seines Vorgängers Egon Kapellari (Ca EM) und des Landeshauptmannes Hermann Schützenhöfer (Cl EM), der auch eine kurze Gedenkrede hielt. Liebmann wurde auf dem Friedhof Graz-St. Leonhard begraben. Andreas Liebmann-Holzmann (Cl) und Peter Liebmann (Cl) (1966–2009) sind seine Söhne.
Werke:
(Auswahl)Urbanus Rhegius und die Anfänger der Reformation. Beiträge zu seinem Leben, seiner Lehre und seinem Wirken bis zum Augsbrger Reichstag von 1530 (1980)
Die Domherren von Graz-Seckau. 1886 bis 1986 (1987)
Theodor Innitzer und der Anschluss. Österreichs Kirche 1938 (1988)
Kirchengeschichte der Steiermark (1993, gemeinsam mit Karl Amon)
Bedrängte Kirche 1938–1945 (1995)
Christentum und Kirche in der Steiermark. Vier Bände (1996–1999)
Demokratie und Kirche (1997)
Kirche in der Demokratie, Demokratie in der Kirche (Hg.) (2001)
Österreichische Geschichte. Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart (2003, gemeinsam mit Rudolf Leeb, Georg Scheibelreiter, Peter G. Tropper)
„Heil Hitler“ – Pastoral bedingt. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus (2009)
„Das Konzil sieht die Aufgabe des Laien ganz anders“, Lebenserinnerungen (2014)
Katholisch oder kirchlich in Österreich (2019)
Quellen und Literatur:
Aktenbestand der Ehrenzeichenkanzlei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei (Mitteilung von Kabinettsdirektor i. R. Heinz Hafner Am).Kirche in bewegter Zeit. Beiträge zur Geschichte der Kirche in der Zeit der Reformation und des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Maximilian Liebmann zum 60. Geburtstag, Hg. von Rudolf Zinnhobler, Dieter A. Binder, Rudolf Höfer und Michaela Kronthaler. Graz 1994, S. 17f.
Kirche in Gesellschaft und Politik. Von der Reformation bis zur Gegenwart. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 65. Geburtstag. Hg. von Michaela Kronthaler, Rudolf Zinnhobler und Dieter A. Binder. Graz 1999,
Fellner, Fritz–Corradini, Doris A.: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Band 99). Wien 2006, S. 257.
Golücke, Friedhelm: Verfasserlexikon zur Studenten- und Universitätsgeschichte. Ein bio-bibliographisches Verzeichnis (=Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen Band 13). Köln 2004, 195–198.
Laien gestalten Kirche. Diskurse – Entwicklungen – Profile. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 75. Geburtstag. Hg. von Michaela Sohn-Kronthaler und Rudolf K. Höfer (= Theologie im kulturellen Dialog Band 18). Innsbruck 2009.
Hartmann, Gerhard (Baj): „Bemerkenswerte Benühungen“. 50 Jahre Bildungsakademie, in: Österreichische Academia 72 (2021), Nr. 3, S. 21–23