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HS Prof. Dr. P. Erhard Lorenz Schlund , O.F.M.

HS Prof. Dr. P. Erhard Lorenz Schlund , O.F.M.

Urverbindung: Vindelicia München (05.01.1919)

Bandverbindungen: Tfs, R-J, Fre, Ost, Va

Geboren: 25.07.1888, Siegenburg (Kreis Kelheim, Bayern)
Gestorben: 01.12.1953, München
CV-Seelsorger, Hochschulprofessor (Fundamentaltheologie), Ordenspriester (OFM)

Lebenslauf:

HERKUNFT, AUSBILDUNG UND ERSTER WELTKRIEG

Schlund wurde als Sohn eines Gendarmeriebeamten geboren und auf den Namen Lorenz getauft. Seine Kindheit und Volksschulzeit verbrachte er in Obernzell bei Passau, wohin sein Vater als Gendarmeriekommandant versetzt wurde. Aufgrund des frühen Todes seiner Eltern kam er zu den Franziskanern nach Bamberg. Dort machte er das Abitur, und trat danach im Juli 1907 bei ihnen ein und nahm den Ordensnamen Erhard an. Im Anschluß an das einjährige Noviziat begann er das Studium an den Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalten der Franziskaner in Bad Tölz (Philosophikum) sowie in München (St. Anna) und wurde am 29. Juli 1912 im Dom zu Freising zum Priester geweiht.

Im Juli 1913 war Schlund zwei Monate Kaplan in Landshut, um dann als Studienpräfekt wieder zu den Franziskanern nach Bamberg zu gehen. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Freiwilliger zum Dienst als Feldgeistlicher in der Bayerischen Armee, rückte am 6. August 1914 in Würzburg ein und wurde sogleich als Krankenwärter an die lothringische Front beordert (6. Armee Kronprinz Rupprecht von Bayern). Im November 1914 wurde er als Feldgeistlicher dem 5. königlich-bayerischen Infanterieregiment zugeteilt, das zum Verband des II. Bayerischen Armeekorps gehörte.

Für gut zwei Jahre blieb Schlund bei den 5ern, mit denen er bei allen großen Schlachten der Westfront dabei war: Verdun, an der Somme, in Artois, in Flandern sowie längere Zeit im Kohlerevier südlich von Lille. Anfang 1917 wurde er zum Divisionspfarrer bei der 39. bayerischen Reservedivision ernannt, die an der Front auf den Hochvogesen eingesetzt war. Zwei Monate vor Kriegsende, im September 1918, wurde er Gouvernementspfarrer in Warschau. Zum Ende des Krieges geriet er dort in die Gefangenschaft der Rotgardisten, konnte sich aber bereits nach zehn Tagen wieder befreien und nach München in das St. Anna-Kloster zurückkehren.

In München begann Schlund an der Philosophischen Fakultät der Universität ein Promotionsstudium (Dr. phil.1922), wo er der Vindelicia beitrat (Couleurname Bierfaß). Bereits im Krieg kam er in Kontakt mit einigen CVern, so daß er beschloß, dem CV beizutreten. In der Vindelicia wurde er rasch Verbindungsseelsorger, und 1922 war er einer der Mitbegründer der CV-Verbindung Trifels. Nach Beendigung des Studiums bzw. seiner Promotion wurde er zum Professor („Lektor“) für Apologetik – so hieß damals das Fach Fundamentaltheologie – an der Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt der Franziskaner in München (St. Anna) ernannt.

SCHLUND ALS SEELSORGER UND VORSITZENDER DES CONSILIUM A VIGILANTIA

Schlund war neben seiner Lehrtätigkeit auch als Seelsorger tätig. Im Oktober 1923 wurde er zum Rektor der kleinen St. Anna Kapelle in München-Geiselgasteig ernannt. Da diese für sonntägliche Gottesdienste zu klein war, errichtete er im Herbst 1926 die größere „Christ-Königskirche“. Nach einer Instruktion des Heiligen Offiziums (nunmehr Glaubenskongregation) vom 3. Mai 1927 mußte in jeder Diözese ein sog. Consilium a vigilantia (auch Consilium vigilantiae) eingerichtet werden. Das diente u. a. der Bekämpfung von „Schmutz und Schund“. Am 2. Februar 1928 wurde Schlund vom Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal Faulhaber, mit dessen Leitung betraut. Zu den Aufgaben dieses Consiliums gehörte auch die Beobachtung der Neuerscheinungen von Büchern, die Überwachung unsittlicher bildlicher Darstellungen sowie der Zeitschriftenliteratur, wie sie vor allem auf Bahnhöfen angeboten wurde. Später kamen als Beobachtungsobjekte noch die Kino- und Radioprogramme hinzu.

Obwohl diesem Consilium mehrere Personen angehörten, trug Schlund zusammen mit zwei Sekretärinnen die Hauptlast der Arbeit. Da in den anderen deutschen Diözesen solche Consilia a vigilantia nicht zustandekamen, fiel nun dem Münchener Consilium eine reichsweite Aufgabe zu. Schlund gab regelmäßig Mitteilungen in hektographierter Form heraus, die auf entsprechende Gefahren hinwiesen. Zunehmend beschäftige sich das Consilium nicht nur mit sittlich-moralischen Fragen, sondern vor allem mit kirchenpolitisch bedeutsamen Geistesströmungen, sowohl am rechten wie auch am linken Rand.

Das führte zu Kritik zum einen von Seiten der Kirchenleitung. Faulhaber warf Schlund vor, er vernachlässige die eigentliche Aufgabe im Kampf gegen „Schmutz und Schund“ und setze sich in den Mitteilungen zu wenig kritisch mit diesen Dingen auseinander. Zum anderen geriet Schlund ab 1933 zunehmend ins Visier der Gestapo. Von November 1935 an mußte er elf Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen, und 28-mal wurde er zur Gestapo zitiert. Schließlich wurde im August 1940 das Erscheinen seiner Mitteilungen untersagt, wodurch die Arbeit dieses Consiliums stark beeinträchtigt war. Als Schlund aufgrund eines Bombenangriffs am 6. November 1944 einen Schlaganfall erlitten hatte, kam seine diesbezügliche Arbeit vollends zum Erliegen.

Nach Kriegsende konnte Schlund das Erscheinen seiner Mitteilungen von der US-Besatzungsbehörde erreichen, jedoch bereiteten ihm sein gesundheitlicher Zustand sowie die allgemeine Lage nach dem Krieg Schwierigkeiten. Es kam daraufhin zu einer Kooperation mit Alfred Schwingenstein, der damals in München die Vorform der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) gründete, dann Verleger und Miteigentümer der „Süddeutschen Zeitung“ war und sich in den späten siebziger Jahren in Österreich auch an der Sanierung der „Furche“ beteiligt hatte. 1948 wurde dann das Consilium a vigilantia von Kardinal Faulhaber aufgelöst. Auch wenn der Gesundheitszustand von Schlund einen Anlaß dazu gab, so paßte ein solches Gremium wohl nicht mehr so recht in die neue Zeit.

SCHLUNDS AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM NATIONALSOZIALSOZIALISMUS

Schlund war Fundamentaltheologie und als solcher („Apologet“) mit Ideologiekritik befaßt. Als einer der ersten im katholischen Bereich befaßte er sich mit den diversen ideologischen Strömungen auf der Rechten, insbesondere dann mit dem Nationalsozialismus. München war nach dem Krieg ein Tummelplatz völkischer Gruppierungen, wie ja das Hochkommen Adolf Hitlers beweist. Schlund dürfte nachgewiesenermaßen wohl der erste auf katholischer Seite gewesen sein, der sich mit dem geistigen Standort radikaler Gruppen auf der Rechten auseinandergesetzt hat.

Somit wurde Schlund innerhalb der katholischen Kirche einer der intimsten Kenner der NS-Programmatik. Bereits 1922, also noch bevor Hitler mit seinem Putschversuch ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geriet, veröffentlichte Schlund in der „Münchner Allgemeinen Zeitung“ (Vorläuferin der „Süddeutschen Zeitung“) eine Artikelserie, in der er gegen den Nationalsozialismus Stellung bezog. Im Oktober 1923 – also ebenfalls noch vor dem Marsch auf die Münchener Feldherrenhalle – erschien die 1. Auflage seiner Schrift „Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland“, das innerhalb zweier Monate eine Auflage von 30.000 Exemplaren erreichte.

Hier analysierte Schlund genau das Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 und hatte bereits deutlich erkannt, daß der Nationalsozialismus nicht nur Partei, sondern vor allem eine eigene Weltanschauung sein möchte, wodurch er sich in den Gegensatz zum Christentum bringt. Als „widerchristlich“ bezeichnete er im Programm der NSDAP den extremen Antisemitismus. Er hat es auch verstanden, die These von einer Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum zu widerlegen. Insbesondere analysierte er kritisch den im Artikel 24 des NS-Parteiprogramms verwendeten und dort mißbrauchten Begriff vom „positiven Christentum“.

Seine einschlägigen Publikationen und sein öffentliches Wirken in dieser Sache beweisen, daß man seitens der Kirche den Nationalsozialismus sehr wohl und auch schon sehr früh durchschaut hat. Untrennbar ist damit der Name von P. Erhard Schlund verbunden. In diesem Zusammenhang ist für Österreich Siegmund Guggenberger (Kb) zu nennen, der ebenfalls 1923 – also zeitlich parallel zu Schlund – die Schrift „Was wollen die Nationalsozialisten?“ herausbrachte, wo der Nationalsozialismus kritisch durchleuchtet wurde.

SCHLUND ALS CV-SEELSORGER

Schlund trat Anfang 1919 dem CV bei und war als Priester in seiner Verbindung Vindelicia seelsorgerisch tätig. Seitens der Diözese München wurde er auch zur allgemeinen Studentenseelsorge herangezogen. Nun kam es 1921 auf der 52. Cartellversammlung in Linz/Donau nach einigen Jahren der Diskussion und nicht zuletzt auf Betreiben von Robert Krasser (Nc) zu einer Strukturreform. Es wurde ein sog. Academia-Beirat geschaffen, der zum einen den Schriftleiter der „Academia“ unterstützen, zum andern auch selbständig in den CV hineinwirken sollte. Deren Mitglieder, die von der Cartellversammlung gewählt wurden, sollten nun bestimmte Funktionen („Ämter“) ausüben. Zuerst waren vier vorgesehen, das erste nannte sich „Weltanschauung und Gestaltung des inneren Lebens des CV“.

Dieser Academia-Beirat, der dann später CV-Beirat hieß und im Dritten ÖCV ab 1933 seine Fortsetzung im ÖCV-Beirat fand, hatte seinen Sitz dort, wo der „Academia“-Schriftleiter saß. und das war damals München. Daher stammten diese Funktionäre auch mehrheitlich aus München. Schlund, der als Studentenseelsorger bereits bekannt war, wurde nun 1921 in diesen Beirat gewählt. Neben den sonst üblichen Aufgaben eines solchen Amtes legte er u. a. seinen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen der damaligen Zeit. Sein Forum hierfür war zum einen die Verbandszeitschrift „Academia“, zum anderen die Cartellversammlungen, wo er sich regelmäßig zu Wort meldete.

Für Schlund war die Übernahme dieses Amtes mit der etwas spröden Formulierung gleichbedeutend mit Seelsorge. Dadurch wurde er im CV allgemein bekannt und eine vertraute Erscheinung. Er prägte für seine Tätigkeit bald den Begriff CV-Seelsorger, der aber innerhalb des CV vorerst nicht unumstritten war. Auf der Cartellversammlung 1927 in Münster thematisierte diese Frage Adolf Süsterhenn (Ho, Rap) als Senior der Rappoltenstein Köln in kritischer Weise. (Süsterhenn wurde nach 1945 ein bedeutender CDU-Politiker, u. a. war er Landesminister in Rheinland-Pfalz und Mitglied des Bundestages.) Edmund Dillinger (Vc), in den siebziger Jahren deutscher CV-Seelsorger, bemerkt dazu treffend und nach wie vor gültig: „Jeder Teilnehmer an Cartellversammlungen wird davon berichten können, daß sich einige Cartellbrüder an Kleinigkeiten wortgewaltig aufhalten können, wobei sie die drängenden Probleme der Zeit nicht erkennen können.“

Schlund ließ sich aber durch solche Einlassungen in seiner priesterlichen Aufgabe an den Studenten und Akademikern des CV nicht stören. Er ging geradlinig seinen Weg und setzte das Amt des CV-Seelsorgers durch. Er prägte aber nicht nur den Begriff, sondern vor allem durch seine Tätigkeit das Amt als solches in beispielhafter Weise bis heute. So führte er im CV Exerzitien ein, die u. a. im Kloster Banz (in Bad Staffelstein bei Bamberg) sowie in Annaberg (Oberschlesien) stattfanden. Die Art und Weise, wie Schlund die Exerzitien abhielt schildert ein Teilnehmer. Sie seien erleichtert gewesen – da sie doch etwas Angst vor strengen Exerzitien in einem Kloster gehabt hätten – , daß Schlund sie mit einem Krug Bier für jeden empfangen hatte.

Ein aus heutiger Sicht wohl kurios anmutendes Bespiel für die Themenbreite, mit der sich ein CV-Seelsorger zur damaligen Zeit beschäftigen mußte, war die Frage nach den „sittlichen“ und „unsittlichen“ Tänzen. Eigentlich war für Katholiken nur der Walzer „sittlich erlaubt“. Moderne Tänze waren auch seitens des CV verboten, sie wurden von den Verbindungen damals als „unsittlich“ empfunden. Von den deutschnationalen Korporationen wurden sie sogar als „Negertänze“ disqualifiziert. Was verstand man unter „unsittliche“ Tänze? Im Prinzip alles was nicht Walzer, Polka oder „Bauerntänze“ war. Damals kamen der Foxtrott sowie die lateinamerikanischen Tänze nach Europa. Vor allem der Tango erregte die „sittlichen“ Gemüter, ebenso der Charleston, der zum Lebensgefühl der zwanziger Jahre wurde.

Für das katholische Milieu ausschlaggebend waren die im Januar 1926 von der Fuldaer Bischofskonferenz erlassenen „Katholischen Leitsätze und Weisungen zu verschiedenen modernen Sittlichkeitsfragen“. Bezüglich des Tanzens heißt es in diesen Weisungen (VIII, 6): „Moderne Tänze, die – fast alle von übelster Herkunft – die Sittsamkeit und Schamhaftigkeit bedrohen, dürfen unter keinen Umständen, auch nicht in angeblich verfeinerter Form, länger geduldet werden.“

Schlund ist in den „Stimmen aus dem CV“, einer nichtöffentlichen Beilage zur Academia, im Mai 1926 auf diese eingegangen. Bei der Lektüre seines Beitrags merkt man, daß er sich in seiner Argumentation offenbar schwer getan hat, denn auch er wußte, wie die Realität aussah. Zum einen stellte er fest: „Die modernen Gesellschaftstänze sind ihrer Natur nach mehr als die anderen geeignet, als bloßes Mittel zu sittenwidriger Erregung der Geschlechtssphäre gebraucht zu werden.“ Er gibt aber dann doch zu: „Es muß ausdrücklich zugegeben werden, daß moderne Tänze in edler Atmosphäre auch einwandfrei getanzt werden können, wie ebenfalls die Erfahrung zeigt.“ Trotzdem kommt er zu dem, man hat fast den Eindruck resignierenden, Schluß: „Aus Gehorsam gegen die kirchliche Autorität haben wir als Katholiken von nun an die Pflicht, solche modernen Tänze zu unterlassen.“

ALS CV-SEELSORGER GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Es wundert nicht, daß Schlund in seinem Amt besonders den Nationalsozialismus thematisierte bzw. mit ihm konfrontiert wurde. So beschäftigte er sich 1926 mit diesem in einer Artikelserie in der „Academia“ mit dem Titel „Katholizismus und Nationalismus“, wo er abschließend feststellte: „Auf alle Fälle muß der Katholik gegen diese Bewegung [gemeint der Nationalsozialismus, Anm. d. Verf.] zurückhaltend und vorsichtig sein.“ Die etwas behutsam scheinende Formulierung ist darauf zurückzuführen, daß zu diesem Zeitpunkt der Nationalsozialismus im Deutschen Reich noch relativ bedeutungslos war. Die NSDAP erreichte bei den Reichstagswahlen 1924 nur drei Prozent, 1928 sogar nur 2,6 Prozent der Stimmen! Erst im September 1930 gelang ihr der Sprung auf über 18 Prozent.

Vor diesen Wahlen im Jahr 1930 veröffentlichte Schlund neuerlich einen Artikel in der „Academia“ mit dem Titel „Die Religion in Programm und Praxis der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“, in dem er sich sehr kritisch mit ihr auseinandersetzte. Dort heißt es u. a.: „Der Nationalsozialismus muß noch vieles in seiner grundsätzlichen und praktischen Stellung zu Christentum und Kirche klären, wenn er will, daß gläubige Katholiken unter Duldung der kirchlichen Autorität ihm Gefolgschaft leisten wollen.“

Auf der 60. Cartellversammlung in Koblenz Anfang August 1930 ging der damalige Hochschulamtsträger und ehemaligen VOP Hermann Hagen (Th) auf diesen Artikel in seinem Bericht ein. In diesem wird nun deutlich, daß der Nationalsozialismus offenbar bereits in zahlreiche CV-Verbindungen eingedrungen sein dürfte. Schlund nahm im Februar 1931 nochmals eindeutig zum Nationalsozialismus Stellung. Er berichtete in der „Academia“ davon, daß sein Artikel im vergangenen Jahr bereits im April abgefaßt wurde und er nach den Wahlen viele kritische Stimmen erhalten habe, seine Kritik am Nationalsozialismus sei zu schwach gewesen. Nun präzisierte er seine Ablehnung deutlicher und erklärte, daß Kirche und Nationalsozialismus und daher auch CV und Nationalsozialismus unvereinbar seien. Am 27./28. Februar 1932 fand in München eine Sitzung des CV-Gesamtausschusses statt, bei der ein Beschluß des Altherrenbundes einstimmig zur Kenntnis gebracht wurde, der besagt, daß ein CVer wegen des Prinzips Katholizität nicht der NSDAP angehören könne.

Auf der letzten freien Cartellversammlung in München Anfang August 1932 hatte Schlund nochmals einen ausführlichen Bericht über „CV und Nationalsozialismus“ gegeben, und es sollte daraufhin einen allgemeinen verbindlichen Beschluß geben. Dies war nicht leicht, denn die NSDAP hatte bei den wenige Tage zuvor stattgefundenen Reichstagswahlen 37,8 Prozent erhalten. In der stark emotionsgeladenen Debatte bemühte sich Schlund darzulegen, daß man mit einem solchen Beschluß keine Parteipolitik betreibe, sondern dem Katholizitätsprinzip genüge tun wolle.

Der damalige VOP Oskar Türk (Gu, BvBo) unterstützte Schlund und appellierte an die Delegierten: „Ich sehe die Schicksalsstunde [...] so außerordentlich wichtig, daß ich glaube, daß der Verband [...] noch nie solch einen tragischen Moment erlebt hat wie heute, wo [...] er dartun muß, daß er mit seinen Farben, die er nach außen trägt, ein gewisses Bekenntnis ablegt, für das er bereit ist, auch bis zur letzten Folgerung für seine letzten Ziele und höchsten Grundsätze zu streiten.“ Die Stellungnahme Schlunds wurde daher „als für den CV richtunggebend“ mit 117 gegen fünf Stimmen zur Kenntnis genommen. Sie betonte nochmals, daß kein CVer der NSDAP angehören dürfe. Das war sicherlich eine persönliche Genugtuung für Schlund.

Doch das Jahr 1933 gestaltete sich dann anders, als es Schlund vielleicht gedacht bzw. erhofft hatte. Nach der Machtergreifung Hitlers Ende Januar 1933 und dann vor allem nach dem Ermächtigungsgesetz von Mitte März begann die Gleichschaltung der katholischen Verbände, so auch die des CV. Hinzu kam noch, daß sich die Erklärung der Cartellversammlung 1932 bezüglich Nationalsozialismus auf die diesbezüglichen Stellungnahmen der Bischöfe berufen hatte. Die hatten zuvor in unterschiedlicher Form und Intensität die Unvereinbarkeit von katholische Kirche und Nationalsozialismus dekretiert. Nun, nach dem Ermächtigungsgesetz, hatten sie diese früheren Beschlüsse als hinfällig bezeichnet. Somit wurde den katholischen Verbänden, so auch dem CV, hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Nationalsozialismus über Nacht quasi der Boden unter ihren Füßen weggezogen. So erklärten am 3. April 1933 der damalige Vorort Aenania, der Academia-Beirat und der CV-Seelsorger Schlund gemeinsam, daß die Beschlüsse der 61. CV 1932 betr. Nationalsozialismus sowie die einschlägigen Richtlinien des CV-Seelsorgers dazu hinfällig seien.

Der Druck auf die bisherige CV-Führung und hier insbesondere auf den NS-kritischen Schlund wurde Anfang Mai 1933 immer stärker. Am 9. Mai kurz vor Mitternacht trat der gesamte Academia- bzw. CV-Beirat zurück. Damit konnte man sich auch P. Schlunds entledigen. Als sein Nachfolger war u. a. auch der sel. P. Rupert Mayer SJ (Tt) vorgesehen, der jedoch nicht annehmen konnte oder wollte.

Für Schlund war dieser Akt eine persönliche Demütigung, den er auch als ein persönliches Scheitern empfand. Er hatte zwar versucht, diesen Schritt hinauszuzögern, jedoch gelang ihm das nicht. Verbitterung machte sich nun bei ihm bemerkbar, aber auch Warnungen. So schrieb er am 26. Mai 1933 an den Generalvikar von Passau u. a.: „So wie die Dinge heute liegen, sind die katholischen Organisationen aufs äußerste gefährdet. [...] Ich sehe Gefährdungen vor allem von innen heraus. Und das möchte ich namentlich von den Studentenverbindungen sagen.“ Schlund schlug in diesem Brief vor, daß wie die NSDAP auch die Kirche einen geistlichen Vertrauensmann in die katholischen Studentenverbände entsenden solle, wobei er sich für den CV gleich selbst in Vorschlag brachte.

Zum Verhältnis Schlunds zu Österreich bemerkt Edmund Dillinger: „Besonders schmerzlich empfand er die durch die politische Entwicklung bedingte Abspaltung des österreichischen CV; fühlte er sich doch gerade auch mit den Cartellbrüdern in Österreich immer verbunden. Mögen aber von da ab die beiden Bruderverbände auch verschiedene Wege gegangen sein und verschiedene Schicksale erduldet haben, die Fäden zu P. Erhard Schlund rissen von hüben und drüben nie ab. Es war eine besondere Freude und Genugtuung für seine letzten Lebenstage hören zu können, daß das alte gute Verhältnis nunmehr wieder hergestellt ist.“

DIE LETZTEN LEBENSJAHRE

Nach seinem Ausscheiden als CV-Seelsorger konzentrierte sich Schlund auf seine Tätigkeit beim Consilium a vigilantia. Außerdem wurde er Rektor der Philosophisch-Theologischen Hauslehranstalt der Franziskaner im Kloster St. Anna in München. Wie erwähnt wurde dieses im November 1944 durch einen Bombentreffer ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Er erlitt aus diesem Grund einen Schlaganfall, der eine dauernde einseitige Lähmung zur Folge hatte. Dadurch war er an den Rollstuhl gefesselt. Doch deswegen verfiel er nicht in Resignation.

Nach dem Krieg war Schlund trotz seiner körperlichen Behinderung am Wiederaufbau des CV in Westdeutschland aktiv beteiligt. Er wurde wieder Verbindungsseelsorger bei der Vindelicia und nahm regen Anteil am Wiederentstehen des Münchener Ortsverbands. Als sich zu Pfingsten 1948 in Eichstätt CVer aus allen westlichen Zonen erstmals trafen, war er selbstverständlich dabei. Ebenso erschien er im Mai 1948 bei einem CV-Treffen der US-Zone in Stuttgart. Dort feierte er trotz seiner Behinderung die heilige Messe. Das waren seine letzten öffentliche Auftritte im CV.

Seine Behinderung wurde inzwischen immer stärker. Gerade noch konnte er Ende 1948 das renovierte Vindelikerhaus einweihen, aber danach verließ er das Kloster nicht mehr. Trotzdem erhielt er regen Besuch aus dem CV. Ende November 1953 erlitt er neuerlich einen Schlaganfall, dem er schließlich dann kurz danach erlag. Am 4. Dezember 1953 gaben viele CVer dem unvergeßlichen CV-Seelsorger nach einem Requiem in der dicht gefüllten Klosterkirche von St. Anna das letzte Geleit in die dortige Gruft.

Werke:

(Auswahl)
Der Bolschewismus. Sein Begriff, seine Geschichte, seine Ziele, seine Wirkungen, seine Aussichten (1919).
St. Franziskus und sein Orden in der Heidenmission (1919).
Der Ordensstand und seine Gegner (1920).
Die philosophischen Probleme des Kommunismus vornehmlich bei Kant (phil. Diss. 1922).
Katholizismus und Vaterland. Eine prinzipielle Untersuchung (1923).
Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland (1923, 3. Aufl. 1924).
Der moderne Mensch und seine religiösen Probleme (1924).
Nachdenkliches aus dem Hitler-Prozeß (mit Pseudonym L. Ernst, 1924).
Idee und Ideal um hl. Franziskus (1925).
Religion, Kirche, Gegenwart (1925).
Um die Seele des Akademikers (1927).
Beruf und Seele. Ein Lese- und Betrachtungsbuch für berufstätige Frauen (1928).
Der Stellung der Religion in der modernen Seele (1930).
Antonius von Padua (1931).
Orientierung. Eine Hilfe im Weltanschauungskampf (1931).
Modernes Gottglauben (1939).

Quellen und Literatur:

ÖCV-Archiv. Personalarchiv: Helbig-Neupauer, Bruno (R-B). Brief von P. Erhard Schlund 2. 3. 1948.
Stimmen aus dem CV, Nr. 2, 15. Mai 1926, Beilage zur Nr. 1 der Academia 39 (1926/27).
Baumgärtner, Raimund: Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzungen der Kirchen mit Alfred Rosenberg (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe B: Forschungen, Band 22.). Mainz 1977, S. 147f.
Dillinger, Edmund (Vc): P. Erhard Schlund – der erste CV-Seelsorger, in: Hundert (100) Jahre KDStV Vindelicia. Hg. von der KDStV Vindelicia zu München im CV. München 1997, S. 272–277.
CV-Handbuch. Hg. von der Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum. Regensburg 2001, S. 582.
Fellner, Michael: Pater Erhard Schlund OFM (1888–1953) und seine Auseinandersetzung mit der völkischen Bewegung und dem Nationalsozialismus, in: GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte. Band 5. Köln 2001, S. 65–124 (mit ausführlichem Werkverzeichnis Schlunds).
Hartmann, Gerhard (Baj): Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich. Kevelaer 2006, S. 237, 240, 280, 338–341, 356f., 495 und 665.